Engagiert evangelisch


Melvin (18), Christa (80) –
beide sind neue Kirchenälteste

Christa Hansal ist achtzig. Eine zierliche Frau, die in ihrer Jugend bildhübsch gewesen sein muss. Man sieht ihr nicht an, dass sie als Pflegerin ein Leben lang hart gearbeitet hat. Obwohl längst im Ruhestand, wagt die Michelbacherin jetzt noch einmal einen Neustart.

Die Achtzigjährige sitzt in den nächsten sechs Jahren im Kirchengemeinderat ihres Dorfes. Weil sie dafür sorgen will, „dass die Jugend in die Kirche zurückkommt“. Dieses Ziel verfolgt auch der 18-jährige Melvin Eckhardt, der sich bei der Kirchenwahl in Aglasterhausen gegen erfahrene Mitbewerber durchgesetzt hat. Frau Hansal und Melvin stehen für den Wandel in den evangelischen Ältestenkreisen. Die Zeiten, in denen übers Grillen geredet wurde, sind vorbei. Jetzt geht es um die Zukunft der Kirche. Eine Stippvisite in den Kirchenbezirk Neckargemünd-Eberbach.

Eine Dame hat immer eine Riesenpackung Schokolade für die jungen Musiker dabei.

Das gotische Kirchlein
von Michelbach

Freitagabend in Michelbach. Dunkelheit liegt über Dorf und Feldern, nur das mittelalterliche Chorturmkirchlein ist hell erleuchtet. Der „Feierabendgottesdienst“ steht an, momentan das Highlight in Michelbach. Weil die Band spielt. Junge Leute zwischen 14 und 17 aus Michelbach und Schwarzach haben sie gegründet. Ihr Favorit derzeit ist „One way Jesus“, eine rockige Hymne, bei der es niemand in der Kirchenbank hält. Es sei denn, man ist schon über 80. Und das sind etliche der Teilnehmer beim Michelbacher Feierabendgottesdienst. Mindestens zwanzig ältere Herrschaften kommen regelmäßig und spenden kräftig Applaus. Eine Dame hat immer eine Riesenpackung Merci-Schokolade für die jungen Musiker dabei.

„Das wichtigste ist, dass wir mit der Jugend ins Gespräch kommen“, sagt Christa Hansal, die neue Kirchengemeinderätin. Das sei gar nicht so schwierig. Die Älteren müssten nur offen sein und sich selbst etwas zurücknehmen. „Zeit zum Zuhören, Erfahrung und Geduld – das ist es, was wir Älteren anbieten können und was die Jungen suchen.“ Womit das Profil des neuen Michelbacher Kirchengemeinderats umrissen wäre: Hier sitzen Menschen, die zuhören. Aufmerksam und ohne ungebeten Ratschläge zu erteilen. Pfarrerin Angelika Schmidt findet das „neu und absolut zukunftsweisend.“

Pfarrerin Angelika Schmidt
von Michelbach und Schwarzach

Auch die Jugend scheint von der Idee angetan. Die Konfirmanden aus Michelbach jedenfalls haben zu ihrer nächsten „Party mit Jesus“ eine Seniorin geladen. Die 75-Jährige soll dort von ihrem Glauben erzählen. „Das war eine Idee der Konfis“, betont Pfarrerin Schmidt. „Sie interessieren sich dafür, woran die Älteren glauben.“ Christa Hansal, die 80-jährige Jung-Älteste, plant derweil ihr erstes großes eigenes Projekt: Einen Spielenachmittag für Jugendliche und Senioren im Michelbacher Pfarrhaus. „Prima Idee“, lobt Melvin Eckhardt, 18, frischgewählter Kirchengemeinderat in Aglasterhausen.

Bis zu seiner Konfirmation, sagt Melvin, sei er noch nie in der Kirche gewesen.

Bis zu seiner Konfirmation, sagt Melvin, sei er nie in der Kirche gewesen. Höchstens mal am Heiligen Abend. Das änderte sich komplett, als der Konfi-Unterricht begann. „Plötzlich habe ich gemerkt, dass Kirche mehr ist als nur Gottesdienst. Sie ist auch Gemeinschaft“, formuliert der 18-jährige Gymnasiast. Und eben diese Gemeinschaft wollte Melvin nach seiner Konfirmation nicht mehr missen. Dumm nur, dass es in Aglasterhausen für Frischkonfirmierte keine Möglichkeit gab, sich zu engagieren. Also musste Melvin, der nach dem Abitur Maschinenbau studieren möchte, selbst aktiv werden. Als die Gemeinde zu einer „Zukunftswerkstatt“ lud, gründete er eine Jugendgruppe. Der Start war zäh. Nur sehr langsam wurde es besser.

