Alternativen hätte es schon gegeben. Sehr attraktive sogar. Georg Henn (31) hätte mit seinem Abiturschnitt mühelos Medizin studieren und damit die Familientradition fortsetzen können. Seine Mutter war Ärztin. Sebastian Feuerstein (35) hätte entweder als Pilot große Düsenjets fliegen oder als Diplomat auf dem politischen Parkett glänzen können. Er tanzte gern und gut.
Über mangelnden Zuspruch von Seiten des weiblichen Geschlechts konnten sich die jungen Männer auch nicht beklagen. Beide sind charmant, beide sehen gut aus. „Ich hatte schon auch Freundinnen“, lächelt Georg Henn. Dennoch haben sich Henn und Feuerstein gegen Frau und Familie entschieden. Und für ein Leben mit Gott. Sie sind katholische Priester geworden. Warum tun sie das?
Ein Leben ohne Frau und ohne Familie. Warum tun sie das?
Sebastian Feuerstein empfängt in der hellen Küche des Pfarrhauses von Malsch. Er wohnt allein hier. In der Seelsorgeeinheit Letzenberg gibt es längst mehr Pfarrhäuser als Priester. Die Küche glänzt funkelnagelneu und ist penibel aufgeräumt. Nichts Überflüssiges steht herum, kein Zierrat nirgends. Das passt zu Feuerstein. Der große schlanke Jungpriester wirkt sortiert, gelassen und zufrieden. „Theologie ist ein langes Studium“, lächelt der Vikar. „Ich hatte acht Jahre Zeit, mir darüber klarzuwerden, ob ich diesen Weg wirklich gehen möchte.“
26 junge Männer studieren derzeit am Collegium Borromaeum, dem Priesterseminar der Erzdiözese Freiburg. Wahrscheinlich nur die Hälfte wird sich schließlich zum Priester weihen lassen. Das ist eine verschwindend geringe Zahl, wenn man bedenkt, dass das Erzbistum Freiburg 1,87 Millionen Katholiken zählt.
Als Jugendlicher machte Feuerstein eine Glückserfahrung mit Gott. Das hat ihn geprägt.
Kaplan Feuerstein stammt aus Lauda im äußersten Nordosten der Diözese. Badisch Sibirien. Weiter weg von Freiburg geht’s nicht. Vielleicht schickte das Erzbistum deshalb seine frischgeweihten Priester bevorzugt nach Lauda. Sehr zur Freude der dortigen Ministranten. „Zu meiner Zeit gab es in Lauda eine unglaublich gute Jugendarbeit“, erinnert sich Sebastian Feuerstein. „Wir waren immer auf Trab, immer unterwegs.“
Diese Glückserfahrung mit Gott und mit der Kirche hat ihn geprägt. So sehr, dass er sie auch als Erwachsener nicht missen wollte.
Während des Theologiestudiums kam zur emotionalen auch noch die intellektuelle Begeisterung „für Jesus“ (Feuerstein) hinzu. „Diese neue Welt der Theologie war für mich unheimlich spannend und faszinierend“, sagt Feuerstein. Eine Erfahrung, die er jetzt unbedingt an junge Menschen weitergeben will. Mit Erfolg. Bevor Feuerstein nach Malsch kam, war er drei Jahre Kaplan in Markdorf am Bodensee. Die dortige katholische Jugend schwärmt im Internet noch immer von ihm.
„Solch eine Freude habe ich noch nie zuvor empfunden“
Auch der frischgeweihte Priester Georg Henn, der derzeit in der Heidelberger Altstadt aushilft, war früher Ministrant. In Neckarhausen, auf halbem Weg zwischen Mannheim und Heidelberg. Doch Henn hat an diese Zeit keine besonders guten Erinnerungen. „Ich fand die Sonntagsmessen eher langweilig. Gott habe ich dort nicht wirklich erlebt.“
Zum Glauben fand Henn erst nach dem Abitur. Und nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einer Jugendeinrichtung der Jesuiten in Rumänien. „Dieses Land ist viel ärmer als unseres, aber der Glaube ist überall präsent.“ Diese ernsthafte Frömmigkeit der Rumänen habe ihn berührt, sagt Georg Henn. Zurückgekehrt suchte er gezielt nach Gott. Er fand ihn in Taizé, wo er schon als Firmand intensive Tage verbracht hatte. „Dieses Mal habe ich deutlich gespürt, dass es Gott gibt, dass er mich liebt, dass ich ihm im Gebet begegnen kann“, sagt der Jungpriester. „Solch einen Frieden und solch eine Freude habe ich noch nie zuvor empfunden.“
Henn schrieb sich an der Uni Freiburg ein. Für das Lehramtsstudium. Spanisch und Katholische Religion. „Doch bald habe ich gemerkt, Gott will mehr. Er will, dass ich Priester werde.“ Da sei plötzlich so eine seltsame Mischung aus innerem Wunsch und äußeren Zeichen gewesen, versucht Georg Henn zu erklären, was sich eigentlich nicht erklären lässt. Einmal sei beispielsweise eine Ordensschwester, die er gar nicht kannte, auf ihn zugekommen und habe gesagt: „Mit Dir hat Gott noch etwas vor.“ Doch merkwürdig, oder? Am 13. Mai 2018 wurde Georg Henn im Freiburger Münster zum Priester geweiht.
