Plötzlich Erzbischof

Die Wahl von Stephan Burger war eine Riesenüberraschung

Im Chor der katholischen Pfarrkirche von Rot im Kraichgau knien zwei klassizistische Engel neben dem Tabernakel. Sie haben die Gestalt von jungen Männern und wollen nicht recht zur schnörkellos-modern renovierten Kirche passen. Weshalb Stephan Burger, damals noch der Pfarrer von Rot, beschloss, die Flügelwesen aus dem Altarraum zu verbannen. Er hatte die Rechnung ohne die Engel-Fans gemacht.

Ein Konflikt bahnte sich an, in dem es keinen Kompromiss zu geben schien. Engel oder nicht Engel. Das war die Frage. Stephan Burger hat eine dritte Alternative gefunden. Die geflügelten Jünglinge im Chor von St. Mauritius stehen jetzt lose auf zwei Säulen und können je nach Gelegenheit raus oder rein getragen werden.

So sei Pfarrer Burger, sagen sie in Rot. Er gebe niemals auf, bevor nicht ein Konsens hergestellt ist. „Ich verstehe meinen Dienst als Dienst an der Einheit“, sagt Burger selbst. „Wo Menschen in unserer Kirche mit unterschiedlichen Meinungen gegeneinander aufgebracht werden, kann keine Freude am Glauben entstehen.“ Am 29. Juni 2014 wurde Stephan Burger im Freiburger Münster zum 15. Erzbischof der Erzdiözese Freiburg geweiht.

In Natura wirkt der neue Erzbischof noch jünger

Keine Berührungsängste: Stephan Burger im Kaiserstuhl

Man will es kaum glauben: In Natura wirkt der neue Erzbischof des zweitgrößten deutschen Bistums noch jünger als auf Bildern. „Geboren am 29. April 1962“, steht im Pass des Oberhirten von Freiburg. Doch wer ihm gegenüber sitzt, würde ihn niemals auf 52 schätzen.

Was zum Großteil am Lächeln liegt. Stephan Burgers Markenzeichen ist ein freundliches Lausbuben-Lächeln, das in den Augen hinter der randlosen Brille beginnt und sich rasch über das ganze Gesicht ausbreitet. Tom Sawyer könnte so gelächelt haben. Zählt man die akurat-gescheitelte Schulbuben-Frisur des neuen Erzbischofs und seinen jungen Weihbischof Michael Gerber hinzu, dann kann sich Freiburg demnächst als jugendlichstes Bistum Deutschlands profilieren.

Doch halt. Da ist die Sache mit der Soutane. Schon als Kaplan in Tauberbischofsheim fiel Stephan Burger dadurch auf, dass er an Sonntagen stets das lange schwarze Priestergewand trug. „In den 1990er Jahren war das ein ungewöhnliches Bild“, staunen die Fränkischen Nachrichten. „Offensichtlich wollte er in der Öffentlichkeit stets als Priester erkennbar sein.“ Was gelungen ist. So schnell wie Burger hat es noch nie ein Geistlicher zu stadtweiter Bekanntschaft gebracht.

Eine Vorliebe für die katholische Tradition

Seine Vorliebe für Tradition kennzeichnet Stephan Burger noch heute. Er trägt beim Gottesdienst gern mal eine Kasel, das ist ein altes liturgisches Gewand mit kunstvollen Stickereien, und greift für Andachten zum Chorhemd mit Lochstickerei. Der neue Erzbischof liebt Weihrauch, Prozessionen und gesungene Messtexte. Wobei er streng unterscheidet zwischen Werktagsmessen (ohne gesungene Texte), Sonntagsmessen (mit gesungenem Hochgebet) und Hochfestmessen (fast nur gesungen). In Rot läuten jeden Freitag um 15 Uhr die Glocken, um an die Sterbestunde Jesu zu erinnern. „Das hat Pfarrer Burger eingeführt.“

Ein jugendlicher Erzbischof mit großer Liebe zur Tradition

So viel katholisches Traditionsbewusstsein lässt bei vielen Gläubigen schnell die Warnblinker leuchten. Orientiert sich Freiburg künftig rückwärts? Ist der neue Erzbischof, wie Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, der „Anti-Zollitsch“?

Stephan Burger sitzt auf einer Bierbank im idyllischen Garten des Pfarrhauses von Burkheim am Kaiserstuhl, wo er seit acht Jahren lebt. Um ihn herum Journalisten, die zum Kennenlernen geladen sind. „Die Etikettierung konservativ und progressiv greift in unserer Gesellschaft nicht mehr“, überlegt Burger. „Das Leben ist zu komplex, um in diesen plakativen Mustern zu verharren.“

Will heißen: Nur weil der Bischof die Eucharistie gern traditionell feiert, gehört er nicht automatisch zu den Vorgestrigen. Zumal Burger nach eigenem Bekunden nicht daran denkt, irgendwem in Sachen Liturgie etwas aufzuzwingen. Fröhliche, wuselige Familiengottesdienste haben in der katholischen Kirche ebenso ihren Platz wie rustikale Flurgottesdienste, betont der neue Bischof. Pluralität statt Schubladen, so könnte man Burgers erste Botschaft vielleicht dechiffrieren.

