Frühstück in der Sakristei

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Viel Platz: Die Familie Bauer aus Meckesheim wohnt in einer Kirche

Das Wohnzimmer der Familie Bauer in Meckesheim misst 125 Quadratmeter und hat eine Deckenhöhe von 4,50 Metern. Aber das benutzen sie eher selten.

An Weihnachten vielleicht, oder wenn Besuch kommt. Sind die Bauers unter sich, machen sie es sich einen Stock tiefer gemütlich. Das Esszimmer erstreckt sich zwar auch über hundert Quadratmeter, aber die Decke hängt etwas niedriger. Die Bauers wohnen in einer Kirche. In St. Antonius.

Das historistische Gotteshaus aus gelbem Keupersandstein, 1908 geweiht, diente den Katholiken von Meckesheim bis 1968 als Pfarrkirche. Dann stieg die Zahl der Gemeindemitglieder rapide an. Eine neue, moderne Kirche aus Sichtbeton wurde gebaut. St. Martin. Ihre alte Kirche verwandelten die Meckesheimer in ein Gemeindehaus, wobei sie leider ihren Turm verlor.

Der Pfarrgemeinderat beschloss, St. Antonius zum Verkauf anzubieten

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Bis 1968 war St. Antonius die katholische Kirche von Meckesheim, dann das Gemeindehaus

2012, die katholische Gemeinde von Meckesheim war inzwischen fast wieder auf Vorkriegsgröße geschrumpft, beschloss der Pfarrgemeinderat, die St. Martinskirche komplett umzubauen und das Gemeindehaus zu integrieren. St. Antonius wurde zum Verkauf angeboten, Sarah und Andreas Bauer griffen zu. Nun frühstücken sie mit ihren beiden Töchtern in der Sakristei.

Etwas mehr als 45000 katholische und evangelische Kirchen gibt es in Deutschland. Sie werden alle geliebt. Doch gebraucht werden sie nicht mehr alle. Die Zahl der Christen in Deutschland nimmt kontinuierlich ab. Die Berliner „Forschungsgruppe für Weltanschauungen“ zählte 2014 schon 34 Prozent Deutsche ohne Konfession. 1990 waren es nur 22 Prozent gewesen. Noch drastischer ist der Rückgang bei den Gottesdienstbesuchen. Die Evangelische Kirche Deutschlands kann nur mehr 3,3 Prozent ihrer Mitglieder in der Kirche begrüßen. Die Statistik der katholischen Bischofskonferenz erreicht mit 10,9 Prozent immerhin noch knapp den zweistelligen Bereich. Die Kurve zeigt aber auch hier nach unten.

Das Bistum Essen hat bereits 100 Kirchen profaniert

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Das Wohnzimmer misst 125 Quadratmeter und besitzt einen Theatervorhang

Besonders betroffen von der Säkularisierung ist natürlich der Osten Deutschlands, wo mehr als 80 Prozent der Menschen ohne Gott leben. Aber auch in Nordrhein-Westfalen stürzt die Zahl der Kirchenmitglieder in atemberaubendem Tempo ab. Das Bistum Essen musste bereits 100 Kirchen profanieren. Verglichen damit leben wir im Südwesten in einem frommen Paradies. Die Zahl der Kirchen, die zur Umnutzung freigegeben werden, ist deshalb noch überschaubar. Noch.

Andreas Bauer, der Besitzer der Meckesheimer Kirche, ist in Zuzenhausen aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat eine Lehre als Steinmetz und Fliesenleger absolviert. Eine solide Biographie. Doch es gibt noch eine andere Seite. Eine künstlerische. Als junger Mann bereiste Bauer Indien und strandete schließlich bei einem alten Mann, der ihn lehrte, Holzintarsien zu legen.


Aus drei Monaten wurden zehn Jahre in Amerika

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Ein sympathisches Paar: Sarah und Andreas Bauer, die Kirchenbesitzer

Zurück in Deutschland spezialisierte sich Bauer auf großformatige Holzeinlege-Bilder von wilden Tigern. Da der Markt für Großwild-Kunst hierzulande eher klein ist, beschloss Andreas Bauer seine Werke in Las Vegas bei der größten Jagdmesse der Welt anzubieten. Eine gute Idee. In Vegas gewann der Zuzenhausener Kunden wie Michael Jackson oder Siegfried und Roy. Die Fotos dieser Begegnungen hütet Bauer wie einen Schatz.