Die jungen Priester sehen sich als Missionare im säkularen Dschungel
Wenn Vikar Sebastian Feuerstein, 35, aus dem Haus geht, trägt er immer öfter ein Priesterhemd mit weißem Collarkragen. Auch zu Jeans und Turnschuhen. Georg Henn, 31, trägt seit seiner Weihe nur noch Collarhemden. Die beiden jungen Männer wollen erkannt werden. Als Priester. „Zeugnis geben“, wie sie formulieren. „Dadurch entstehen Begegnungen, die ohne dieses äußere Zeichen nicht möglich gewesen wären“, erklärt Georg Henn.
Mit rückwärtsgewandter Frömmigkeit habe der selbstgewählte Dresscode nichts zu tun, betont Henn. Seine Generation habe das, was man gemeinhin „Volkskirche“ nennt, ja gar nicht mehr erlebt. Nein, die jungen Priester sehen sich als Missionare im säkularen Dschungel. „Die meisten Menschen denken, dass Jugendliche der Kirche ablehnend gegenüberstehen“, sagt Sebastian Feuerstein. „Aber diesen Punkt haben wir schon lange überschritten. Heute denken Jugendliche überhaupt nicht mehr über den Glauben nach. Sie wissen nichts von Gott.“
Weshalb in Freiburg die Weichen gerade umgestellt werden. Statt die wenigen jungen Priester in riesige Seelsorgeeinheiten zu stecken, schickt man sie hinaus in die entchristlichte Welt. Sebastian Feuerstein beispielsweise unterrichtet Religion am Gymnasium von Sandhausen. Er tut das gern und offensichtlich mit großem Erfolg.
Feuerstein predigt nicht, Feuerstein weiß nichts besser, Feuerstein stellt Fragen in den Raum
Das Rezept des Kaplans: Die Schüler mit „dem harten Brot der Theologie“ (Feuerstein) füttern statt mit weicher Kuschelethik. Am Ende des letzten Schuljahres beispielsweise beschäftigte sich die 11. Klasse mit dem Konzil von Nicäa. Die Bischöfe quälte damals die Frage, wie es sein kann, dass Christus zugleich ganz Mensch und ganz Gott war. „In diese Zweinaturenlehre haben sich die Schüler mit Begeisterung reingebissen“, strahlt Feuerstein. „Hochphilosophisch!“
Natürlich ist es auch die coole Art des schlacksigen Kaplans, die bei den Schülern gut ankommt. Feuerstein predigt nicht, Feuerstein weiß nichts besser, Feuerstein stellt Fragen in den Raum. „Ich versuche mich anzubieten mit meiner Person, mit meinem Glauben, auch mit meinen Zweifeln, um darüber mit den jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, das ist der einzig mögliche Weg.“ Dann grinst der junge Priester plötzlich. „Als Zölibatärer bin ich für die Jugendlichen natürlich eine besonders provokante Lebensform.“ Aber irgendwie auch eine interessante, weil extreme. „Jugend verachtet immer das Ungefähre, das Verbürgerlichte“, sagt Vikar Feuerstein. „Jugend sucht immer das Radikale und absolut Ehrliche.“
Radikal ist der Zölibat sicherlich. Aber ist er auch dauerhaft lebbar? „Ich glaube“, antwortet Feuerstein, „man darf den Zölibat nicht notgedrungen in Kauf nehmen, um Priester zu werden. Dann scheitert man.“ Er erlebe den Zölibat als große Freiheit in Bezug auf die Gestaltung seines Lebens. „Ich könnte mir nicht vorstellen all die pastoralen Aufgaben zu übernehmen, die mich glücklich machen, und gleichzeitig in einer exklusiven Beziehung zu leben.“ Außerdem fühle er sich überhaupt nicht einsam. Im Gegenteil. „Ich bin in so vielen Kontexten und Beziehungen verankert, dass ich froh bin, wenn ich mal in Ruhe ein Buch lesen kann. Meine große Leidenschaft.“
„Gefühle werden fürchterlich überschätzt“
Wenn sich Georg Henn, der drahtige Frischgeweihte, seine Zukunft als Priester vorstellt, dann sieht er sich nicht allein am Küchentisch eines Pfarrhauses sitzen. „Mein Traum wäre eine Art Priester-WG oder noch besser eine Hausgemeinschaft mit Laien, in der vielleicht auch Familien leben.“ Womit wir bei den Visionen wären. Die werden derzeit ziemlich dringend gebraucht in der katholischen Kirche. Eigentlich auf allen Ebenen. In Georg Henns Vision für die Gemeinde der Zukunft bleibt kaum noch etwas beim Alten. Er schlägt vor, die gewohnte, bequeme Blickrichtung komplett umzustülpen. Von innen nach außen. „Wir dürfen uns nicht länger nur um die Menschen kümmern, die regelmäßig kommen. Wir müssen nach denen suchen, die nicht mehr kommen“, fordert der 31-Jährige.
