Ungebeugt – Abschied von Peter Schumann

Peter Schumann ist tot. Der bekannte Orgelvirtuose wurde 88 Jahre alt.

Ruhiger ist er nie geworden. Leiser auch nicht. Nur ein bisschen nachdenklicher, vielleicht. „Tief drin im Menschen gibt es einen Kern, der ihn hält und der ihn trägt“, bemerkte Peter Schumann einmal. Um sofort schelmisch nachzuschieben: „Diesen Kern kriegt auch die Kirche nicht kaputt.“ Das Lebensthema des Peter Schumann.

Mehr als 50 Jahre lang hat der evangelische Kirchenmusikdirektor die Heidelberger Szene geprägt, mit seiner Brillanz, seiner überbordenden Musikaliät und seinen skurrilen Einfällen. Jetzt ist Peter Schumann gestorben. Ungebrochen und ungebeugt. Er wurde 88 Jahre alt.

„Wer im Pyjama kommt, zahlt bei den Bachwochen die Hälfte“.

Samstagmorgen am Heidelberger Marktplatz. Es war früh, die Sonne schien, und vor der Heiliggeistkirche stand eine große Menschenmenge in Schlafanzügen. Das Publikum des Eröffnungs-Konzerts der Bachwochen. „Wer im Pyjama kommt“, hatte Peter Schumann auf das Plakat geschrieben, „zahlt die Hälfte.“

28 Jahre lang brillierte Schumann in der Heidelberger Heiliggeistkirche.

Eine unvergessene Aktion. In den 1980er- und 1990er-Jahren hat Peter Schumann in Heiliggeist unzählige davon inszeniert. Das Adventskonzert mit der Märklin „Spur 1“ beispielsweise, in deren Güterwagen man Liederwünsche legen durfte. Oder Karl Mays „Ave Maria“ kombiniert mit einer Rezitation aus Winnetou III. Oder das „Konzert für vier Orgeln und einen Schwebebahn-Rekorder“…

Solche Extravaganzen kann sich nur leisten, wer musikalisch auf höchstem Niveau agiert. „Peter Schumann“, schrieb die FAZ damals, „ist einer der profiliertesten Organisten Deutschlands“.

Schumann hat zeitlebens mehr Stunden in der Kirche verbracht als in seiner Wohnung.

So viel Brillanz ist natürlich nicht vom Himmel gefallen. Peter Schumann hat mehr Stunden in der Kirche verbracht als in seiner Wohnung. „Seit ich mit 12 Jahren zum ersten Mal in einem Gottesdienst die Orgel gespielt hat, gab es für mich kaum je einen freien Sonntag“, hat er gern erzählt.

Der junge
Peter Schumann
.

Es existiert wohl kein Choral, den Schumann nicht schon tausend Mal gespielt hat. In tausend unterschiedlichen Versionen. „Oh, dass ich tausend Zungen hätte“ war von jeher sein Liebling.

In Hanau wurde der langjährige Heiliggeistkantor geboren. Als einziges Kind eines musikalischen Paares: Die Mutter gab Klavier- und Geigenstunden. Der Vater, ein Spezialist für Lochkarten, spielte gern und gut Klavier.

In Oberaula, wohin die Familie vor den Bomben evakuiert worden war, unterhielt Vater Schumann abends am Piano die Bauern in der Dorfkneipe. Dem Pastor gefiel das, also ernannte er Schumann senior kurzerhand zum Organisten der evangelischen Kirche.

„Mir hat der Klang der Orgel so gut gefallen, dass ich nur noch geübt habe“.

Der damals 11-jährige Peter besah sich das neue Instrument und verliebte sich. „Mir hat der Klang der Orgel so gut gefallen, dass ich nur noch geübt habe.“ Mit allen Registern, versteht sich. „Irgendwann haben die Bauern die Sicherungen in der Kirche rausgedreht, damit ich endlich aufhöre“, erzählte Peter Schumann gern. „Doch ich habe den Kasten gefunden und alles wieder reingedreht.“

Fachsimpeln mit dem katholischen Kollegen: Schumann und Markus Uhl.

Nach dem Abitur ging’s nach Frankfurt. Zur Staatlichen Hochschule für Musik. Peter Schumann machte ein Examen in Schulmusik und eines als Privatmusiklehrer. Daneben legte das A-Examen in Kirchenmusik ab und absolvierte die Orgel-Solo-Klasse. 1960 ergatterte Schumann eine Kantorenstelle in Wiesbaden, fünf Jahre später wechselte er nach Hamburg. Die Stadt sollte seine lebenslange Liebe werden.

