Der Pfarrer auf dem roten Sofa

Christian Hess will die Kirche
zu den Menschen bringen
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Auf dem Heidelberger Marktplatz steht jetzt öfter mal ein rotes Sofa. Mittendrin zwischen Straßencafés und Edelburgern. Dort, wo die Stadt am trubeligsten ist. Auf dem Sofa sitzt ein junger Mann in Jeans und Turnschuhen. Er lächelt. Mehr braucht es nicht, um die Menschen neugierig zu machen.

Wer näher kommt, entdeckt schnell das Logo „Katholische Stadtkirche“. Das ist der entscheidende Moment. Etliche Passanten biegen sofort wieder ab. Viele fragen nach. Drei oder vier nehmen tatsächlich Platz. „Oft entwickelt sich dann ein sehr intensives Gespräch“, berichtet Christian Hess, seit Dezember verantwortlich für die Citypastoral in Heidelberg. „Meist erwähne ich erst beim Abschied, dass ich Priester bin.“

Will die Kirchen den Draht zur Gesellschaft nicht verlieren, muss sie die Gotteshäuser verlassen.

Citypastoral. Das ist eine der größten Herausforderungen, vor denen die katholische Kirche derzeit steht. Will sie den Draht zur Stadtgesellschaft nicht verlieren, muss sie die Gotteshäuser verlassen und sich im urbanen Umfeld behaupten. Das ist nicht einfach.

Ein katholischer Priester mit Jeans
und Sofa erregt Aufsehen
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„Ich spüre eine große Sprachlosigkeit zwischen den Menschen draußen auf der Straße und denen drinnen in der Kirche“, sagt Christian Hess (41). „Die gemeinsame Verständigungsebene scheint verloren gegangen zu sein.“ Um neue Anknüpfungspunkte zu finden, will Hess den Heidelbergern jetzt erst einmal zuhören. Deshalb das rote Sofa auf dem Marktplatz.

Sobald jemand auf dem Sofa Platz nehmen möchte, wechselt Christian Hess auf einen roten Klappstuhl. Nicht nur wegen Corona. Sondern vor allem, damit er seinem Gesprächspartner in die Augen sehen kann. „Das ist wichtig“, sagt Hess.

„Ich sage bewusst Sofa. Couch klänge zu sehr nach Sigmund Freud.“

Da war kürzlich beispielsweise dieser wütende Mann. Kaum saß er, begann er schon über die Kirche herzuziehen. „In wirklich sehr abfälliger Weise“, erinnert sich Hess. Der junge Priester hielt die Tirade aus. Er widersprach nicht, er schaute nicht weg. Er warf nur hier und da einige Fragen ein.

„Sofa oder Klappstuhl“ nennt
sich die Aktion.

Schließlich wurde der Mann ruhiger. „Eigentlich glaube ich ja gar nicht, dass mit dem Tod alles vorbei ist“, sagte er. „Irgendeine Kraftquelle muss es doch geben, die mich als Menschen weiterträgt.“ Damit stand der Mann auf und ging. Unmissioniert. Aber nachdenklich. Vielleicht erstaunt über seine eigenen Worte. So viel kann das rote Sofa. „Ich nenne das Sitzmöbel sehr bewusst das Sofa“, lächelt Christian Hess. „Würde ich Couch sagen, klänge das zu sehr nach Sigmund Freud.“

„Der Jesuitenorden ist nach wie vor die Quelle, an der ich Kraft tanke.“

Orgelbauer wollte Christian Hess ursprünglich werden. Weil er das große Instrument liebt. Heute noch. Doch nach der Lehre verspürte der junge Mosbacher plötzlich eine Sehnsucht nach mehr. Hess machte sein Abitur nach, absolvierte ein freiwilliges Soziales Jahr in einem Kinderheim in Bosnien-Herzegowina. 2006 trat er ins Freiburger Priesterseminar ein.

Doch die Unruhe verschwand nicht. Hess zog für ein halbes Jahr in eine inklusive Wohngemeinschaft mit behinderten Menschen. Er studierte in San Salvador die Befreiungstheologie von Oscar Romero. Und er begann ein Noviziat bei den Jesuiten, das er aber nach einem Jahr wieder beendete. „Der Jesuitenorden ist nach wie vor die Quelle, an der ich Kraft tanke“, sagt Hess. „Aber meine Aufgabe als Priester sehe ich in der Gemeinde.“

Eine halbe Stelle für die Citypastoral, die andere Hälfte für die Seelsorge in der Chirurgischen Uniklinik.

„Ashes to go“ verteilte Hess
am Aschermittwoch an die Passanten
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Als Kaplan in Buchen machte Christian Hess plötzlich eine Entdeckung. „Ich hatte damals sehr viele Einzelgespräche mit Menschen mit gebrochenenen Biographien“, erzählt der 41-Jährige. Hess war überrascht, wie bereichert er sich nach diesen Gespräche fühlte. Er hatte seine Richtung gefunden.

Jetzt in Heidelberg kümmert sich der jungen Priester mit einer halben Stelle um die Citypastoral und mit der anderen Hälfte um die Seelsorge in der Chirurgischen Uniklinik. Und an seinen freien Tagen macht er eine psychologische Ausbildung in „Logotherapie und Existenzanalyse“ nach Viktor Frankl. Das hat nichts mit Sprechübungen zu tun. Logotherapie leitet sich ab vom griechischen „Logos“ und meint die Suche nach dem konkreten, personalen Lebenssinn.

„Kirche mitten unter den Menschen! Super!“

Die erste Mensch, der sich auf das rote Sofa mitten auf dem wuseligen Heidelberger Marktplatz gesetzt hat, war eine Dame mit Fahrrad. Ein wenig alternativ und sehr resolut. Mit katholischer Kirche habe sie nichts am Hut, beschied sie Christian Hess gleich nach der Begrüßung. Aber ein paar Fragen habe sie schon. „Ich habe geahnt, dass das ein längeres Gespräch wird“, erinnert sich Hess lächelnd. „Sie hatte ihr Fahrrad sehr sorgfälltig abgeschlossen.“

Nach diesem ersten Nachmittag auf dem Marktplatz hat Christian Hess übrigens ein Bild vom roten Sofa auf Facebook gespostet. Es wurde 1300 Mal geklickt. Und 77 Mal geteilt. Das sind Spitzenwerte. Der erste Kommentar lautete: „Kirche mitten unter den Menschen! Super!“

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