Es war ein weiter Weg. Und ein gefährlicher. Er führte durch die Finsternis des Thüringer Waldes, über die Ödnis des Sattelpasses bis zu den Schlaglöchern der alten Heerstraße nach Würzburg. Dort würde der Wagen nach Heidelberg warten.
Doch noch ging Martin Luther zu Fuß. Fast 500 Kilometer in dreizehn Tagen, mit einfachen Sandalen an den Füßen.
Er sei „gewaltig abgemattet“ klagte der 35-jährige Augustinermönch in einem Brief an Hofkaplan Spalatin in Wittenberg. Georg Spalatins Antwort ist nicht überliefert. Es darf jedoch vermutet werden, dass man am Sächsischen Hof andere Sorgen hatte als Luthers schmerzende Füße. Wir schreiben den April 1518. Fünf Monate zuvor, am Vorabend des Allerheiligenfestes, hatte der Augustiner-Eremit zu Wittenberg seine 95 Thesen wider den Ablasshandel veröffentlicht.
Hinter jeder Fichte konnte ein gedungener Mörder lauern
Im Dezember 1517 war er deshalb von seinem eigenen Erzbischof Albrecht von Brandenburg in Rom wegen Ketzerei angezeigt worden. Der Dominikanerorden plante, sich der Klage anzuschließen. Und jetzt marschierte dieser Martin Luther ungeschützt durch die Thüringer Wildnis, wo hinter jeder Fichte ein gedungener Mörder lauern konnte. Ärgerliche Runzeln auf der Stirn des sächsischen Kurfürsten Friedrich III.
Wenigstens wanderte Luther nicht allein. Sein Klosterbruder Leonhard Beier und sein Diener Urban begleiteten ihn nach Heidelberg, wo die Augustiner-Eremiten ihr Generalkapitel abhalten wollten. Als Distriktsvikar führte Martin Luther die Aufsicht über zehn Konvente und war verpflichtet an der Vollversammlung teilzunehmen. Sie versprach, richtig spannend zu werden. Denn im Anschluss an die Tagung wollte Herr Doktor Luther in einer öffentlichen Vorlesung seine neue Theologie erklären. Die Heidelberger Disputation am 26. April 1518 sollte Martin Luthers erster öffentlicher Auftritt seit dem Thesenanschlag werden. Und: Sie wird der zündende Funke sein, durch den sich Luthers Lehre wie ein Buschfeuer in Süddeutschland ausbreitete. Heidelberg, ein Brandherd der Reformation.
Aber so weit sind wir noch nicht. Die Feiern zum 500. Geburtstag der 95 Thesen beginnen erst am 31. Oktober 2016. Und in unserer Geschichte ist Martin Luther noch dabei, die Elbe zu überqueren.
Der Kosmos öffnete sich. Das Mittelalter lag in den letzten Zügen.
1483 wurde Martin Luther geboren, 1546 ist er gestorben. In den 63 Jahre dazwischen veränderte sich die Welt epochal. 1450 hatte Gutenberg die beweglichen Bleilettern erfunden. Flugblätter und Bücher wurden plötzlich in Millionenauflage gedruckt, Bildung und Information bis in die kleinste Hütte. 1492 landete Kolumbus in Amerika. Eine neue Welt war entdeckt und wollte erforscht werden. 1543 erklärte Kopernikus erstmals schlüssig, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Der Kosmos öffnete sich, das Mittelalter lag in den letzten Zügen, die Neuzeit stand vor der Tür.
In den frühen Morgenstunden des 9. April 1518 muss Martin Luther sein Studierzimmer im Schwarzen Kloster verlassen haben, um gen Heidelberg zu wandern. Das folgert jedenfalls Dr. Harald Pfeiffer aus Heidelberg. Der evangelische Pfarrer im Ruhestand hat Luthers Weg in einem neuen Büchlein akribisch nachgezeichnet. (Das Buch gibt es bei Harald Pfeiffer. E-Mail: Dr.HaraldPfeiffer@gogglemail.com)
Gepredigt hat Luther auf dieser Reise nirgendwo. Heidelberg sollte die Premiere erleben.
