Am Ende waren sie noch zu zweit: Pater Paulus und Bruder Michael. Die letzten Benediktinermönche des einstmals stattlichen Konvents von Bad Wimpfen. Weil man aber zu zweit kein Kloster erhalten kann, sind schließlich auch Paulus und Michael gegangen. Der eine nach Ungarn, der andere nach Heidelberg. Zurück blieb eine weitläufige Abtei mit gotischem Kreuzgang. Leer.
Das war 2007. Heute lebt das Kloster Bad Wimpfen wieder. Als Geistliches Zentrum in benediktinischer Tradition aber ohne Mönche. „Wir beten die Stundengebete, singen die Psalmen, meditieren, arbeiten im Garten und halten Zeiten der Stille“, erklärt Pastoralreferentin Ingrid Orlowski, die das Kloster im fünften Jahr leitet.
Die 57-Jährige wagt dabei einen Balance-Akt, der wegweisend sein könnte für die Zukunft vieler sterbender Klöster. Einerseits ist Kloster Bad Wimpfen ein tipptopp saniertes Bildungshaus mit eigenem Kursangebot und viel Platz für Gruppen. Andererseits sammeln sich hier Menschen, die eine Zeit lang verbindlich nach monastischen Regeln leben wollen. „Kloster auf Zeit“. Zwei Woche, einen Monat, ein Jahr. Ein Besuch in uralten Mauern, in denen ein junges Pflänzchen heranwächst.
Im Kreuzgang hallt das Echo von tausend Jahren nach
Still ist es. Im gotischen Kreuzgang malt die schräg einfallende Sonne Lichtmuster auf den Sandsteinboden. Die Zeit dehnt sich. Wo endet die Gegenwart? Wo beginnt die Vergangenheit? Aus der Kirche wehen Stimmen herüber. Sie singen Psalmen. Die Sext. Ist das wirklich 2015? Oder hallt in diesen durchbeteten Mauern das Echo von tausend Jahren nach?
Bad Wimpfen gehört seit 1803 zum Bistum Mainz. Es ist eine Enklave, die direkt auf der Grenze zwischen dem Bistum Rottenburg-Stuttgart und dem Erzbistum Freiburg liegt. Um gut anzukommen, folgt man am besten dem Jakobsweg. Vom Bahnhof Bad Friedrichshall sind es nur etwa zehn Fußminuten bis zur Neckarbrücke. Dort erblickt man das berühmte Bild: Oben auf dem Berg die wehrhafte Pfalz der Stauferkaiser, unten am Ufer des Flusses das Kloster mit der Stiftskirche St. Peter. Ihre beiden romanischen Türme und das Westportal entstanden um 965. Das gotische Langhaus und der Chor stammen aus dem 13. Jahrhundert.
Bei Näherkommen weht ein Hauch von Paris durchs Neckartal. Die filigranen, feinziselierten Steinmetzarbeiten an der hochgotischen Fassade von St.Peter könnten ebenso gut Notre Dame schmücken. Welch ein Kontrast dazu das Westportal des Ritterstifts: Unnahbar, fensterlos, trutzig streben romanische Sandsteinquader gen Himmel. Stilkunde pur. Schneller kann man den Wechsel des Lebensgefühls im 13. Jahrhundert nicht erfassen als hier in Bad Wimpfen. Das schwere, archaische, dunkle Frühmittelalter gehörte der Vergangenheit an. Das leichte, mobile, städtische Hochmittelalter war angebrochen. Die Stauferzeit.
Fast über Nacht hielten die Ritter Einzug
Fast über Nacht verwandelte sich das Kanonikerstift von Wimpfen, in dem bisher Priester gelebt hatten, in ein Ritterstift. Die jüngeren Söhne adliger Familien übersiedelten in Scharen an den Neckar, um hier ihren Lebensunterhalt als Verwalter der riesigen Ländereien des Bistums Worms zu verdienen. Mit dem klösterlichen Lebensstil dieser „Chorherren“ war es allerdings nicht weit her. Als Kloster Wimpfen in den Wirren der Bauern- und des Dreißigjährigen Krieges all seinen Landbesitz verlor, interessierte sich niemand mehr für das einst so machtvolle Gemäuer. Das Ritterstift verfiel.
