Der Herr der Chöre

Künftig trifft man ihn überall: Heidelbergs
Bezirkskantor Michael Braatz-Tempel

Die evangelische Friedenskirche in Heidelberg-Handschuhsheim ist zwar schon seit einem Jahr fertig, gebaut wird dort aber immer noch. Momentan ist das Pfarrhaus dran. Überall liegen Bretter. Es staubt. Und in Michael Braatz-Tempels Büro muss eine Weinkiste als Tisch herhalten. Den Kirchenmusiker stört das alles nicht.

„Ich spiele sehr gern in den Gottesdiensten der Friedenskirche und möchte mir diese Aufgabe unbedingt erhalten“, erklärt der 44-Jährige. Ganz einfach wird das nicht. Seit zwei Monaten ist Braatz-Tempel der neue evangelische Bezirkskantor von Heidelberg und damit zuständig für die Kirchenmusik in der gesamten Stadt.

Zwanzig evangelische Kirchengemeinden gibt es Heidelberg. Nur drei von ihnen beschäftigen noch einen hauptamtlichen Kirchenmusiker: Die Heiliggeist-Providenz-Gemeinde in der Altstadt, die Johannesgemeinde in Neuenheim und eben die Friedensgemeinde in Handschuhsheim.

Die evangelische Kirchenmusik in Heidelberg agiert auf hohem Level

Die Friedenskirche in Handschuhsheim: Außen eine feste Burg …

„Es trifft sich etwas unglücklich, dass alle drei hauptamtlichen Kantoren im Norden der Stadt tätig sind“, findet Michael Braatz-Tempel. Als Bezirkskantor will er dafür zu sorgen, dass künftig auch im Süden und im Westen hochkarätige Kirchenkonzerte stattfinden. „Außerdem möchte ich anregen, dass wir drei immer wieder Gottesdienste in Kirchheim, Rohrbach, in der Weststadt oder auf dem Emmertsgrund gestalten.“ In Klammern bemerkt: Die katholische Kirche hat in Heidelberg nur einen hauptamtlichen Kirchenmusiker. Er wirkt an der Jesuitenkirche.

Derzeit befindet sich Michael Bratz-Tempel auf einer Vorstellungstour durch die Gemeinden. Der neue evangelische Bezirkskantor will die vielen nebenamtlichen Organisten und Chorleiter, aber auch die Kirchenräume und Orgeln kennenlernen. Sein erster Eindruck, sagt der Handschuhsheimer, sei positiv. „Die evangelische Kirchenmusik in Heidelberg agiert auf hohem Level. Wir haben sehr schöne Instrumente und viele gute Musiker.“

… innen ultramodern

Damit das so bleibt, will der neue Bezirkskantor fleißig Nachwuchs akquirieren und Orgelunterricht geben. „Die Orgel ist ein tolles Instrument“, strahlt Braatz-Tempel. „Man kann sich an ihr richtig austoben, gewaltig Lärm machen und hat schnell Erfolg.“

„Seit ich 15 bin, verdiene ich mit dem Orgelspielen Geld“

Mit 13 Jahren zog Michael Braatz-Tempel zum ersten Mal die Register. In der Grafschaft Wittgenstein, einem idyllischen Fleckchen Erde südlich des Sauerlandes, wo es nur „Wald, Wisente und das Fürstenhaus Sayn-Wittgenstein gibt“ (Braatz-Tempel). Der Wisent ist eine Art europäischer Bison, also ein Wildrind. Die Prinzessin von Sayn-Wittgenstein ist die Schwester der dänischen Königin.

„Einmal durfte ich bei einer Fürstenhochzeit Orgel spielen“, erinnert sich der Heidelberger Bezirkskantor. Nachhaltig beeindruckt hat ihn die royale Tuchfühlung jedoch nicht. Vater Braatz war Realschullehrer. In seinem Zimmer stand das Klavier, zu dem sich der Sohn schon früh hingezogen fühlte. Der erste Schritt in Richtung Orgel.