Die drei Augustiner-Eremiten gingen schweigend und hintereinander, wie es die Regel des heiligen Augustinus verlangte. Acht, neun, zehn Stunden am Tag. Die Kapuzen über den Kopf gezogen, die Hände im schwarzen Habit vergraben. Gepäck hatten die Brüder keines. Am Ledergürtel hing die Wasserflasche, im Beutel lagen ein Stück Brot und das Brevier. Fünf mal am Tag wurde gebetet. Gepredigt hat Luther auf seiner ersten Reise nach dem Thesenanschlag nirgendwo. Die neue Theologie sollte in Heidelberg ihre Premiere erleben.
Am 17. April 1518 erreichten die drei Mönche Würzburg. Blendend gelaunt, denn ihnen war ein erstklassiger Streich gelungen. Im Gasthof des Örtchens Judenbach hatte Luther den kurfürstlichen Rat Pfeffinger erkannt und sich jovial an seinem Tisch platziert. Man scherzte, aß und trank. Als es schließlich ans Bezahlen ging, argumentierte Luther so raffiniert, dass die gesamte Zeche an Pfeffinger hängen blieb. „Ihr kennt ja meine Vorliebe, Reichen etwas zur Last zu fallen“, feixte der Reformator in seinem täglichen Brief nach Wittenberg.
In Würzburg brauchte Luther keine Tricks. Der Bischof höchstpersönlich empfing ihn, um ihn für die Heidelberger Disputation zu briefen. Warum auch nicht. Martin Luther war zu dieser Zeit noch mit Leib und Seele katholischer Priester. Wäre es nach ihm gegangen, hätte sich daran auch nichts geändert. Der Wittenberger Mönch war nicht ausgezogen, um eine neue Kirche zu gründen. Er wollte die bestehende verbessern, indem er den Menschen die Last der Schuld nahm und sie in ein inniges Verhältnis mit Gott führte. Ob dieser neue Glaube angenommen würde, hing wesentlich davon ab, wie die Heidelberger Universität auf die Thesen des Augustinermönchs reagierte. Schon möglich, dass Luther Lampenfieber hatte.
Heidelberg im 16. Jahrhundert: Eine leuchtende Stadt
Am 19. April 1518 bestieg er zusammen mit den Brüdern aus Erfurt eine Kutsche. „Die alte Post- und Heerstraße führte über Tauberbischofsheim, Mudau und Mosbach“, schreibt Harald Pfeiffer. „Am 21. April spät abends rumpelte der Wagen durch das Heidelberger Obertor.“
Heidelberg im 16. Jahrhundert. Eine leuchtende Stadt. An der ältesten Universität Deutschland forschte die Creme de la Creme der Wissenschaft. Internationales Publikum flanierte in den Gassen, auf den Emporen der Heiliggeistkirche stand die Bibliotheca Palatina, die größte Bibliothek der Welt. Rund 5500 Einwohner zählte die kurpfälzische Metropole, dazu kamen noch etwa 600 Studenten. Und natürlich die idyllische Lage der Stadt. Ein paar Tagen zuvor war Luther im Thüringer Wald noch durch den Schnee gestapft. Jetzt am Neckar duftete es nach Frühling und der Hang des Heiligenbergs schimmerte zartgrün.
Herr Doktor Luther wurde feierlich vom Pedel zum Rednerpult geleitet
Die Altstadt war stark befestigt. Die Stadtmauer zog sich vom Neckar an der Marstallstraße und der Grabengasse entlang bis zum Hexenturm. Dann machte sie eine Kurve und folgte der Seminarstraße. Das Augustinerkloster, 1279 gegründet, schmiegte sich in die Achselhöhle der Mauer und breitete sich von dort über den heutigen Universitätsplatz aus. Martin Luther logiert hier zehn Tage lang.
