Pfarrhaus sucht Zukunft

Das Pfarrhaus von Dossenheim:
Eine barocke Schönheit

Das evangelische Pfarrhaus von Dossenheim ist sehr alt, wunderschön und riesengroß. 298 Quadratmeter Wohnfläche. Dazu ein Garten, ein Weinberg, ein Wald. Wenn man frühmorgens vom Wohnzimmer auf die Terrasse tritt, spürt man die Kraft, die von diesem Ort ausgeht.

Mit den ersten Strahlen der Sonne erwacht die gotische Kirche zum Leben. Der Mühlbach raunt von den Kelten, die einst in seinem Wasser ihre Steine geschliffen haben. Und die Linde erinnert an die Menschen, die in ihrem Schatten die letzte Ruhe fanden. Magie pur. Doch welche Pfarrfamilie will heute noch Wein ernten? Wer braucht so viele Zimmer? Und wie heizt man sie? Eine Herbstgeschichte über ein verwunschenes Pfarrhaus, das auf neues Leben wartet.

Wen stören schon Brombeerranken, wenn man eine echte Barockschönheit ist

Dossenheim liegt an der Bergstraße, direkt vor den Toren Heidelbergs. Die Gemeinde zählt rund 12000 Einwohner. In den Neubaugebieten wohnen junge Familien,  die Preise sind hoch, die Infrastruktur ist gut. Man hat sogar ein Hallenbad. Nie hätten Dossenheims Bauern früher von so viel Wohlstand zu träumen gewagt. In jedem Krieg wurde das Dorf niedergebrannt, Hunger und Not waren allgegenwärtig, ganze Generationen sind ausgewandert. Wer blieb, verdiente sein Brot in den Steinbrüchen. Es gibt ein liebevoll bestücktes Heimatmuseum, das vom harten Leben der „Steinbauern“ erzählt.

Die gotische Kirche
wurde 1460 erbaut

Weshalb die Keimzelle des Dorfes auch nicht in der Ebene sondern am Berg lag. Am Waldrand, wo der Mühlbach das Gebirge verlässt, bauten die Franken im 8. Jahrhundert ein Holzkirchlein. Heute steht hier die evangelische Kirche. Sie stammt aus dem Jahr 1460 und wurde aus den Steinen der zerstörten Schauenburg gebaut. Behaupten die Dossenheimer. Direkt neben der Kirche liegt unser Pfarrhaus. Es ist das einzige Barockhaus Dossenheims und eines der ältesten Pfarrhäuser in Baden. 1772 erbaut, blickt es unter seinem Mansarddach stolz in die Welt. Wen stören schon die Brombeerranken, der blätternde Putz und der marode Dachstuhl, wenn man eine echte Barockschönheit ist.

Immer mehr Pfarrfamilien tun sich schwer mit dem Leben im Pfarrhaus

735000 Euro wird es kosten, das Pfarrhaus wieder in Stand zu setzen, schätzt Nicole Dochat, die Architektin. Mindestens. Denn bei diesen alten Häusern wisse man nie. Den Dachstuhl beispielsweise hatte man gar nicht auf der Agenda. Doch dann stellte sich heraus, dass ein Großteil der Balken verfault ist. „Jetzt ist es unser dickster Posten.“

735000 Euro wird
die Sanierung kosten

Im Dezember 2019, so der Zeitplan, soll wieder eine Familie einziehen. Wenn sich Bewerber finden für solch ein riesiges Haus. Sicher ist das heutzutage nicht mehr. Es gebe immer mehr „Pfarrpersonen“, die sich mit dem Leben im Pfarrhaus schwer tun, nickt Cornelia Weber, die Personalreferentin der Badischen Landeskirche. „Das hat mit den veränderten Familienmodellen zu tun. Aber auch mit dem Wunsch, Privatleben und Beruf zu trennen.“

Neue Töne. Seit der Reformation hat noch nie jemand gewagt, das Pfarrhaus ernsthaft in Frage zu stellen. Schließlich hat Martin Luther das Urbild der Pfarrfamilie selbst vorgelebt. Der Reformator schrieb, lehrte und predigte. Katharina von Bora kümmerte sich um die sechs Kinder, das riesige ehemalige Augustinerkloster und um die Verköstigung der vielen Gäste, die ihr Gemahl anschleppte. Fünfzehn bis zwanzig Personen saßen stets am Pfarrhaustisch. Und am Abend musizierten alle gemeinsam.

Ein Zuhause aus Glas

Cornelia Weber, Personalreferentin der Landeskirche

Mit der Wirklichkeit in den Pfarrhäusern draußen auf dem Land hatte dieses Ideal wenig zu tun. Jahrhundertelang wurden die Pfarrer so karg bezahlt, dass sie nebenberuflich Landwirtschaft betreiben mussten. Bis ins 19. Jahrhundert hinein glich das evangelische Pfarrhaus einem Gutshof. Selbst im Garten unseres aristokratischen Dossenheimer Barockhauses stehen noch die alte Remise für das landwirtschaftliche Gerät.

