Natürlich saßen die Brüder vor dem Bildschirm am Abend des legendären 13. März 2013. Und natürlich haben sie sich gefreut, als sie den Namen des neuen Papstes hörten. Vor allem aber haben die Mannheimer Franziskaner-Mönche gestaunt über den Mut des Jesuiten aus Argentinien. „Papst Franziskus legt mit der Wahl seines Namens die Latte ziemlich hoch.“
Der heilige Franz von Assisi habe ja nicht nur mit Vögeln gesprochen, sondern er sei einen radikalen Weg gegangen, formuliert Bruder Frank Hartmann, der Guardian des kleinen Konvents. „Gegen die Verkrustungen in der Kirche!“ Ein Rebell als päpstlicher Namenspatron? Ein Besuch beim „Ordo Fratrum Minorum“ (OFM), dem „Orden der Minderen Brüder“ in der Mannheimer Neckarstadt.
Rangunterschiede passen nicht zu einem Leben in der Nachfolge des heiligen Franziskus
Die Kirche aus gelbem Sandstein ist riesig, völlig schmucklos und praktisch unheizbar. Eine Kathedrale des Jugendstil. Die Fenster in der gewaltigen Kuppel über dem Chor sind zugemauert; nur noch im mittleren der drei Schiffe stehen Bänke.
Obwohl 1912 mit viel Enthusiasmus geplant, wollte 1915 nach der Weihe niemand mehr St. Bonifatius haben. Es war Krieg. Dann kamen die Franziskaner. 1928 setzte der Orden ein kleines Klösterchen neben die Kirche. Sieben Brüder in den braunen Habits mit dem weißen geknoteten Strick um die Taille zogen ein. Von Anfang an übernahmen sie auch die Verantwortung für die Pfarrei.
Heute leben fünf Franziskaner-Mönche in Mannheim. Die meisten sind Ordenspriester, benutzen aber den Titel „Pater“ nur ungern. Rangunterschiede, finden sie, passen nicht zu einem Leben in der Nachfolge des heiligen Franziskus. Weshalb es in einem Franziskanerkloster auch keinen Abt gibt. Der jüngste der fünf Minderen Brüder von Mannheim bereitet sich gerade auf die ewige Profess vor. Im April verspricht Markus Steinberger OFM, ehemals Besitzer einer Computerfirma, auf Lebenszeit arm, ehelos und gehorsam zu bleiben.
Der Franziskanerorden ist hinter den Jesuiten die zweitgrößte Kongregatin. Weltweit.
Bruder Markus ist eine Ausnahme. Auch bei den Franziskanern sind Berufungen selten geworden. In den vierzig Gemeinschaften in Deutschland gibt es zwei Novizen. „Nur 50 Brüder sind noch unter 50 Jahre alt“, erzählt Bruder Frank. 50 von etwa 390.
Weltweit zählt der Franziskanerorden 15500 Mitglieder. Er ist damit hinter den Jesuiten die zweitgrößte Kongregation. Mannheim ist ein recht junger Konvent. Und eine internationale. Bruder Joaquim Garay stammt aus El Salvador. Er hat sich ebenso wie alle seine Brüder schon als Jugendlicher für Franz von Assisi begeistert. Nicht etwa wegen der radikalen Armut, die der Heilige lebte. Der heilige Franziskus, sagt Bruder Joaquim, habe selbst in den furchtbarsten Stunden seines Lebens „die Nähe zum menschenfreundlichen Gott gespürt und in die Welt hinein getragen.“
Vom goldenen Sohn zum Büßer in brauner Wollkutte
Assisi im Jahr 1181. Als Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers wurde Giovanni „Francesco“ Bernadone geboren. Er besuchte die besten Schulen und genoss das Leben eines privilegierten Sohnes aus reichem Hause. Mit 23 zog er in den Krieg, geriet in Gefangenschaft und wurde schwer krank. Erst nach zwei Jahren kehrte er traumatisiert zurück nach Hause.
