Als die Synode der Evangelischen Kirche von Deutschland (EKD) Mitte November 2014 den Namen ihres neuen Ratsvorsitzenden bekannt gab, brach nicht nur in Bayern Jubel aus. Auch in Heidelberg knallten die Korken. 17 Jahre hat Heinrich Bedford-Strohm in der Neckarstadt gelebt.
Er hat hier studiert, promoviert, sich habilitiert und Fußball gespielt. Zwei seiner Söhne wurden in Heidelberg geboren. Jonas studiert inzwischen wieder hier. Theologie.
Beate Weber, die frühere Oberbürgermeisterin, ist eine enge Freundin von Heinrich Bedford-Strohm. Professor Christoph Strohm, der Ordinarius für Kirchengeschichte an der Ruperto Carola, sein Bruder. Professor Theodor Strohm, der langjährige Leiter des Diakoniewissenschaftlichen Instituts, sein Onkel. Die Liste ließe sich fortsetzen. „Die Zeit in Heidelberg war prägend“, sagt Heinrich Bedford-Strohm. „Die Stadt ist nach wie vor eine große Liebe von mir.“
Zwanzig Quadratmeter im Altbau. Zum Duschen ging’s in Schwimmbad.
Der Bedford-Strohm-Spaziergang beginnt mitten in der Altstadt, in der Apothekergasse 9. Im Jahr 1982 teilte sich hier ein Studentenpärchen zwei winzige Zimmer. Heinrich Strohm studierte Theologie, seine amerikanische Freundin Deborah Bedford Psychologie. „Wir hatte etwa zwanzig Quadratmeter im Altbau. Ein Bad gab es nicht. Zum Duschen mussten wir ins Schwimmbad“, erinnert sich der Bayerische Landesbischof.
Aber man war ja jung, verliebt und lebte in einer aufgeregten Zeit. Rote-Armee-Fraktion, Pershings, Atomkraftwerke, der Hunger in der Welt, bewaffneter Widerstand in Nicaragua. Ob in Seminaren oder verräucherten Kneipen – diskutiert wurde rund um die Uhr.
Wenn es sein musste, setzte er sich auch vor ein Atomdepot und kassierte ein Strafmandat
Theologiestudent Strohm engagierte sich in der Friedensbewegung. Wenn es sein musste, setzte er sich auch vor ein Atomdepot und kassierte ein Strafmandat. Das vierte von fünf Kindern des Pfarrers Albert Strohm hatte auf dem Coburger Casimirianum eine humanistische Bildung erhalten und war schon als Schüler in die SPD eingetreten. Folgerichtig kandidierte Heinrich Strohm für das Amt des Schülersprechers und wurde gewählt. „Der Bayerische Landesbischof“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung nach der Wahl zum EKD-Vorsitzenden, „ist intellektuell, fleißig und rhetorisch begabt, er tritt zugänglich, freundlich und ausgleichend auf.“
Nach dem Abitur 1979 hätte es sich Heinrich mit seiner Berufswahl leicht machen können. „Die Strohms sind seit Generationen Theologen“, erklärt Professor Theodor Strohm. Der Evangelische Pressedienst führt den Familien-Stammbaum sogar bis auf Lucas Cranach zurück. Heinrich Strohm aber wählte Jura. In Erlangen. Drei Semester hielt er durch, dann wechselte er nach Heidelberg und zur Theologie. Seine spätere Frau Deborah hatte er schon während der Schulzeit bei einem Austausch kennengelernt.
„Das war Aufbruch. Das war Weite“
Sozialethik und Ökumene waren die beiden beherrschenden Themen in der Heidelberger Theologie Mitte der Achtziger Jahre. Student Strohm stand in Flammen: „Das war Aufbruch. Das war Weite.“ Die markanteste Persönlichkeit an der theologischen Fakultät hieß Wolfgang Huber, der zusammen mit seinen Kollegen Dietrich Ritschl und Theo Sundermeier die Buchreihe „Ökumenische Existenz heute“ gegründet hatte. Sie avancierte rasch zum Thinktank der modernen evangelischen Theologie.
In jenen Jahren des Aufbruchs hielt man alles für möglich. Sogar eine unverzügliche Wiedervereinigung der Konfessionen. Weshalb in Neckargemünd das ökumenische Zentrum „Die Arche“ gegründet wurde. Genau vierzig Jahre ist das jetzt her.