Andreas Bauer lernten in Las Vegas aber auch seine Frau Sarah kennen. Und: Er kam ins Gespräch mit einem amerikanischen Architekten, der dringend einen guten Fliesenleger suchte. Es ging um richtig teuren Marmor, der in einer Zehn-Millionen-Dollar-Villa verbaut werden sollte. Bauer flog nach Chicago, besah sich die Baustelle und sagte zu. „Ich habe gedacht, ich bin in drei Monaten wieder zu Hause“, erinnert sich der heutige Kirchenbesitzer. „Doch dann wurden es zehn Jahre in Amerika.“


Am liebsten hätten alle eine City-Kirche oder ein Kolumbarium

Ein Kolumbarium in der Allerheiligenkirche von Erfurt: In den Stelen stehen die Urnen

Kirchenräume sind mehr als nur umbaute Fläche. Es sind durchbetete Mauern. Unzählige Menschen haben in diesen Hallen ihren Kummer, ihre Freude und ihre Sehnsucht vor Gott getragen. Sie haben ihre Kinder zur Taufe gebracht, sich das Ja-Wort gegeben und ihre Toten aufgebahrt. Deshalb ist es verständlich, dass die wir erschrecken, wenn wir lesen, dass in ehemaligen Kirchen geturnt, gespeist, gehandelt, gearbeitet oder gewohnt wird. „Im Umgang mit aufgelassenen Kirchen hat sich in Deutschland eine Hierarchie von Maßnahmen eingespielt“, konstatiert der Bochumer Architekturhistoriker Professor Wolfgang Pehnt. „Als wünschenswert gelten nach kirchlichen Sondernutzungen wie Jugendkirche, City-Kirche oder Kolumbarium die Nutzungen für soziale Aktivitäten.“ Kindergarten, Seniorenzentrum, Begegnungszentrum, Arbeitslosencafe …

Kolumbarien sind übrigens Urnen-Begräbnishäuser. Die Urnen stehen sichtbar in künstlerisch gestalteten Stelen im früheren Kirchenraum. Merwürdigerweise sind gerade in Ostdeutschland, wo angeblich kaum noch Gläubige leben, die Kolumbarien in ehemaligen Kirchen als Ruhestätte sehr nachgefragt.

Den Verkauf an muslimische Gemeinden schließen die Kirchen aus

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In den Bädern von St. Antonius glänzt der Marmor

Sehr gern werden Kirchen auch an andere christliche Glaubensgemeinschaften verkauft. Kopten, Altkatholiken, Neuapostolische, Armenier. In Mannheim etwa hat das katholische Stadtdekanat  1987 die Betonkirche St. Martin im Arbeiterstadtteil Luzenberg der griechisch-orthodoxen Gemeinde überlassen. 2010 haben die Griechen die Kirche gekauft und in „Kreuzerhöhung“ umbenannt. Heute erstrahlt der Sichtbeton-Innenraum im Glanz von vielen goldenen Ikonen und riesigen Opferkerzen. „Eine Übereignung profanierter Kirchen an nichtchristliche Glaubensgemeinschaften, gar an muslimische, wird in den Handreichungen der beiden großen Amtskirchen ausgeschlossen“, weiß Professor Wolfgang Pehnt.

Die viertbeste Lösung für die Umnutzung von Kirchen heißt Kultur. Museum, Konzertsaal, Bibliothek. Findet sich auch hierfür kein Käufer, befinden wir uns im Negativ-Bereich, in dem abergläubische Nasen gern den Untergang des Abendlandes wittern. Markthalle, Turnhalle, Kaffee, Kneipe, Ärztehaus, Hotel, Restaurant – oder eben ein Wohnhaus.

Für eine Kirche muss man tief in die Brieftasche greifen

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Die Kirchentür haben die Bauers im Originalzustand belassen

Wer längere Zeit in Amerika lebt und einigermaßen gut verdient, entwickelt einen Hang zur Größe. „Etwa so groß wie zwei Fußballfelder“ sei das Grundstück seines Hauses in der Nähe von Chicago gewesen, erzählt Andreas Bauer mit funkelnden Augen. Entsprechend schwer fiel es den Bauers 2012 in die Kleinteiligkeit von Zuzenhausen zurückzukehren. Sie besichtigten verschiedene Häuser im Kraichgau, aber der Funke sprang nie über. Bis eines Sonntags im April 2012 – Andreas Bauer erinnert sich noch gut, dass er gerade den „Tatort“ schaute – die E-Mail eines Immobilienmaklers einging: „Kirche zu verkaufen“. Das Ehepaar Bauer klickte auf, erblickte massive Sandsteinmauern und war sofort verliebt. Wie übrigens etliche andere Interessenten auch.