„Beuron ist meine geistliche Heimat“

Und manchmal wird auch nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Beim Gespräch mit der Presse jedenfalls, das an einem Sonntag stattfand, trug Stephan Burger keine Soutane, sondern einen Priesteranzug mit schwarzem Collarhemd. Und dazu feste Schuhe der Marke „Rieker“. Womit ausgeschlossen sein dürfte, dass der neue Freiburger Bischof anfällig ist für die Verlockungen des Luxus. Rieker-Schuhe gelten als gut und preisgünstig. Wer solche Schuhe wählt, kauft seine Badewanne eher im Baumarkt als beim Stardesigner.

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Die Benediktinerabtei Beuron: Bruder Tutilo Burger ist hier Erzabt

In Seppenhofen, einem Stadtteil von Löffingen im Hochschwarzwald, ist Stephan Burger aufgewachsen. 800 Meter über dem Meeresspiegel, 890 Einwohner, ein Dreschschuppenfest, die Fasnet, viel Wald, viel Landwirtschaft und das „Autohaus Burger“. Udo Burger, der ältere Bruder, führt es in der vierten Generation. Vater Willi, Jahrgang 1928, arbeitet auch noch mit. Vier Kinder haben Elisabeth und Willi Burger großgezogen. Udo und Pia sind in Löffingen verheiratet.

Heinz fühlte sich ebenso wie Stephan zum geistlichen Leben berufen. Er trägt heute den Mönchsnamen Tutilo und ist seit 2011 der Erzabt der Benediktinerabtei Beuron. Die Verbindung zwischen Tutilo und Stephan Burger ist sehr eng. „Beuron ist meine geistliche Heimat“, bekennt der neue Erzbischof. Auch die letzten drei Tage vor seiner Bischofsweihe verbrachte Stephan Burger in Stille im Kloster Beuron.

Nach der Realschule wechselte Stephan Burger ins Internat des Pallottiner-Ordens in Immenstaad am Bodensee, wohin ihm drei Jahre später Bruder Heinz folgte. Burger hat in Freiburg und München Theologie und Philosophie studiert. Er wurde 1990 im Freiburger Münster zum Priester geweiht. Es folgten fünf Kaplansjahre in Tauberbischofsheim und Pforzheim. Dann kam Rot im Kraichgau.

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Seppenhofen im Hochschwarzwald

„Meine Eltern haben mir den Glauben ins Herz gelegt“

Autos – Glauben – Musik. Der Dreiklang der Jugend des Stephan Burger.  „Meine Eltern haben mir den Glauben nicht aufgezwungen, sie haben ihn mir ins Herz gelegt.“ Zusammen mit der Liebe zum Gesang. Der Vater  leitete mehrere Chöre in Löffingen. Der Sohn verfügt über einen kräftigen Bassbariton, der ein Mikrofon oft überflüssig macht.

Rot ist eine wohlhabende Gemeinde im Einzugsgebiet der SAP. 3700 Katholiken leben in Rot, das sind 61 Prozent der Einwohner. Die Kirche St. Mauritius aus dem Jahr 1956 ist riesig. Mehr als 1000 Gläubige hätten hier Platz; knapp 200 kommen am Sonntag. Stephan Burger war der letzte Pfarrer von Rot. 2005 wurde die Pfarrei mit St. Leon und Walldorf zu einer Seelsorgeeinheit zusammengelegt.

„Werteorientiert und konsequent. Aber nie autoritär.“

Fragt man die Roter, wie er denn so sei, der neue Erzbischof, dann zeichnen sie das Bild eines einfühlsamen, zugewandten Seelsorgers, der respektvoll und wertschätzend auf Menschen zugeht. „Stephan Burger lebt aus einer gefestigten inneren Glaubenshaltung heraus, die ihm Kraft und Stärke gibt“, weiß Kuno Schnader, zu Burgers Zeit Vorsitzender des Pfarrgemeinderats. Der neue Bischof sei werteorientiert und konsequent. Aber nie autoritär. „Alle Entscheidung wurden in einem Miteinander getroffen“, schwört Schnader.

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Die Pfarrkirche St. Mauritius in Rot im Kraichgau.

Miteinander – dieses Wort benutzt jeder, der über Stephan Burger spricht. Auch der Erzbischof führt es dauernd im Mund. „Verwaltung darf kein Ja oder Nein sein“, überlegt er im Garten von Burkheim. „Verwaltung muss ein Miteinander sein.“ Ein spannender Ansatz angesichts der katholischen Hierarchie.