In der Arche spielt es keine Rolle, ob man evangelisch oder katholisch ist. Man tut sowieso alles gemeinsam. Beten, singen, kochen, trommeln, tanzen, Gottesdienst feiern, Posaune blasen, ins Theater gehen. Es gibt ein gemeinsames Pfarrbüro, ein gemeinsames Gesangbuch und einen „Öku-Rat“, eine Melange aus Pfarrgemeinderat und Ältestenkreis. In den ersten zehn Jahren feierte man sogar Eucharistie und Abendmahl zusammen. Dann schob das Ordinariat in Freiburg einen Riegel vor.
Kara und Wolfgang Huber wie auch Deborah und Heinrich Bedford-Strohm waren begeistert von der Arche. Valeska Huber, die Tochter, wurde hier getauft. Deborah Bedford-Strohm engagierte sich im Öku-Rat. „Die Arche ist die überzeugendste christliche Gemeinde, die mir begegnet ist“, schreibt Wolfgang Huber im Vorwort zum Arche-Buch.
Huber und Bedford-Strohm: Die „Hochburg des Linksprotestantismus“ (FAZ)
Wolfgang Huber und Heinrich Bedford-Strohm. Achtzehn Jahre trennen die beiden Bischöfe, die seit ihrer Heidelberger Zeit eng befreundet und so etwas wie ein evangelisches Dreamteam sind. Von 1989 bis 1992 war Bedford-Strohm Hubers Assistent am Lehrstuhl für Sozialethik, den die FAZ die Hochburg „des deutschen Linksprotestantismus“ nennt. „In der Heidelberger Denkwerkstatt wurden Kapitalismuskritik, Rüstungsgegnerschaft und Sozialstaatsausbau theologisch unterfüttert.“ (FAZ) Heinrich Bedford-Strohm nickt. Gut so. „Wer fromm ist, muss auch politisch sein.“
1985 wurde geheiratet. In Boston, „weil es in Amerika möglich ist, dass die ganze Familie einen Doppelnamen trägt“. Deborah war bei der Hochzeit 26 Jahre alt, Heinrich 25. Alle drei Söhne haben zwei Namen, zwei Staatsbürgerschaften und zwei Muttersprachen.
Kaum waren die Examina bestanden, stürzte sich Bedford-Strohm in die Politik
Das Ehepaar zog in die Plöck 60. Ein unrenovierter Altbau mit verwunschenem Garten zur Ebert-Anlage hin. Immerhin: In der Küche gab es jetzt eine Dusche. Die Toilette allerdings befand sich im Treppenhaus und fror im Winter regelmäßig ein. „Wir haben beide Wohnungen in der Altstadt geliebt“, erinnert sich Heinrich Bedford-Strohm. „Für den Innenhof der Plöck 60 haben wir sogar einmal beim Begrünungswettbewerb der Stadt einen zweiten Preis gewonnen. Er war so schön urig und naturbelassen.“
Kaum waren alle Examina bestanden, stürzte sich Heinrich Bedford-Strohm in ein neues Abenteuer: 1990 kandidierte mit Beate Weber (SPD) erstmals eine Frau für das Amt des Heidelberger Oberbürgermeisters. Heinrich Bedford-Strohm übernahm ihr Pressebüro. Ehrenamtlich. Der junge Theologe schrieb Artikel, telefonierte mit Journalisten, ersann Slogans und verfasste Reden. Beate Weber gewann die Wahl und blieb 16 Jahre lang Oberbürgermeisterin von Heidelberg.
Im kapitalistischsten aller Länder fand er sein Lebensthema: Die soziale Gerechtigkeit
Im Spätjahr 1990 erhielt Heinrich Bedford-Strohm ein einjähriges Promotions-Stipendium für die Pacific School of Religion in Berkeley, Kalifornien. Hier im kapitalistischsten aller Länder fand er sein Lebensthema: Die soziale Gerechtigkeit. „Die katholische Bischofskonferenz von Amerika hatte 1986 einen Hirtenbrief verfasst, in dem sie wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle forderte“, berichtet Professor Theodor Strohm, der Diakoniewissenschaftler.