Doch Andreas Bauer ist ein vorsichtiger Mann. „Ich habe sofort einen befreundeten Dachdecker angerufen. Wenn das Dach nicht in Ordnung gewesen wäre, hätte ich die Finger von dem Objekt gelassen.“ Schließlich war St. Antonius kein Ein-Euro-Angebot, sondern die Kirche kostete so viel wie ein ordentliches Einfamilienhaus im Ballungszentrum. Bauer fand einwandfreie Schindeln aus Naturschiefer, zwei Zwischendecken, die die Pfarrgemeinde in den 1970er-Jahren hatte einziehen lassen und ein Treppenhaus, das die nunmehr drei Stockwerke verband. „Perfekt.“

Der Abriss von Kirchen darf nur die allerletzte Option sein

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Das  Treppenhaus stammt aus den 1970-er Jahren

550 Quadratmeter Wohnfläche stehen der Familie Bauer zur Verfügung. Geschlafen wird in drei romantischen Zimmern mit schrägen Wänden im Dachgeschoss. Im ersten Obergeschoss befindet sich das riesige Wohnzimmer. Die Theaterbühne, die die Pfarrgemeinde in den 1970er-Jahren im ehemaligen Chor der Kirche einbauen ließ, haben die Bauers erhalten. Es existiert sogar noch der schwere grüne Samtvorhang. Durch die hohen klaren Kirchenfenster flutet von morgens bis abends Sonne in den Raum. Dreh und Angelpunkt des Familienlebens ist das Esszimmer im Erdgeschoss mit angrenzender Küche in ehemaligen Sakristei.

Die Umnutzung von Kirchen ist – auch wenn uns das gern so vorkommt – kein neues Phänomen. Die gesamte Geschichte der Christenheit durchziehen Phasen, in denen Gotteshäuser nicht zum Beten genutzt wurden. Das Kloster Lobenfeld bespielsweise, heute als schmuckes Geistliches Zentrum der ganze Stolz des evangelischen Kirchenbezirks Neckargemünd-Eberbach, diente bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein als Tabakscheune, Garage  oder Bürgersaal. Die aristokratische Heidelberger Jesuitenkirche war in Napoleonischer Zeit ein Krankenhaus und würde heute einen Teil der Universitätsbibliothek beherbergen, wenn der Badische Großherzog den Verkauf an die Uni nicht in letzter Sekunde gestoppt hätte.

Was, wenn man alle Kirchen sofort abgerissen hätte, als sie anscheinend nicht mehr gebraucht wurden?

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So hat die katholische Kirche von Meckesheim ursprünglich ausgesehen …

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Flüchtlinge aus dem Osten den Katholizismus in den Kraichgau zurückbrachten, wurden allerorts die Kirchen zu klein. Man baute neu. In den bildhübschen barocken Gotteshäusern von Angelbachtal und Epfenbach haben heute Künstler ihre Ateliers. Die Reihe ließe sich problemlos fortsetzen.

Was, wenn man all diese Kirchen sofort abgerissen hätte, als sie anscheinend nicht mehr gebraucht wurden?

Andreas Bauer sagt, ihn rühre etwas an in seiner Kirche. „In diesen Mauer haben schon Menschen gebetet, lange bevor wir auf der Welt waren.“ Für ihn sei dieses Wissen ein Ansporn gewesen, Putz und Verschalungen zu entfernen und in monatelanger Eigenarbeit die ursprünglichen Sandsteinmauern freizulegen. In den weißen Marmorboden unter dem Esstisch, etwa dort, wo einst der Altar stand, integrierte der Fliesenleger ein filigranes dunkelgrünes Kreuz. Der lang gezogene Schubladenschrank im Treppenhaus erinnert stark an das Mobiliar von Sakristeien. Und im ehemaligen Chor hängt wieder ein Kruzifix.

„Ein schickes Restaurant, eine Unternehmensberatung oder eine Anwaltskanzlei“

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… und so als katholisches Gemeindehaus

„Der einstige sakrale Gebrauch ist den aufgelassenen Kirchen als Würdespur eingeschrieben“, resümiert Professor Wolfgang Pehnt. „Und wer weiß, vielleicht wird sich die frei schweifende, vagabundierende Religiosität, die sich bei Kirchentagen, Weltjugendtagen oder Papstwahlen so überwältigend Bahn bricht, irgendwann wieder feste Orte suchen.“

Die Bauers verlassen Meckesheim bald. Die beiden Töchter sind erwachsen und wollen zum Studium nach Amerika zurückkehren. Das Ehepaar Bauer zieht es auf die Farm von Sarahs Eltern in Nevada. Die Kirche soll verkauft werden. „Ein schickes Restaurant, eine Unternehmensberatung oder eine Anwaltskanzlei“ stellt sich Andreas Bauer künftig darin vor. Für eine Familie dürfte St. Antonius im jetzigen Zustand wohl zu teuer sein. Der Kaufpreis beträgt 1,39 Millionen Euro.

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