Erst im 19. Jahrhundert besserte sich die finanzielle Situation der evangelischen Pfarrer. Wofür sie allerdings mit dem Verlust der Privatsphäre bezahlten. Im Erdgeschoss des Pfarrhauses lagen nun die Gemeinderäume. Die Pfarrfrau arbeitete ehrenamtlich im Dienst der Gemeinde, und die Kinder wuchsen unter deren Augen auf. Ein Zuhause aus Glas.

Auch in Dossenheim tippte die Sekretärin direkt neben dem Herd der Pfarrfamilie. Das wird künftig nicht mehr so sein. „Bei der Renovierung legen wir Wert darauf, dass der öffentliche und der private Teil des Hauses streng von einander getrennt sind“, sagt Pfarrer Jörg Hirsch, der die Vakanzvertretung in Dossenheim übernommen hat. Immer wieder ist Hirsch durch die vielen leeren Zimmer gewandert, bis er darauf kam, dass nur eine neue Wand und zwei zugemauerte Türen genügen, um das Dossenheimer Pfarrhaus zukunftsfähig zu machen.

Es gibt immer irgendwo ein Pfarrhaus, das noch zugiger ist als das eigene

Zum Pfarrhaus gehören ein Garten,
ein Weinberg und ein Wald

Bleibt noch die Heizung. Die Hauptklage aller Familien, die in großen Pfarrhäusern leben. „Die Landeskirche hat ein Programm zur energetischen Sanierung der Pfarrhäuser gestartet“, berichtet Personalreferentin Weber. Aber diese Liste der Anmeldungen ist lang. Immer gibt es irgendwo ein Pfarrhaus, das noch zugiger ist als das eigene. Auch in Dossenheim sind die Außenwände feucht. Architektin Nicole Dochat will deshalb eine Flächenheizung in die Außenmauern einbauen. Die Zimmer selbst sind seit den 1950er Jahren mit Platten aus gepresstem Torf gedämmt. Eine ökologisch einwandfreie Methode zur Dämmung, die Nicole Dochat unbedingt beibehalten will. „Es gibt nirgendwo Schimmel.“

Dafür einen eleganten Pitchpine-Boden aus dem Barock, eine Küche mit Durchreiche zum Esszimmer, Stauraum und Zimmer en Masse. Was aber bezahlt werden muss. Trotz Residenzpflicht. Sie ist unumstößlich. „Unseren Pfarrpersonen wird ein Teil ihres Lohnes fürs Wohnen abgezogen“, berichtet Cornelia Weber. Die Höhe der „Miete“ richtet sich nach der Qudratmeterzahl der Wohnung, nicht nach der Lage. In den Augen der Kirche ist ein Haus in Unterschüpf ebenso wertvoll wie in Heidelberg-Neuenheim.

Pfarrer Jörg Hirsch füllt die
Vakanz in Dossenheim

Das Reizthema: Ist das Leben im Pfarrhaus familienfeindlich?

Wohnen ist derzeit in Karlsruhe ein Riesenthema.  „Es geht nicht mehr, dass eine Gemeinde ihrem Pfarrer die Wohnung maßschneidert“, sagt Cornelia Weber. Deshalb soll künftig in den Stellenausschreibungen nicht nur der Ort, sondern auch die Wohnsituation für die Pfarrperson beschrieben werden. Das Spektrum ist riesig. Die Badische Landeskirche verfügt über 500 Pfarrhäuser und 70 angemietete Dienstwohnungen. Da müsste eigentlich für jeden Lebensform etwas dabei sein. Für den Single, den Gartenfan, den Bücherfreak, den Biker, das gleichgeschlechtliche Paar – und für die Familie mit Kindern.

„Es wird viel darüber diskutiert, ob das Leben im Pfarrhaus familienfeindlich ist“, sinniert Cornelia Weber. Die einen sagen, es sei ein Privileg, zuhause zu arbeiten und die Kinder aufwachsen zu sehen. Auch wenn man dafür rund um die Uhr für die Gemeinde erreichbar ist.

Im Dezember 2019 soll das
Pfarrhaus wieder bewohnbar sein

Die anderen pochen auf ihr Recht auf Privatsphäre und feste Arbeitszeiten, damit sie verlässlich für die Familie da sein können. Ja, nickt Kirchenrat Jörg Augenstein, der Personalplaner der Landeskirche, so habe er früher auch immer gedacht. Doch seit die Familie nicht mehr im Pfarrhaus wohnt, klagen die Kinder: „Papa, Du hast gar keine Zeit mehr für uns.“

Das evangelische Pfarrhaus in Dossenheim reckt seine morschen Balken der Herbstsonne entgegen. Es scheint zu lächeln. Seine Chancen für ein neues Leben stehen gut.

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