Die amerikanischen Bischöfe beriefen sich einerseits auf die Enzyklika „Rerum novarum“, in der Papst Leo XIII schon 1891 dringend einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus anmahnte. Andererseits knüpfte die US-Bischofskonferenz an die lateinamerikanische „Theologie der Befreiung“ an. Sie fordert von der Kirche, sich eindeutig auf die Seite der sozial Schwachen zu stellen. „Vorrang für die Armen“ überschrieb Heinrich Bedford-Strohm seine Dissertation.
„Heinrich hat so viel über die katholische Soziallehre gearbeitet, dass er sich mit Kardinal Marx gut verständigen kann“, lächelt Professor Theodor Strohm, der Diakoniewissenschaftler. Vom Münchner Büro des EKD-Ratspräsidenten bis zum Büro des Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz braucht man zu Fuß zehn Minuten. Der Weg führt durch den Englischen Garten.
„Als Verteidiger auf dem Fußballplatz kennt Heinrich keine Gnade“
1992 war’s vorbei mit der Boheme im Hause Bedford-Strohm. Sohn Jonas wurde geboren, eine Doppelhaushälfte musste her. Man fand sie in Wieblingen. Vermieter Max-Peter Gantert, war Steuerberater, Vater von acht Kindern und Gründungsmitglied des Fußballclubs ASC Neuenheim. Kurzerhand lud er „den Heinrich“ zum Training der Altherren-Mannschaft ein und hatte einen Stammspieler gefunden. „Heinrich ist ein knallharter und blitzschneller Verteidiger, der auf dem Fußballplatz keine Gnade kennt“, berichtet Max-Peter Gantert.
Tagsüber backte der Dr. theol. bescheidenere Brötchen als Lehrvikar in Heddesheim. Der dortige Pfarrer hieß Dr. Konrad Fischer und ist der Vater des heutigen Weststadt-Pfarrers Maximilian Heßlein. Weshalb der Bayerische Landesbischof immer gern in die Christuskirche kommt. „Ich fühle mich in Heidelberg so zu Hause, dass ich wahrscheinlich nachher am Zaun mein Fahrrad suche und mich wundere, wenn ich es nicht finde“, formulierte der Bischof bei seinem letzten Besuch.
Heute Heddesheim, morgen New York. Bei Bedford-Strohm muss man mit allem rechnen. 1995, der zweite Sohn Lennart war im Jahr zuvor auf die Welt gekommen, Nathan gerade unterwegs, übersiedelte die Familie an den East River. Eine Gastdozentur lockte. Aber schon ein Jahr später standen die Bedford-Strohms wieder mit Sack und Pack vor dem Haus von Max-Peter Gantert. „Manhattan war kein Ort, um Kinder großzuziehen“, erklärt der EKD-Vorsitzende. Was nun? „Ein Vierteljahr haben die Fünf bei uns im Souterrain campiert, dann sind sie zurück nach Coburg gezogen“, erinnert sich Steuerberater Gantert.
Pfarrer in Coburg. Die Fußstapfen des Vaters. Kein einfacher Schritt.
Pfarrer in Coburg. Die Fußstapfen des Vaters. Sicher kein einfacher Schritt. 1998 habilitierte sich Heinrich Bedford-Strohm mit einer sozialethischen Arbeit über „Gemeinschaft aus kommunikativer Freiheit“. Bedford-Strohm sucht darin nach einem verbindenden Glied zwischen der Isoliertheit des Menschen in der Gesellschaft einerseits und der Selbstaufgabe in der Gemeinschaft andererseits.
„Diese Habilitation ist eine sehr wissenschaftliche Arbeit“, lobt Professor Theodor Strohm. „Es ist erstaunlich, mit wie viel Literatur sich Heinrich auseinandergesetzt hat.“ Der Lohn für die Mühe: 2004 erhielt Heinrich Bedford-Strohm einen Ruf an die Universität Bamberg. Spezialgebiet: Theologische Gegenwartfragen.
Sieben Jahre später dann der Wahlkrimi von München. Sechs Wahlgänge brauchte die Synode, um sich zwischen drei starken Kandidaten zu entscheiden. Am Ende votierte man für Professor Heinrich Bedford-Strohm. Die Dienstwohnung des Landesbischofs von Bayern liegt in der Himmelreichstraße. Wenn man mit der Straßenbahn dorthin fährt, muss man an der Haltestelle „Paradies“ aussteigen.