„Seit ich 15 bin verdiene ich mit Orgelspielen Geld“

„Seit ich 15 bin, verdiene ich mit dem Orgelspielen Geld“, lächelt Michael Braatz-Tempel. Das erste Rennrad habe er ebenso mit Orgelgeld finanziert wie später sein Studium. „Ich wollte immer unabhängig sein. Und Organisten werden überall gebraucht.“

Michael Braatz-Tempel gründete einen Chor nach dem anderen 

So zielstrebig sich der Lebenslauf des Handschuhsheimer Kantors liest, war sein Weg in Wirklichkeit nicht. „Nach dem Abitur und dem Zivildienst habe ich lange überlegt, was jetzt kommen soll“, verrät er. Die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg sei eher ein Versuchsballon gewesen. „Wenn das nicht geklappt hätte, hätte ich wohl Theologie und Germanistik studiert.“ Soweit kam es nicht. 1997 unterschrieb der frischgeprüfte Kirchenmusiker den Vertrag als Kantor von Handschuhsheim.

Die Stufenanlage in der Friedenskirche zitiert Hölderlin: „bald aber sind wir gesang“

Viele Stürme sind seitdem über die Friedenskirche hinweggezogen. „Michael Braatz-Tempel war oft der letzte Hort der Harmonie in dieser Gemeinde“, sagte Pfarrer Gunnar Garleff bei der Einführung des neuen Bezirkskantors. Unbeeindruckt vom Streit um die Neugestaltung der Kirche gründete Braatz-Tempel, der sein privates Glück in einem Häuschen in Leuterhausen gefunden hat, einen Chor nach dem anderen.

Überregionales Renommee hat sich die Kantorei der Friedenskirche ersungen. 70 feste Mitglieder hat der Chor. Man trifft sich regelmäßig einmal in der Woche zur Probe und ganz oft am Wochenende zu gemeinsamen Unternehmungen. Wandern, kochen, feiern. „Ich halte regelmäßige Proben für unverzichtbar“, sagt Michael Braatz-Tempel. Ein Chor müsse zusammenwachsen, um erfolgreich zu sein.

„Der Kinderchor könnte zum wichtigen Instrument der Gemeindearbeit werden“

Das meistdiskutierte Thema unter Kirchenmusikern ist allerdings nicht der Topchor sondern der Kinderchor. Chöre für Kinder jeder Altersstufe sprießen derzeit in den Gemeinden wie Pilze aus dem Boden und werden eifrig nachgefragt. Auch von jungen Sängern, deren Eltern keine Kirchenmitglieder sind.

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Braatz bietet „Kinderchorleitung“ an der Hochschule an

„Der Kinderchor könnte zu einem wichtigen Instrument in der Gemeindearbeit werden“, überlegt Michael Braatz-Tempel. „Die Eltern kommen zu allen Gottesdiensten, in denen ihre Kinder singen, auch wenn sie sonst nichts mit der Kirche zu tun haben.“ Die Schwellenangst wäre damit schon einmal überwunden. Und wer weiß, vielleicht findet der eine oder andere ja auch den Weg zurück zu Gott.

An Michael Braatz-Tempel jedenfalls soll es nicht scheitern. Er bietet neuerdings sogar das Fach „Kinderchorleitung“ an der Hochschule für Kirchenmusik an. Das gab es dort noch nie. Langfristig gesehen, meint der Bezirkskantor, zahle sich gute Kinderchor-Arbeit auf jeden Fall aus. „Wer jahrelang im Kinderchor gesungen hat, entwickelt eine so tiefe Beziehung zur Kirchenmusik, dass er garantiert irgendwann wieder nach einem Kirchenchor sucht.“

 

Ein Gedanke zu „Der Herr der Chöre

  1. Lieber Michael,
    viele liebe Sonntagsgrüße aus Erndtebrück vom Chormitglied des Kirchenchores
    Klaus Völkel, Pulverwaldstr.
    (Wir haben mal einige Jahre zusammen mit Christof Lagemann im Pfarrhaus neben der Kirche gewohnt.)
    Leider kann ich an unserer Fahrt zu dir nicht teilnehmen.
    Dir wünsche ich privat und beruflich weiterhin alles Gute und den Segen Gottes.

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