Kirche 2030: Ein Herz und eine Seele

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Wie geht es weiter, mit den Kirchen?
Ein Interview aus der Zukunft

Wir schreiben das Jahr 2030. Fünf Jahre sind vergangen seit der sensationellen Wiedervereinigung der beiden großen Kirchen Deutschlands. Erinnern wir uns.

Im Sommer 2025 sank die Zahl der Menschen, die einer der beiden großen christlichen Kirchen angehörten, auf dreißig Prozent. Weshalb die Initiative „Ein Herz und eine Seele“, die damals schon eine Million Mitglieder zählte, dazu aufrief, die Trennung der Konfessionen sofort zu beenden.

Fortan sollten sich alle Christen gemeinsam im größten Kirchengebäude am Ort zum Gottesdienste versammeln. Die Tagesschau zeigte überfüllte Gotteshäuser, in denen sich die Menschen in den Armen lagen. Nur vier Wochen später genehmigte der Papst den „deutschen Sonderweg“. Ein Interview aus der Zukunft.

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Herr Erzbischof, Herr Landesbischof, seit fünf Jahren leiten Sie die deutsche Kirche nun gemeinsam. Was hat Sie am meisten überrascht?

Landesbischof: Wie schnell die Jugend zurück kam. 2016 gingen alle Prognosen davon aus, dass 2030 nur noch zwei Prozent der Kirchgänger unter 20 Jahre alt sein werden. Und jetzt schauen Sie sich um. Mehr als die Hälfte der Gottesdienstbesucher ist jünger als 30. Ich denke, das liegt an der Goldgräberstimmung, die seit der Einheit in unseren Kirchen herrscht. Wir sind Pioniere im weiten, unerforschten Land des Glaubens. Alles ist erlaubt, jede Mischung darf ausprobiert werden. Das ist spannend. Das macht Spaß. Das zieht die Jugend an.

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Erzbischof: Auch die Künstler haben die Kirche wiederentdeckt. Wenn auch noch nicht unbedingt zum Beten. Wir standen ja vor fünf Jahren vor dem Problem, dass durch die Einheit die Hälfte unserer Gotteshäuser überflüssig geworden war. Was sollten wir tun mit all diesen schönen, heiligen Räumen? Verkaufen oder abreißen wollten wir sie nicht, also wandelten wir sie in „Sonderorte“ um. Avantgardistische Kunst und Religion beispielsweise passen hervorragend zusammen. Beide ringen um dieselben Fragen: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Gibt es einen Sinn?

Die Antworten der Künstler fallen aber meist anders aus als die der Kirche.

Erzbischof: Hauptsache man kommt ins Gespräch. Wir haben schon lange aufgehört, die Menschen zu missionieren. Ich mag mich gar nicht zurückerinnern an diese schreckliche Zeit Ende der 2010er-Jahre, als wir verzweifelt versucht haben, die Menschen in die Kirchen zurückzuholen. Keine Spur von gelassenem Gottvertrauen. Nur Angst. Und die hat letztendlich zu noch mehr Austritten geführt.

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Heute gehe ich absichtslos auf Menschen zu und bin gespannt, wie sich die Dinge entwickeln. Und ich kann sagen: Sie entwickeln sich großartig. Erst kürzlich hatten wir in einer Kirche eine Ausstellung, die Blinde konzipiert haben. Den Besuchern wurden am Eingang die Augen verbunden. Es gab nur Kunstwerke, die man hören, tasten, riechen oder schmecken konnte. Die Leute standen von morgens bis abends Schlange. Die Andachtsräume waren überfüllt.

Landesbischof: Ich staune immer wieder, wie rasant sich der Dialog der Religionen seit der christlichen Einheit entwickelt hat. Das liegt zum einen daran, dass wir einen Teil der entwidmeten Kirchen in Begegnungsorte umgewandelt haben. Diese ehemaligen Gotteshäuser sind heute frequentierte Mittelpunkte ihrer Dörfer und Stadtviertel. Viele werden bewirtschaftet.

Andererseits zeigt der interreligiöse Religionsunterricht, den wir 2026 flächendeckend eingeführt haben, Wirkung. Die Kinder, die meist ohne religiöse Erziehung eingeschult werden, wachsen auf mit dem Wissen um die Verschiedenheiten der Religionen und können auf dieser Grundlage den eigenen Glauben finden. Vielleicht hat ja diese Kombination aus Wissensvermittlung, Diskussion und Entscheidungsfreiheit die jungen Leute wieder in die Kirche zurückgebracht. Heute sind die meisten Täuflinge jedenfalls 16 Jahre und älter.

Eine kurze Zwischenfrage an den Erzbischof: Haben Sie die Abschaffung des Zölibats und die Frauenordination in der Zwischenzeit verwunden?

Erzbischof (lacht): Das ist doch Schnee von gestern. Ich bin von Herzen froh, dass wir Priester uns endlich wieder um den Glauben kümmern können und nicht mehr in der Trostlosigkeit des Personalmangels versinken. Davon abgesehen gibt es viele Pfarrer und Pfarrerinnen, die – wie ich auch – freiwillig zölibatär leben und glücklich sind.

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Landesbischof: Wenn ich noch hinzufügen darf, welche Erleichterung es für mich ist, nicht mehr unentwegt aufs schrumpfende Budget starren zu müssen. Durch die Vereinigung haben sich die Kosten halbiert und die freiwillige Kirchensteuer fällt reichlicher aus, als ursprünglich erwartet. Wir konnten schon viele diakonische Projekte anstoßen.

Sie sprechen viel von Freiheit, Vielfalt, Abenteuer. Liegt da nicht die Gefahr nahe, dass der Glauben in die Beliebigkeit abdriftet. Vor allem, wenn ein fester Ritus fehlt.

Erzbischof: Uns war von Anfang an klar, dass es in der Vereinten Kirche eine große Vielfalt von Gottesdienst-Formen geben muss. Sonst wäre ein Zusammenschluss nicht möglich gewesen. Wir erkennen darin die entscheidende Herausforderung, vor die uns Gott im 21. Jahrhundert stellt: Verschiedenheit aushalten. Das spiegelt sich auch in unseren Gottesdienst-Räumen wieder. Da steht der katholische Tabernakel neben der Lutherbibel, die Kniebänkchen von Taize stapeln sich neben den afrikanischen Trommeln. Aber natürlich freut es mich, dass die katholische Messe noch immer eine der gefragtesten Gottesdienstformen ist.

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Landesbischof: Tatsächlich wäre die Einheit an der Ritus-Diskussion beinahe gescheitert. Gerettet hat uns die Erinnerung an die Reformation selbst. Martin Luthers Protest richtete sich ja nicht eigentlich gegen die katholische Kirche und den römischen Ritus, sondern Luther kritisierte den Missbrauch der Macht durch kirchliche Würdenträger. Das war Menschenwerk und nicht Gottes Absicht. Vielleicht verhält es sich mit den Riten ebenso. Sie sind äußere Hüllen, die den Menschen Halt geben. Gott braucht sie nicht. Er sieht allein den Glauben eines Menschen.

Und wie geht es jetzt weiter mit der Einheitskirche?

Landesbischof: Im kommenden März trifft sich das Kardinalskollegium mit dem Lutherischen Weltbund im Petersdom zum III. Vatikanischen Konzil. Das wichtigste Thema wird die neue Form der Papstwahl sein. Wir deutschen Bischöfe plädieren dafür, dass der Papst künftig direkt vom Kirchenvolk gewählt wird. Jeder Christ über 15 Jahre hat eine Stimme.

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