Wie überhaupt vieles anders ist an diesem Bischof, mit dem niemand gerechnet hat. 17 Jahre Erfahrung als Seelsorger – das ist ein absolutes Novum in der Bischofskonferenz. Stephan Burger ist nicht promoviert, er hat nie für längere Zeit in Rom gelebt und ist dem Papst noch nie persönlich begegnet. Auch Erzbischof Georg Gänswein, der ebenfalls aus dem Hochschwarzwald stammt, kenne er nur flüchtig, sagt Burger. „Man gibt sich die Hand und wechselt ein paar Worte.“

Burger ist an ein durchgetaktetes Leben gewöhnt

Statt in Rom Seilschaften zu knüpfen, hat Stephan Burger in Rot die Kirche renoviert. Getreu seiner theologischen Linie:  Alles in St. Mauritius ist ausgerichtet auf den goldenen Tabernakel hinter dem Altar. Er steht vor einer monochrom grauen Wand. Kein Gemälde, keine Kreuzigungsgruppe sollen ablenken vom Allerheiligsten. Nur ein schlichtes Kreuz krönt den Tabernakel. Katholischer geht es nicht.

2003 wurde Stephan Burger nach Freiburg bestellt. Ob er sich vorstellen könne, zusätzlich zu seinen Aufgaben als Pfarrer von Rot ein Studium in Münster zu absolvieren. Kirchenrecht. Man suche nämlich einen neuen Leiter für das oberste Kirchengericht. „Als er von diesem Gespräch zurückkehrte, war er innerlich völlig gelöst“, erinnert sich Pfarrgemeinderatsvorsitzender Kuno Schnader. „Pfarrer Burger hat diese Aufgabe als ehrenvolle Berufung empfunden und das hat ungeheuere Motivationskräfte in ihm freigesetzt.“

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Die Bischofsweihe durch Erzbischof Robert Zollitsch

Von da an war Burgers Leben exakt durchgetakte. Von Sonntagmittag bis Donnerstag Studium in Münster. Freitag, Samstag und Sonntag Seelsorge in Rot. 2005 war das Mammutwerk bewältigt. Das Thema von Stephan Burgers Lizentiatsarbeit lautete: „Die Einbeziehung der Wallfahrten in das kirchliche Recht“.

Der Herzensort des neuen Erzbischofs

Womit wir bei der „Roten Wand“ im Großen Walsertal wären. Stephan Burgers Herzensort. Ein alter Pfarrer aus einem Nachbardorf von Löffingen hat vor vielen Jahren hier in 1700 Metern Höhe eine Kapelle errichten lassen.  Alljährliche am Fest Mariä Himmelfahrt pilgert praktisch ganz Löffingen mitsamt Erzabt Tutilo Burger OSB ins Große Walsertal. Der Pilgerzug wird stets angeführt von Stephan Burger.  Die Rote Wand ist der Wermutstropfen in Burgers Freude über den neuen Job. Das Freiburger Münster Unserer Lieben Frau nämlich feiert am 15. August sein Patrozinium. Da sollte der Erzbischof eigentlich anwesend sein. „In diesem Jahr habe ich Weihbischof Gerber gebeten, mich in Freiburg zu vertreten“, gesteht Burger.

Sein Pfarrhaus-Idyll in Burkheim am Kaiserstuhl dagegen wird Stephan Burger sofort aufgeben. Er übersiedelt in die Herrenstraße hinter dem Freiburger Münster. Das Reihenhaus des emeritierten Weihbischofs Rainer Klug steht leer. Der Wahlspruch des neuen Erzbischofs stammt vom Apostel Paulus: „Christus in cordibus“ (Christus in den Herzen). Seinen Stab, den sogenannten „Konstanzer“, hat sich Stephan Burger aus dem Freiburger Fundus geholt. „Ich habe den mit der schlichtesten Krümme genommen. Als Fürstbischof sehe ich mich nicht.“

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Stephan Burger in der Heidelberger Jesuitenkirche

„Christus in cordibus“ – „Christus in den Herzen“

Viel lieber möchte Burger auch mit Mitra ein Seelsorger bleiben. „Es ist mir ein Anliegen, in die Dekanate und Pfarreien zu reisen und die Leute vor Ort wahrzunehmen mit ihren Problemen.“ Das klingt nach einer Dialoginitiative rund um die Uhr und auf allen Ebenen. Die nötige Stressstabilität hierfür scheint Stephan Burger zu besitzen. „Ich bin nicht böse, wenn jemand anderer Meinung ist als ich. Ich erwarte allerdings, dass meine Einstellung ebenso respektiert wird, wie ich die Meinung der anderen respektiere.“ Zu seinen Stärken zählt Stephan Burger Geduld, die Fähigkeit zur Stille und zum Warten-Können sowie Gelassenheit.

Ein katholischer Erzbischof bleibt in der Regel bis zu seinem 75. Lebensjahr im Amt. Stephan Burger hat also – so Gott will – noch 23 Jahre vor sich. Wir schreiben dann das Jahr 2037.

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