Drei Pfarrer kümmerten sich in den 1960er Jahren um die Kirche in West-Barmbek. Kantor Schumann wohnte im Souterrain. Der Sonntag war damals Großkampftag: 8 Uhr Frühgottesdienst, 9 Uhr Konfirmandengottesdienst, 10 Uhr Hauptgottesdienst, 11.15 Uhr Kindergottesdienst, 12.15 Uhr Taufgottesdienst. „Zwischendurch bin ich in meine Wohnung geschlichen und habe mir einen Kaffee gemacht.“ Unter der Woche studierte Peter Schumann an der Hamburger Uni Theologie. Vier Semester hat er durchgehalten.

Heidelberg suchte einen Nachfolger für die verstorben Lichtgestalt Bruno Penzien. Schumann setzte sich durch. Gegen 27 Konkurrenten.

28 Jahre wirkte Schumann
in Heiliggeist.

1969 kam einen Brief aus Baden-Baden. Der Südwestfunk fragte an, ob Schumann bei den Donaueschinger Musiktagen Cembalo und Elektroorgel spielen wolle. Das Konzert war ein Riesenerfolg. Die Radioleute belagerten Peter Schumann, doch weiter in den Süden zu ziehen. Man habe gehört, in Heidelberg sei etwas frei. Tatsächlich suchte die Heiliggeistkirche einen Nachfolger für die verstorbene Lichtgestalt Bruno Penzien. 27 Organisten bewarben sich, Peter Schumann bekam die Stelle. Er blieb 28 Jahre.

Heidelberg in den Siebzigern. Wasserwerfer, Demos, Sit-Ins, WGs, Sex and Drugs. Und mittendrin der junge Heiliggeistkantor. Restlos begeistert. Schnell hielt die Neue Musik hielt Einzug in seine Kirche. Lautstark und verstörend. Weil Niccolo Castiglionis „Kriegs- und Liebessymphonie für Orgel“ nach „terrible noise“ verlangte, ließ Peter Schumann Eimer und Kuchenbleche von der Empore herunterfallen.

Mitten hinein in Bachs „Johannespassion“ stammelten die Sänger Choräle von Mauricio Kagel. Und aus Protest gegen den Golfkrieg sang die Studentenkantorei „Friede auf Erden“ von Arnold Schönberg, während Hilde Domin Gedichte rezitierte. Heiliggeist leuchtete.

Bach rund um die Uhr, Weihnachtsoratorium zum Mitsingen, Kurzkonzerte für Eilige.

Auch das Heidelberger Publikum war begeistert. „Faszinierende 150 Minuten“, notierte die Rhein-Neckar-Zeitung nach einer Aufführung des „Messias“ in Heiliggeist. „Dutzende fanden keinen Sitzplatz und standen geduldig zweieinhalb Stunden lang.“ Über 200 Konzerte pro Jahr gab Peter Schumann. Dazu kamen Reisen um die ganze Welt. Die Studentenkantorei sang Bachs „Weihnachtsoratorium“ in Mailand, Mendelssohns „Elias“ in Breslau, Brahms Requiem in Budapest. Schumann solo wurde nach Japan und New York geladen.

Die Orgel in der Providenzkirche
war ihm im Alter eine Gefährtin
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Kaum zuhause angelangt, erfand Schumann schon wieder Neues. Die „Orgel-Kurzkonzerte für eilige Heidelbergbesucher“ beispielsweise. Das „Weihnachtsoratorium zum Mitsingen“. Oder einen Konzertzyklus zu Bachs Geburtstag am 21. März. Man begann morgens um 6 Uhr und endete kurz vor Mitternacht.

Obwohl sich Schumann mit Händen unf Füßen gewehrt hatte, musste er sich 1998 in den Ruhestand verabschieden.

Die Einnahmen aus den Konzertreisen flossen allesamt in Peter Schumanns Herzensprojekt: Die neue große Steinmeyer-Orgel für die Heiliggeistkirche. 1980 konnte sie endlich gebaut werden. 1994 erhielt Peter Schumann den Ehrentitel Kirchenmusikdirektor sowie das Bundesverdienstkreuz.

Am 29. Juni 1998 dann die Zäsur. Obwohl er sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, musste sich Peter Schumann an seinem 65. Geburtstag in den Ruhestand verabschieden. Er tat das mit dramatischem Gestus. Schlag 24 Uhr, während die Studentenkantorei noch mittendrin war in Bachs h-moll-Messe, übergab Peter Schumann den Taktstock an seinen Nachfolger. Die anschließende Abschiedsparty ist Legende.

Mit Pater Suitbert Jaspers
an der Klais-Orgel im Stift Neuburg.

Glücklicherweise gab es nicht nur in Heiliggeist eine Orgel.

Aber glücklicherweise gab es ja nicht nur in der Heiliggeistkirche eine Orgel. Überall lockten wunderbare Instrumente: Im Stift Neuburg, in Hirschhorn, Lorsch, Wiesloch, in Hoffenheim. Und so begann das zweite Leben des Peter Schumann. Es ist untrennbar verknüpft ist mit dem Verein „Musik in Kirchen und Klöstern“, einem Zusammenschluss hochkarätiger und solventer Musikliebhaber.