Vor den Augen des Bischofs riss sich der junge Mann die Kleider vom Leib, warf sie seinem Vater vor die Füße und schlüpfte in eine raue Büßerkutte aus brauner Wolle. Ein starker Auftritt mit klarer Ansage. „Franziskus war zeitlebens ein Suchender“, meint Bruder Markus Steinberger. „Er rang unermüdlich um den Weg Gottes.“
„Geh hin und stelle mein Haus wieder her!“
Als Franziskus, der Bettelmönch, wieder einmal in einer zerfallenen Kapelle vor dem Kreuz betete, hörte er in einer Vision die Stimme Jesu: „Geh hin und stelle mein Haus wieder her!“ Es dauerte eine Weile bis Franziskus verstand. Er sollte der verkrusteten, machtgierigen Kirche durch sein Beispiel zeigen, wie echte, authentische Nachfolge Christi aussehen kann. Franz brach auf.
Er lebte radikale Armut und vollkommene Gewaltlosigkeit, sah in allen Wesen und Dingen seine Brüder, konzentrierte sich ganz auf das Hier und Heute, glaubte felsenfest an die Führung Gottes und das Gute im Menschen.
Es war, als ob die Leute auf solch ein Signal gewartet hätten. In kürzester Zeit entwickelte sich die franziskanische Bewegung zu einem Erdrutsch. Mit Leichtigkeit hätte Franziskus jetzt eine eigene Kirche zu gründen können. Doch daran hat er nie gedacht. Franziskus war ein Rebell, aber nie ein Revolutionär. Stets trug er Sorge, dass seine Bewegung in der Kirche verankert blieb. Kritik übte er trotzdem. „Franziskus hat mit großem Selbstbewusstsein Briefe an die Regierenden geschrieben“, berichtet Bruder Frank Hartmann aus Mannheim.
Wichtig ist das Bewusstsein, jederzeit frohen Herzens alles hergeben zu können
Womit wir wieder in der Neckarstadt wären. Etwa 50000 Menschen zählt dieser Stadtteil, fast die Hälfte hat Migrationshintergrund. Es gibt bürgerliche Viertel mit schönen Gründerzeithäusern, aber auch Straßenzüge, in denen man keinen einzigen Christen mehr findet. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Armut sichtbar. „Soziale Randlage“, definiert Bruder Frank. „Ich bin froh, dass wir hier leben. Wir sehen es als unsere Aufgabe, Sprachrohr zu sein für diejenigen, die an den Rand gedrängt werden.“
Ihren Lebensstil nennen die Mannheimer Brüder nicht „arm“, sondern „einfach und bescheiden.“ Wichtig sei allein das Bewusstsein, jederzeit frohen Herzens alles hergeben zu können. „Wenn Gott mich hält, kann ich alles lassen.“
Ein Lateinamerikaner mit italienischen Wurzel und ein Jesuit namens Franziskus
Natürlich saßen die Brüder vor dem Bildschirm am Abend des legendären 13. März. Und natürlich haben sie sich Gedanken darüber gemacht, was die Namenswahl des neuen Papstes wohl bedeuten mag. „Auch heute haben wir viele Verkrustungen in unserer Kirche“, sagt Bruder Frank Hartmann. „Ich hoffe, dass der heilige Franziskus dem Papst die nötige Kraft gibt, im Vatikan aufzuräumen und den Reformstau anzupacken.“
Die Seelsorge werde immer unpersönlicher. Priester fehlten an allen Ecken und Enden. Die Zugangsvoraussetzungen zum Priesteramt müssten geändert werden. Die Frauen gehörten einbezogen. Bruder Joaquim aus El Salvador lächelt. Der neue Papst, sagt Joaquim, ist ein Symbol dafür, dass aus den Unterschieden in der Kirche Einheit entstehen kann. „Er ist Lateinamerikaner mit italienischen Wurzeln und ein Jesuit namens Franziskus.“