Lust auf Luther

LutherWorms

Das größte Reformationsdenkmal der Welt: Martin Luther in Worms

Stellen wir uns vor, Martin Luthers Thesenanschlag jährte sich zum 500. Mal und die DDR existierte noch. Dann würde die EKD im Jahr 2017 wahrscheinlich zum Kirchentag nach Worms und Heidelberg laden. Das wäre nett, ist aber nur ein Gedankenspiel.

Die Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum finden im Osten statt. Den beiden südwestdeutschen Lutherstädten bleiben nur Nebenrollen. Eigentlich schade, denn Luther hat auch an Rhein und Neckar Spuren hinterlassen. Ein Vorgeschmack aufs Jubiläum.

500 Kilometer zu Fuß. Luther brauchte knapp zwei Wochen.

Es war ein weiter Weg von Wittenberg nach Heidelberg, zumal zu Fuß. 500 Kilometer Luftlinie. Ein geübter Wanderer schafft das in zwei Wochen. Der 34-jährige Martin Luther, der sich im April 1518 auf den Weg zum Generalkapitel seines Ordens im Heidelberger Augustinerkloster machte, war gut zu Fuß.

Wittenberg

Luther ging zu Fuß von Wittenberg …

Die 90 Kilometer von seinem ersten Kloster in Erfurt bis zu seinem Elternhaus im Harz schaffte er in zweieinhalb Tagen. 1511 war der spätere Reformator in etwas mehr als acht Wochen nach Rom gelaufen. Bei Schnee und Eis.

Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise runzelte trotzdem die Stirn, als er von den Reiseplänen seines Predigers hörte. „Er fürchtete gedungene Attentäter“, berichtet Hans-Martin Mumm, der ehemalige Heidelberger Kulturamtsleiter. Schließlich war Martin Luther ein Politikum, seit er ein halbes Jahr zuvor seine 95 wütenden Thesen gegen den Ablasshandel an der Tür der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen hatte.

Angstraum Thüringer Wald – groß, einsam und dunkel

Merian

… nach Heidelberg

Sowohl der mächtige Bischof von Mainz wie auch der Dominikanerorden hatten Luther daraufhin in Rom als Ketzer denunziert. „Der Brief lag im Januar 1518 bei Leo X., der aber keine Lust verspürte, sich mit einem kleinen deutschen Mönch auseinanderzusetzen“, schreibt Klaus-Rüdiger Mai in seiner neuen Luther-Biographie (Kreuz-Verlag). Da wäre ein Raubüberfall auf dem Weg nach Heidelberg schon praktisch gewesen.

Kurfürst Friedrich III. jedoch versah seinen Hofprediger mit etlichen Empfehlungsschreiben, in denen er um ein sicheres Nachtquartier für den Reisenden bat. Alles ging glatt. In Würzburg stieß der Theologieprofessor, der in Begleitung seines Klosterbruders Leonhard Beyer wanderte, auf Augustiner aus Erfurt, die ihn im Wagen mit an den Neckar nahmen. In Heidelberg erwartete Martin Luther ein herzliches Willkommen.

AugustinerklostervorUni

Der Uniplatz um 1900: Das Augustinerkloster wird ausgegraben

„Luther wohnte im Augustinerkloster auf dem heutigen Universitätsplatz“, erzählt Hans-Martin Mumm, der Mitbegründer des Heidelberger Geschichtsvereins. Die Legende, Luther, sei erst nach Schließung der Stadttore in Heidelberg angekommen und habe daher in einer Scheune auf dem Neuenheimer Gut Mönchhof übernachtet, hält Mumm für erfunden. Die Neuenheimer führten bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein ein windschiefes „Lutherhäusel“ vor. Heute kündet nur mehr die Lutherstraße von der angeblichen nächtlichen Episode.

Der erste öffentliche Auftritt nach dem Thesenanschlag

Das Augustinerkloster war 1279 gegründet worden. Der Kreuzweg des Klosters erstreckte sich bis zum Hexenturm. An die Kirche, die an das mittlere Stadttor grenzte, erinnert heute die Augustinergasse. „Das Kloster bestand aus mehreren Gebäuden, die niedriger und kleinteiliger waren als die jetzigen Häuser“, sagt Mumm.

Noch rank und schlank: Luther als Augustiner-Eremit

Martin Luther kam am 21. oder 22. April
1518 in Heidelberg an. Am 23. und 24. April tagte im Kloster hinter verschlossenen Türen das Generalkapitel des Augustinerordens. Luther hatte sich bisher als Distriktsvikar um die Klöster in Thüringen gekümmert, doch auf der Heidelberger Vollversammlung stellte er sich nicht mehr zur Wahl. Offenbar ahnte er, dass er anderes zu tun haben würde. Den krönenden Abschluss des Generalkapitels bildete eine wissenschaftliche Disputation, bei der Luther seine neue Theologie erläutern sollte. Es war sein erster öffentlicher Auftritt seit dem Thesenanschlag und entsprechend groß war das Interesse.