Dekan Ekkehard Leytz von Neckargemünd-Eberbach

Heute zählt der evangelische Jugendkreis in Aglasterhausen knapp 20 Mitglieder. Man kümmert sich um die Kinderkirche und trifft sich im Jugendtreff, erzählt Melvin Eckhardt. „Das ist ein Rückzugsort, wo man runterkommen kann“. Die Jugendlichen sprechen darüber, was zuhause und in der Schule so läuft. Und sie diskutieren aktuelle Themen. Der Umweltschutz brennt der evangelischen Jugend von Aglasterhausen natürlich auch unter den Nägeln. Als Kirchengemeinderat möchte Melvin Freizeiten für Jugendliche organisieren und neue Gruppen gründen. „Mein Ziel ist es, für jede Alterstufe ein kirchliches Angebot zu machen. Durchgängig.“

Insgesamt 140 Älteste haben die 26 Kirchengemeinden des evangelischen Dekanats Neckargemünd-Eberbach in den letzten Wochen ins Amt eingeführt. Zwei Drittel von ihnen bringen bereits Erfahrung in der Gemeindeleitung mit, sagt Dekan Ekkehard Leytz. Ein Drittel stößt neu hinzu. „Diese Neuzugänge verändern die Ältestenkreise erfahrungsgemäß sehr“, weiß Leytz. Ihn freut das, weil dadurch Neuanfang möglich wird. „Nach evangelischem Selbstverständnis liegt die Leitung einer Gemeinde nicht in den Händen des Pfarrers sondern in denen der Ältesten“, betont Ekkehard Leytz. „Der Pfarrer hat nur eine Stimme im Rat.“

Die Altersgruppe zwischen 25 und 40 fehlt fast komplett in den Gremien. Das ist die Familienzeit.

56 Prozent der gewählten Ältesten im Dekanat Neckargemünd-Eberbach sind Frauen, 44 Prozent Männer. Das ist ein deutlich höherer Männeranteil als bei der letzten Kirchenwahl. Auch darüber freut sich Ekkehard Leytz. „Ich begrüße es sehr, dass die Frauen sich so stark engagieren. Aber die Männer dürfen nicht ganz rausfallen.“ Schlimm genug, dass die Altersgruppe zwischen 25 und 40 fast komplett fehlt in den Gremien. Das ist die Familienzeit, in der man Kindern und Beruf unter einen Hut bringen muss. Die gewählten Ältesten müssen daher immer auch für diese Altersgruppe mitdenken, findet Dekan Leytz. „Die jungen Familien sind zwar in unseren Gremien nicht sichtbar, aber für unsere Gemeinden unendlich wichtig.“

Verbindet Theater und Kirche:
Markus Winter vom Dilsberg

Auf dem Dilsberg hat man das schon begriffen. Hier dreht sich eigentlich alles um Kinder, Jugendliche und Familien. Was an der traumhaften Freilichtbühne liegt, die sich erfolgreich auf Kinder- und Jugendtheater spezialisiert hat. Seit 2007 leitet Markus Winter als ehrenamtlicher Vorstand die Burgbühne. Seit einigen Jahren engagiert der Maschinenbauingenieur auch im evangelischen Ältestenkreis. Theater und Kirche – auf dem Dilsberg bedingt das eine das andere. „Mein Kassenwart und meine Schriftführerin bei der Burgbühne sind schon sehr lang Ältestenkreis“, erzählt Markus Winter. „Als sie wieder einmal geklagt haben, wie schwer es ist, neue Kandidaten zu finden, habe ich mich zur Verfügung gestellt.“ So ist das auf dem Dilsberg.

Ein treuer Kirchgänger sei er vor seinem Einzug in den Ältestenkreis nicht gewesen, gesteht Winter. Eher ein sehr sporadischer. „Aber ich kannte fast zwei Drittel der evangelischen Kinder und Jugendlichen schon von der Burgbühne.“ Auf diesen Kontakten wollte der Druckmaschinen-Manager aufbauen. Voller Elan initiierte Markus Winter ein Jugendcafé nach dem Sonntaggottesdienst – und erlebte seinen ersten Flop. So schnell verändert man die Kirche nicht. Fast fünf Jahre hat es schließlich gedauert, bis das Café angenommen wurde. Heute kommen manchmal zehn bis fünfzehn Jugendliche zum Plausch, freut sich Markus Winter.