Am 24. April und 25. April 1518 tagten die Mönche hinter verschlossenen Türen. Martin Luther stellte sich als Distriktsvikar nicht mehr zur Wahl. Offenbar ahnte er, dass er Anderes zu tun haben würde. Dann endlich kam der 26. August 1518 – und mit ihm der Hype. So groß war der Ansturm auf die Luthersche Disputation, dass man im Augustinerkloster keinen geeigneten Raum für all die Menschen finden konnte. In ihrer Not wandten sich die Mönche an die Universität. Diese stellte den nahegelegenen Hörsaal philosophischen Fakultät in der Augustinergasse zur Verfügung. Herr Doktor Luther wurde feierlich vom Pedel mit Stab zum Rednerpult geleitet.
Der künftige Reformator trat bei seiner ersten öffentlichen Rede souverän auf. Luther sprach fließendes Latein und verschwendete kein einziges Wort an den Ablasshandel. Stattdessen servierte er 28 theologische und 12 philosophische Thesen. „Der Mensch, der da meint, er wolle dadurch zur Gnade gelangen, dass er tut, soviel ihm möglich ist, häuft Sünde auf Sünde“, sagte Martin Luther. „Die Werke der Menschen sind Todsünden, wenn sie ohne Furcht in unverfälschter und böser Selbstsicherheit getan werden.“
Die Heidelberger Disputation war der Startschuss für die Reformation.
Starker Tobak. Der Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 in Wittenberg mag ein medienwirksamer Paukenschlag gewesen sein. Den theologische Startschuss für die Reformation gab ohne Zweifel die Heidelberger Disputation.
Als endlich – Stunden später – die theologische Schlacht geschlagen war, stieg Martin Luther hinauf zum Heidelberger Schloss. Pfalzgraf Wolfgang, der jüngere Bruder des Kurfürsten, hatte den Augustinermönch eingeladen. Man kannte sich aus Wittenberg, wo Wolfgang 1515 als Rektor die junge Universität geleitet hatte. Zwei sehr launige Abende verbrachte Luther in der Burg auf dem Berg. Am 1. Mai 1518 ist er mit dem Wagen abgereist.
Martin Luther hinterließ eine Stadt in Aufruhr
Martin Luther hinterließ eine Stadt in Aufruhr. Die Professoren reagierten auf die Disputation durchweg ablehnend. Fast vierzig Jahre sollte es dauern, bis die Reformation in Heidelberg Fuß fassen konnte.
Die Studenten hingegen, die Luthers Heidelberger Disputation live miterlebt hatten, standen in Flammen. Zuhauf verließen sie Universität und Stadt, um den Menschen draußen im Land den neuen Glauben zu bringen.
Martin Bucer, ehemals Dominikanermönch, reformierte Straßburg und das Elsass. Johannes Brenz wurde zum Motor der Reformation in Württemberg. Martin Frecht ging nach Ulm. Besonders begeisterte Anhänger der lutherschen Lehre waren die Ritter im Kraichgau. „Nur eine Generation nach Luthers Heidelberger Disputation war der Kraichgau eine fast geschlossen evangelische Landschaft“, steht in der Chronik der Badischen Landeskirche zu lesen.
Buchtipp: „Martin Luthers Reise zur Heidelberger Disputation 1518“ von Dr. Harald Pfeiffer
erhältlich bei Dr. Harald Pfeiffer, Wormser Str. 2, 69123 Heidelberg, Telefon: 06221-883636, E-Mail: Dr.HaraldPfeiffer@googlemail.com
Guten Abend
wie komme ich an das Buch: „Martin Luthers Reise zur Heidelberger Disputation 1518“
Ich bitte um Ihre baldige Nachricht.
Danke
Erich Noller
Sehr geehrter Herr Noller,
das Buch gibt es bei Pfarrer Harald Pfeiffer
Telefon 06221-883636
E-Mail: Dr.HaraldPfeiffer@googlemai.com
Viele Grüße
Diana Deutsch
Korrektur: Die Mail-Adresse muss natürlich lauten:
Dr.HaraldPfeiffer@googlemail.de
Guten Morgen ,ich möchte auch so ein prächtiges Buch haben.Danke