„Missionarische Kirche“ oder kurz „Pfarrmission“ nennt Henn dieses neue Modell von Kirche, das derzeit schon in einigen Bistümern ausprobiert wird. Der spektakulärste Fall ist wohl die Kölner Innenstadt. Die Idee: Die gesamte Kerngemeinde verwandelt sich in eine Missionsstation, wobei jeder eine spezielle Aufgabe übernimmt. Beispiel Erstkommunion. „Es macht ja keinen Sinn, die Kinder vorzubereiten, und die Eltern heimzuschicken, obwohl viele von ihnen auch nicht genau wissen, worum es geht“, findet Georg Henn. Also konzipiert die Gemeinde für die Erstkommunions-Eltern ein spezielles Eltern-Programm. Und schon ist der Kontakt geknüpft. „Vielleicht braucht es verschiedene Formen von Gottesdiensten. Ich weiß nicht, ob es immer das Geschickteste ist, Außenstehende gleich in eine Messe einzuladen. Da fängt man besser mit einem Wortgottesdienst an. Mit viel Gesang, das spricht die Menschen an. Und nicht so auf die Orgel fixiert, sondern vielleicht mit Band. Dann hat das einen anderen Touch …“
Den Priester der Zukunft sieht er als „Motivator“. Mit „qualitativ hochwertigen Gottesdiensten und ansprechenden Predigten“ gibt er den Menschen immer wieder Mut und neue Kraft . „Die Persönlichkeit des Zelebranten ist sehr wichtig“, findet Georg Henn. „Wenn man merkt, der Priester feiert die Gottesdienste aus ganzem Herzen, das reißt automatisch mit.“ Ein hoher Anspruch, mit dem der junge Vikar in sein Berufsleben startet. Und wenn er sich eines Tages doch verliebt? Georg Henn lacht. „Dann geht das auch wieder vorbei“, sagt er und besteigt sein Fahrrad. „Gefühle werden fürchterlich überschätzt.“
„“Und wenn er sich eines Tages doch verliebt? Georg Henn lacht. „Dann geht das auch wieder vorbei“, sagt er und besteigt sein Fahrrad. „Gefühle werden fürchterlich überschätzt.““
Welch ein Priesterbild: Gefühle werden fürchterlich überschätzt?
Also gefühllos in die Welt und sich dann der Schwierigkeiten, Sorgen und Nöte der in Ihrer Seele getroffenen Menschen annehmen wollen. Also derer die verzweifelt, mutlos, enttäuscht, hoffnungslos sind.
Das hat dann nichts mit Gefühlen zu tun???? Oder es wird von diesen Menschen einfach überschätzt???
Ich glaube nicht, dass ich mich Ihnen in der Eigenschaft als Seelsorger anvertrauen wollte.
Also, ich glaube, die Antwort sollte man mit einem Augenzwinkern verstehen. Ich denke, damit meint er eher, dass man, nur weil man sich verliebt, nicht sein ganzes Lebenskonzept auf den Kopf stellen muss; dass solche vergleichsweise kurzfristigen Gefühle mit seiner festen Entscheidung für das Priesteramt in seinen Überzeugungen nicht konkurrieren kann. Und das ist doch ein Treuegelöbnis!
Ich glaube nicht, dass er damit Gefühle als generell schlecht oder unwichtig abkanzeln wollte. Der Satz war ja speziell auf die „Verliebtheitsgefühle“ bezogen, und die sind ja nun bekanntermaßen manchmal eher flüchtig.
Ich finde den Artikel super und freue mich, dass es so engagierte Priester gibt! 🙂