Auch dem Erzbischof von Freiburg kann mal der Geduldsfaden reißen. „Als ich noch Kaplan in Tauberbischofsheim war, hat mich ein Schüler so in Rage gebracht, dass ich ihn mitsamt des Stuhls vor die Tür gesetzt habe“, gestand Stephan Burger in der Aula der Neuen Universität von Heidelberg.
Bei den Schülern habe die brachiale Aktion großen Eindruck gemacht. „Gerecht geworden bin ich dem Jungen damit aber nicht.“ Religionslehrerschicksal.
Das Fach Religion will nicht nur Fähigkeiten vermitteln, sondern den Schüler die Spiritualität nahebringen und einen Schutzraum bieten für ihre seelischen Nöte. Ein hoher Anspruch, viel Frustpotential. Die Erzdiözese Freiburg hat deshalb eine neue Mutmach-Offensive gestartet: den „Tag der Religionslehrer“. Premiere war in Heidelberg. Mehr als 300 Lehrer aus ganz Nordbaden waren gekommen, um herauszufinden, wo das Fach katholische Religionslehre steht in der säkularen Welt.
Der Religions-Lehrplan ist für den Staat tabu
Die Flüchtlingswelle hat das Thema Religion wieder topaktuell gemacht. In Baden-Württemberg jedenfalls denkt kein Mensch mehr daran, den Religionsunterricht zu streichen, auch wenn Meinungsforscher uns das immer wieder suggerieren. „Der Religionsunterricht bereitet die Schüler auf das Leben in einer vernetzten Welt vor“, erklärte Vittorio Lazaridis, Abteilungspräsident beim Regierungspräsidium Karlsruhe, in seinem Grußwort. „Er vermittelt Werte und eröffnet einen möglichen Zugang zur Weltdeutung wie das auch die Mathematik oder die Kunst tun.“
Die staatliche Position. Über die Inhalte des Religionsunterrichts bestimmen in Deutschland allein die Kirchen oder die Glaubensgemeinschaften. Rund 30 Prozent der Menschen sind Mitglied der katholischen Kirche, ungefähr genauso viele glauben evangelisch. Etwa fünf Prozent sind Muslime. Die verbleibenden 35 Prozent gehören entweder einer kleineren christlichen Kirche an, von denen es bei uns zunehmend mehr gibt. Oder sie sind konfessionslos.
80 Prozent der Schüler besuchen den Religionsunterricht
Weil aber das Ersatzfach „Ethik“ erst ab Klasse 8 angeboten wird, schicken auch Eltern, die keiner Kirche angehören, ihre Kinder in den Religionsunterricht – in der Grundschule fast flächendeckend. Die Zahl der Abmeldungen vom Religionsunterricht liegt unter fünf Prozent, berichten sowohl das Erzbistum Freiburg wie auch die Badische Landeskirche. In Baden erhalten fast 80 Prozent aller Schüler Noten in den Fächern katholische oder evangelische Religionlehre. Von einem Nischenfach kann also keine Rede sein.
Von einem goldenen Zeitalter des Glaubens allerdings auch nicht. Religiöse Vorerfahrung – Fehlanzeige. „Das Elternhaus ist in Sachen religiöse Grundbildung meist nicht mehr präsent“, bedauerte Jutta Stier, die Schuldekanin im Katholischen Dekanat Kraichgau am Rande des Heidelberger Religionslehrertags. „Deswegen beginnen wir mit der Einführung von Vaterunser und Glaubensbekenntnis. Früher hat man das als selbstverständlich vorausgesetzt.“ Lediglich ein rudimentäres Wissen um die Feste im Jahreskreis besitzen die Kinder noch. Aus den kirchlichen Kindergärten.
Die Religionslehrer anno 2016 müssen den Glauben ebenso systematisch einführen wie die Mathekollegen das Einmaleins. Biblische Geschichten, die Symbole, die Liturgie, der Kirchenraum. Die eine Seite. Die andere ist die religiöse Grundhaltung. Eine Kerze anzünden, still werden, ein Gebet sprechen, Schulgottesdienst feiern.
Die Schüler beobachten, ob der Reli-Lehrer lebt, was er lehrt
„Bei uns erleben die Schüler Effekte, die sie weder von zuhause noch aus anderen Fächern kennen“, sagte Jutta Stier aus dem Kraichgau. Dann lächelte sie. „Wir stören damit den Tagesablauf der Schule.“ Erzbischof Stephan Burger würde die Zufriedenheit mit dem Diesseits gern noch viel mehr stören. „Wir haben die Botschaft vom liebenden und barmherzigen Gott weiterzugeben“, wurde er nicht müde, beim Religionslehrertag zu betonen. „Ein Religionslehrer, der nicht die Liebe zu Jesus Christus im Herzen trägt, wird andere nicht zum Glauben ermutigen können.“ Damit waren die Vergleiche mit dem Matheunterricht beendet. „Unser Umgang miteinander ist die Bewährungsprobe für das, was wir im Religionsunterricht lehren.“
Tatsächlich seien die Anforderungen, die die Schüler an die Persönlichkeit des Religionslehrers stellten, deutlich höher als in anderen Fächern, bestätigte Axel Müller, der Schuldekan des Dekanats Heidelberg-Weinheim, beim Pausengespräch in
der Neuen Uni. „Wir sprechen in unserem Unterricht von anderen Sachen als die anderen Lehrer, also müssen wir uns auch anders verhalten.“ Die Schüler beobachteten, ob der Lehrer das, was er ihnen beibringen will, auch selbst lebt. „Wir Religionslehrer sind das Gesicht der Kirche“, sagt Müller. „Auch in Situationen, in denen wir das lieber nicht sein möchten.“
„Die Wirklichkeit der katholischen Kirche ist eine andere“
Wenn ein Missbrauchsskandal aufgedeckt wird. Oder ein Bischof sich eine sündhaft teure Wohnung bauen lässt. Oder die katholische Kirche den Frauen immer noch nicht die gleichen Rechte einräumt wie den Männern. „Wie soll ich damit umgehen, wenn ein Schüler mir seinen männlichen Partner vorstellt, mit dem er eine Beziehung hat“, fragte ein junge Gymnasiallehrerin den Erzbischof beim Podiumsgespräch. „Ich freue mich über das Vertrauen, das mein Schüler zu mir hat. Aber die Wirklichkeit der katholischen Kirche ist eine andere.“
Stille in der Aula. „Religionsunterricht gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben, die unsere Kirche zu vergeben hat“, sagte Erzbischof Stephan Burger in seinem Schlusswort an die Lehrer. „Sie kommen mit Menschen ins Gespräch, die kaum je einen Fuß in eine Kirche setzen.“ Doch erzwingen könne den Glauben auch der beste Religionslehrer nicht. „Wir können nur brennen und vorleben.“