Die Dilsberger Kirche
mit traumhaften Rundumblick

„Ich habe den Eindruck, dass sich die Menschen in unserer Kirche wohlfühlen. Weil wir uns um sie kümmern.“

Er hat schon eine neue Zielgruppe im Visier: Die Eltern der Konfirmanden. An Erntedank hat Markus Winter seinen Dreibein auf dem Kirchenvorplatz aufgebau und Suppe gekocht. Sie wurde gern gegessen. Er sei ein Mensch, der Gemeinschaft brauche, sagt Winter. „Das Schöne am Ältestenkreis ist, dass in ihm alle Vorlieben und Fähigkeiten einen Platz finden.“ Manchmal glaubt Markus Winter sogar schon erste Knospen eines neuen Kirchenfrühlings zu erkennen. „Ich habe den Eindruck, dass die Menschen sich in unserer Kirche wohlfühlen. Weil wir uns um sie kümmern und wissen, wie es ihnen geht.“

Für Annemarie und Verena Nutzinger wäre ein Leben ohne Kirche gar nicht vorstellbar. „Wir sind Pfarrerskinder und dadurch geimpft“, lacht Verena Nutzinger. Schon als junge Frauen entschieden sich die Zwillingsschwestern, in die Mission nach Afrika zu gehen. Annemarie als Diakonisse, Verena als weltliche Krankenschwester. Mehr als 30 Jahre ist sie in Kenia geblieben. Ihre Schwester Annemarie wurde von ihrem Orden nach Lörrach gerufen, um eine Altenpflegeschule zu leiten. „Es war ein gutes Leben“, lächelt die Nutzingers.

Verena (l.) und Annemarie Nutzinger
aus Neckargemünd

Jetzt im Ruhestand leben die beiden Damen in einem Reihenhäuschen in Neckargemünd. Aber dort trifft man sie eigentlich nie. Als Älteste der Markusgemeinde sind die Schwestern rund um die Uhr unterwegs, um Gott zu den Menschen zu bringen. Die Schwestern engagieren sich in der Seniorenarbeit, im Besuchsdienst, im Liturgieausschuss, im Kirchenchor, in der Ökumene und beim Gemeindebrief. Verena übernimmt zudem als Prädikantin mit Begeisterung Gottesdienste im Umland, wenn eine Pfarrstelle vakant ist. Das alles mit 78 Jahren.

Wo sich der Kirchenbezirk Neckargemünd-Eberbach zur Großstadt öffnet, ist die Stimmung nachdenklicher als auf dem Land

„Tatsächlich sind wir in Neckargemünd die ältesten Ältesten“, lächeln die Schwestern. Es ist dieses warme Lächeln von Menschen, die sich von Gott getragen wissen. Und doch ist hier, wo sich der Kirchenbezirk Neckargemünd-Eberbach zu Großstadt öffnet, die Stimmung nachdenklicher als draußen auf dem Land. „Wir finden immer weniger Leute, die bereit sind, sich in der Kirche zu engagieren“, sagt Verena Nutzinger. Den Besuchsdienst habe man vor ein paar Jahren noch zu noch zu siebt geschultert. „Jetzt sind wir nur noch drei.“ Nur ein einziger Mann ist noch unter den Ältesten. Junge Leute fehlen völlig.

Die Ulrichskirche

Woran es liegt? Wahrscheinlich orientierten sich die Menschen, die in Neckargemünd wohnen, eher in Richtung Stadt, vermuten die Schwestern. „Die Verkehrsverbindungen nach Heidelberg und Mannheim sind fantastisch. Das Angebot dort riesig.“ Selbst die Senioren führen mittlerweile lieber mit der S-Bahn nach Heidelberg, als sich in Neckargemünd einem Kreis anzuschließen. „Wir haben alles probiert, aber die Seniorenarbeit läuft schleppend.“

Nur wenn Annemarie Nutzinger in ihrer Diakonissentracht auf die Straße tritt, wenden sich ihr wildfremde Menschen wie magisch angezogen zu. Sie lächeln, suchen das Gespräch und erzählen ihr Leben. Ungefragt. „Das ist Sehnsucht“, sagt Annemarie Nutzinger. „Sie bleibt.“

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