„Luther erhielt für seinen Auftritt in Heidelberg ein ordentliches Honorar“, hat Hans-Martin Mumm herausgefunden. „Zwei Gulden zahlte die theologische und zwei Gulden die artistische Fakultät“. Philosophische Fakultät würde man sie heute nennen. Der Saal im Augustinerkloster reichte längst nicht aus für den Ansturm. Man musste in den Hörsaal der Artistenfakultät ausweichen. Martin Luther machte seine Sache sehr gut. Mit keinem Wort erwähnte er den Ablass, sondern belegte seine 28 theologischen und 12 philosophischen Thesen ausschließlich aus der Heiligen Schrift. „Nicht durch seine Werke erlange der Mensch Gottes Gnade, sondern allein durch seinen Glauben“, definiert Professor Christoph Strohm, Ordinarius für Kirchengeschichte an der Uni Heidelberg.

Zwei sehr launige Abende im Heidelberger Schloss

Luther mit Brenz (r.) in Heidelberg: Ein Gemälde aus der Katharinenkirche in Schwäbisch Hall

Das Auditorium reagierte zwiegespalten. Während die Professoren Luthers Ansichten eher skeptisch zur Kenntnis nahmen, standen die Studenten in Flammen. Luther habe mit „wunderbarer Liebenswürdigkeit“ geantwortet, mit „unvergleichlicher Geduld“ zugehört und „offenen Antworten“ gegeben, schwärmte etwa Martin Bucer, der spätere Reformator von Straßburg.

Nach geschlagener theologischer Schlacht stieg Luther hinauf zum Schloss, um den Pfalzgrafen Wolfgang zu besuchen. Wolfgang, ein jüngerer Bruder des Pfälzer Kurfürsten Ludwig V., hatte 1515 als Rektor die Universität von Wittenberg geleitet. Man kannte sich also. Martin Luther verbrachte am 27. und am 29. April 1518 zwei sehr launige Abende in der Burg auf dem Berg. Am 1. Mai 1518 ist er abgereist.

Luthers Heidelberger Woche ist dank der Disputation eine Fußnote der Weltgeschichte. Trotzdem gehörte sie merkwürdigerweise nie zum klassischen Alt-Heidelberg-Kanon. Lediglich eine Plakette, die in den Uniplatz eingelassen ist, erinnert an den Reformator. Sie stammt aus dem Jahr 1983, als die Welt Luthers 500. Geburtstag feierte. Vielleicht kommt ja zum 500. Reformationsjubiläum noch ein kleines Denkmal hinzu. Immerhin wirbt das Heidelberg-Marketing damit, dass Heidelberg die „einzigen Luther-Stadt Baden-Württembergs“ ist

Worms: Wo nichts mehr ist, muss schnell wieder etwas hin

Luther in Heidelberg: Nur eine unscheinbare Platte erinnert an den Besuch

Jenseits des Rheins in Worms wuchert man mehr mit seinen Pfründen. Luther und den Nibelungen begegnet man hier auf Schritt und Tritt. Dabei ist eigentlich gar nichts mehr zu sehen. 1689 im Erbfolgekrieg brannten die Truppen des französischen Sonnenkönigs die Stadt nieder. Nicht einmal der Bischofspalast, in dem Luther während des Reichstags seine Aussage gemacht hat, existiert noch. Doch in der Pfalz geht man pragmatisch mit den Dingen um. Wo nichts mehr ist, muss eben wieder etwas hin. Anstelle des Bischofspalastes gibt es jetzt das größte Reformations-Denkmal der Welt.

Zwölf Meter hoch steht der Reformator seit Juni 1868 und blickt doppelt übermannsgroß auf Worms herab.  Monumentaler geht es nicht. „Bei der Einweihung des Denkmals hat der Dekan so lange gepredigt, dass König Karl von Württemberg einen Sonnenstich bekam und in Ohnmacht fiel“, lacht Harald Storch, der evangelische Dekan von Worms-Wonnegau.

Lutherdenkmal

Der ganze Stolz der Stadt Worms: Das Reformationsdenkmal

Zehn Tag weilte Martin Luther in Worms. Es waren die gefährlichsten seines Lebens. Wir befinden uns nun im April 1521. Vier Monate zuvor war Luther in Wittenberg die römische Bannandrohungs-Bulle übergeben worden, die er vor versammelter Bürgerschaft ins Feuer geworfen hatte. Eine Kriegserklärung. Luther war daraufhin befohlen worden, sich beim Reichstag in Worms vor dem Kaiser und dem römischen Gesandten zu verantworten.

„Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang“

Das könnte eine Falle sein, warnte der sächsische Kurfürst. Sei nicht auch Jan Huss hundert Jahre zuvor guten Glaubens zum Konzil nach Konstanz gefahren und dann auf dem Scheiterhaufen geendet? „Huss ist verbrannt worden, aber nicht die Wahrheit mit ihm“, soll Martin Luther ausgerufen haben. „Wir wollen nach Worms, auch wenn alle Pforten der Hölle und die Gewaltigen der Luft sich widersetzen.“

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Harald Storch, evangelischer Dekan von Worms-Wonnegau

Am 16. April 1521 zog Martin Luther von Oppenheim kommend durch die prunkvolle Martinspforte ein. Diesmal ging er nicht zu Fuß, sondern fuhr im zweirädrigen Wagen. Eine riesige Menschenmenge drängen sich in der Kämmerergasse, um einen Blick auf diesen Doktor zu erhaschen. Ein Landsknechtführer, so erzählt eine Wormser Lieblingssage, soll ihm gar auf die Schultern gekloppft haben: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang.“

Worms war während des Reichstags rappelvoll. Jedes Herbergszimmer hatte man doppelt, drei- und vierfach belegt. Auch Martin Luther, der im Johanniterhof in der Hardtgasse nächtigte, musste seine enge Stube mit zwei anderen Männern teilen. Am 17. April erhielt Luther den Befehl, um 16 Uhr vor dem Kaiser zu erscheinen. Im Saal des Bischofspalastes, der rechtwinklig an den Dom angebaut war, lagen alle Schriften Luthers aufgereiht. Er wurde aufgefordert, diese zu widerrufen. Luther erbat sich einen Tag Bedenkzeit.

Luther reckte die Hand in die Luft und rief: „Ich bin hindurch“

Dann soll er dieses Ansinnen mit den berühmten Worten zurückgewiesen haben: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Diesen Satz, erklärt Ulrich Oelschläger, der Präses der Landessynode Hessen-Nassau, hat Luther nie gesprochen. Er habe vielmehr gesagt:  „Solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und meine Seeligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“ Beim Verlassen des Raum soll Luther dann den Arm in die Luft gereckt und ausgerufen haben: „Ich bin hindurch.“

Reformation im romanischen Kaiserdom: Karl V. gegen Martin Luther

Zwar versuchten hochkarätige weltliche und kirchliche Würdenträger weiterhin zwischen Rom und dem Reformator zu vermitteln. „Die Verhandlungen führten jedoch nicht zu einem Ergebnis“, betont Oelschläger. Am 26. April 1521 verließ Martin Luther Worms. Drei Tage später ließ Kurfürst Friedrich der Weise einen Überfall inszenieren und Luther auf die Wartburg in Eisenach bringen, wo er in Sicherheit war. Am 26. Mai 1521 erklärte das Wormser Edikt Martin Luther für geächtet. Seine Familie und er hatten damit alle Rechte verloren. Sie waren Parias.

„Die Wormser Botschaft zum 500. Reformationsjubiläum ist nicht mehr der Saft- und Kraftmensch Luther“, erklärt Dekan Harald Storch. Vielmehr will sich die Lutherstadt am Rhein als Zentrum des Dialogs zwischen den Religionen und Konfessionen etablieren. Das hat Geschichte. Schon 1541 wurde in Worms der erste Konsensversuch zwischen den Konfessionen gestartet. Calvin, Bucer und Melanchthon sind mit dabei gewesen, erzählt Dekan Storch.

Gibt es 2017 Luther statt Siegfried bei den Festspielen?

Das Ergebnis der intensiven Diskussionen war das „Wormser Buch“, dessen Text den ökumenischen Vereinbarungen des 21. Jahrhunderts schon recht nahe kam. Seit 2011 knüpfen die Protestanten am Rhein mit den „Wormser Religionsgesprächen“ an die alte Tradition an. Handverlesene Referenten verschiedenen Glaubens nehmen die gegenwärtige Lage der Religionen in den Blick.

Ein Kassenschlager: Mit dem Playmobil-Luther spielen nur Erwachsene

Martin Luther, der zeitlebens seine Aversion gegen Juden nicht überwinden konnte, steht bei diesem Thema nicht als strahlender Held da, sondern „als Mensch mit Höhen und Tiefen“ (Harald Storch).

Ebenfalls made in Worms ist die Auszeichnung „Das Unerschrockene Wort“, die der Bund der 16 Lutherstädte seit 1996 alle zwei Jahre verleiht. Ausgezeichnet werden Frauen und Männer, die bereit sind „für unerschrockenes Auftreten Unbill in Kauf zu nehmen so wie seinerzeit Martin Luther“.

Nico Hofmann, der populäre Filmregisseur mit Mannheimer Wurzeln, ist seit einem Jahr Intendant der Wormser Nibelungen-Festspiele. Auf die Frage einer Reporterin, ob er sich vorstellen könne, im Lutherjahr 2017 statt dem Siegfried-Epos ein Lutherstück auf die Bühne zu bringen, antwortete er: „Da bin ich offen.“ Vielleicht könnte man Nico Hofmann ja noch eine zweite Bühne zur Verfügung stellen. Auf dem Heidelberger Uniplatz beispielsweise. Die Disputation als Theaterstück. Wer weiß, vielleicht werden daraus dereinst die Heidelberger Luther-Festspiele.

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