Kalt ist es. Selbst im Sommer durchdringt kaum ein Sonnenstrahl die hohen bunten Spitzbogenfenster von St. Peter. Eine Welt im Halbdunkel, erleuchtet meist nur von Kerzen. Erahnt man da nicht Schemen? Sind das Benediktinermönche in schwarzen Habits, die in stiller Prozession in die Kirche einziehen?
Wir schreiben das Jahr 1947. Unzähligen Menschen irrten heimatlos durch das zerstörte Deutschland. Unter ihnen auch der Benediktinerkonvent der einstmals prächtigen Barockabtei Grüssau in Schlesien. Die Brüder hatten Schreckliches hinter sich. Erst deportierten die Nationalsozialisten die jüngeren Mönche als Soldaten an die Front. Dann vertrieben die polnischen Truppen die verbliebenen Benediktiner aus dem Land. Wohin nun?
Echte Mönche lebten im Kloster Wimpfen erst im 20. Jahrhundert
Ein Jahr lang suchten die Mönche, dann wurde ihnen das ehemalige Ritterstift in Bad Wimpfen zum Kauf angeboten. Die Kirche befand sich noch in einem passablen Zustand, das Kloster jedoch glich einer Ruine. Die Benediktiner nahmen es trotzdem und bauten eigenhändig wieder auf. Fünfzig Jahre lang. Dann begriffen die Wimpfener Mönche, dass ihre Gebete um Nachwuchs nicht erhört werden würden.
2004, als der Grüssauer Konvent schon stark geschrumpft war, übernahm Abt Franziskus Heereman von der Benediktinerabtei Neuburg bei Heidelberg auch die Verantwortung für das Kloster Bad Wimpfen. Das war die Rettung. Johannes Freiherr von Heereman nämlich, der Bruder des Heidelberger Abts, leitete damals den deutschen Malteser-Hilfsdienst. Gemeinsam entwarfen die beiden Brüder den Plan eines neuartigen Geistlichen Zentrums. Die Malteser sorgten für die Anschubfinanzierung. Heute tragen das Bistum Mainz und die Malteser gemeinsam das Projekt.
Helles Holz und reines Weiß dominieren
40 Gästezimmer mit 60 Betten stehen in der ehemaligen Abtei zur Verfügung. Sie sind schlicht, aber mit viel Geschmack renoviert. Reines Weiß und helles Holz dominieren. Nur ganz oben im Dach kann man noch ein paar von den mageren Mönchszellen entdecken. Ab Herbst 2015 sollen auch sie saniert werden. Das Geistliche Zentrum läuft. „Wir sind dieses Jahr erstmals voll belegt“, sagt Ingrid Orlowski. Der Theologin, die sich bislang um den gesamten Betrieb gekümmert hat, stehen nun auch eine professionelle Verwaltungsfachkraft und Hotelfachfrau zur Seite. „Ich kann mich endlich ganz der geistlichen Leitung widmen“, freut sich Orlowski, die auch ausgebildete Meditationslehrerin ist.
Das Seminarangebot des Geistlichen Zentrums Bad Wimpfen ist breit, aber stets klösterlich-still. Vom Herzensgebet über die „Gregorianik im gotischen Kirchenraum“ und die Familienaufstellung bis hin zum sakralen Tanz reicht das Spektrum. Dazwischen gibt es immer wieder Meditationswochenenden zum Jahreskreis. Oder einen „Burn-In-Kurs“, um „sein inneres Licht wiederzufinden.“
Eine „stabile geistliche Weggemeinschaft im Kloster Bad Wimpfen“ aufzubauen – das ist der große Traum der Pastoralreferentin Orlowski. Eine Kommunität neuen Typs. Modern, flexibel, ökumenisch und gemischt-geschlechtlich. Die ersten zarten Triebe kann Ingrid Orlowski bereits erkennen. Eine Meditationsgruppe hat sich gebildet, die sich verbindlich alle vier bis sechs Wochen im Kloster trifft. „Menschen verwandeln sich, wenn sie sich in eine klösterliche Ordnung und Gemeinschaft einfügen“, sagt Ingrid Orlowski. „Das gibt Kraft, das ist schön.“