2001 wurde der Verein gegründet, der sofort ein großes Publikum in die Schumann Konzerte in die Kirchen der Region lockte. Zumal es sich Schumann mehr und mehr zur Aufgabe machte, junge Musikerbegabungen zu fördern. Aus den Orgelkonzerten mit Peter Schumann wurden dann Kammerkonzerte. Oft in sehr ungewöhnlicher Besetzung

Eine besonders enge Verbindung pflegte Peter Schumann lebenslang zur Abtei Neuburg. Im Ruhestand wurde die Klais-Orgel in der Klosterkirche mehr und mehr zu seiner zweiten Heimat. Bis vor kurzem kam er fast täglich wieder hierher. Um zu üben. Für die Zeit nach Corona. Wenn es wieder so richtig losgeht mit den Konzerten …

Er soll friedlich eingeschlafen sein. Ohne langes Leiden.

Späte Liebe: Schumann spielt
Lessings „Nathan der Weise“
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Acht Konzerte pro Jahr spielte Peter Schumann normalerweise im Stift Neuburg, fünf in Wiesloch, drei in Lorsch, je eines im Kloster Lobenfeld und in Hoffenheim. Dazu Bachs „Weihnachtsoratorium zum Mitsingen“ und kleinere Rollen als Mime im Heidelberger Taeter-Theater.  Die Schauspielerei war die letzte große Liebe des Peter Schumann. Selten hat ma ihn stolzer gesehen als nach seinem bejubelten Debut als Patriarch von Jerusalem in Lessings „Nathan der Weise“.

„Er hatte noch so viel vor.“ So sagt man, wenn ein junger Mensch gehen muss. Peter Schumann war 88 Jahre alt und konnte auf ein reiches, umjubeltes Leben zurückblicken. Dennoch gibt es keine Beschreibung, die genauer auf ihn zutrfft. „Er hatte noch so viel vor … “

Am Samstag, 12. Februar 2022 ist Peter Schumann im Krankenhaus Salem an den Folgen einer Operation gestorben. Er soll friedlich eingeschlafen sein. Ohne langes Leiden.

4 Gedanken zu „Ungebeugt – Abschied von Peter Schumann

  1. Lieber Peter,
    Deine herausragende Musikhandschriftvwird uns Alle fehlen ich selbst damals in Heidelberg wohnhaft mitten in der Altstadt vergesse nie dein herausragendes Engagment in der Heidelberger Musikwelt du wirst uns Alle sehr fehlen gedenke ich 1993 an den wunderschönen Abend in der überfüllten Heiliggeistkirche zum Konzert 300 Jahre Heidelberg nach der Zerstörung 1693 Hannes Esser legte einparken Rosen auf die Grabtimba von Kurfürst Karl Ruprecht und seiner Elisabeth von Hohenzollern überall Kerzen im Kirchenraum nachdenklich unter deiner Musik gedachten wir der Heidelberger Zerstörung vor 400 Jahren 1693 durch die Truppen des Französischen Sonnenkönigs Ludwig XIIII deine wunderschöne Musik stieg gen Himmel empor.

  2. Für tausende wie mich gehörte Peter Schumann fest zu Heidelberg. Ich hatte 1984 zum Geburtstag vor einem Konzert Schumanns in Heiliggeist eine LP der Reihe „Musik in Heiliggeist“ geschenkt bekommen. Wir waren damals meist weit schüchterner als Studierende seit mindestens 2000, und vor Klausuren oder Referaten an der Uni Heidelberg hörte ich zum Einschlafen immer „Christus, der ist mein Leben“ von Johann Pachelbel, das zweite Stück von Schumanns LP, Orgelwerke des Vorbarock und der Romantik. Schon schlief ich beruhigter ein.

    Und während ich öfter am Marktplatz stehenblieb, wenn – häufiger – aus Heiliggeist Orgelmusik zu hören war, kam es nach ein paar Mal vor, dass Peter Schumann, auf dem Weg zur Orgel, kurz grüßte, einfach mit dem Kopf nickte, und ich auch jedesmal. Dann hörte ich wieder von außen zu, was er übte.
    Mir sind dann viele LPs verbrannt, diese von Schumann aber zu meinem Glück nicht. Ich versuchte später, eine andere aus der Reihe zu kaufen, fand sie aber nirgendwo. Meiner Meinung nach hatte es 3 Platten gegeben, Barock und Gegenwart, und eine mit Mozart und mehr – aber sowas träumt man ja leicht. Für mich wird der Marktplatz Heidelbergs immer mit Peter Schumann verbunden sein, der da zu seiner Orgel geht.

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