Die Lutherbibel liegt jetzt vor dem Tabernakel

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Die neue Pius-WG: v.r. Pfarrerin Egenlauf-Linner, PGR-Vorsitzender Hübner, Älteste Kammer,  Pfarrer Zedtwitz

Etwas verblüfft blinzelten die Passanten schon, als die Prozession vorüberschritt: Vorne gingen elf katholische Ministranten mit Vortragekreuz und Standarten. Dahinter folgte die evangelische Pfarrerin. Eine ungewöhnliche Kombination, die von einer neuen Stufe der Ökumene kündet. Im Mannheimer Stadtteil Neuostheim gibt es künftig nur noch eine Kirche, in der Katholiken und Protestanten gemeinsam zuhause sind.

“Es war ein überwältigendes Erlebnis, von den Ministranten hierher begleitet zu werden“, sagte Pfarrerin Martina Egenlauf-Linner als sie zusammen mit ihrem katholischen Kollegen Pfarrer Klaus Zedtwitz die vermutlich erste ökumenische Kirche Badens betrat.

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Die Thomaskirche: Wird wahrscheinlich zum Restaurant umgebaut

Neuostheim ist einer der vornehmsten Stadtteile Mannheims und einer der kleinsten. Gerade mal 3500 Menschen leben hier, viele in Villen. Die idyllischen Neckarwiesen liegen vor der Haustüre. Etwas mehr als 1300 Gläubige zählen sowohl die evangelische wie die katholische Gemeinde. Sie rangieren damit am unteren Ende der Mannheimer Statistik, was nicht gut ist. Beide Konfessionen legen derzeit Gemeinden zusammen, beide Konfessionen wollen ihren Immobilienbestand reduzieren. Sorgenfalten in Neuostheim.

„Der Wasserschaden hat uns ins Gespräch gebracht“

Dann der Kaltlufteinbruch. Kurz vor Weihnachten 2009 sank das Thermometer bis auf minus 16 Grad. Das war zu viel für die Wasserleitung der evangelischen Thomaskirche in Neuostheim. Das Rohr platzte, wurde notdürftig geflickt und barst in der Nacht darauf endgültig. Die Thomaskirche versank im Wasser. Totalschaden. Die Mannheimer Stadtsynode, seit Jahren knapp bei Kasse, konnte und wollte sich die teure Sanierung des kleinen Kirchleins aus dem Jahr 1950 nicht leisten. Jetzt soll die Thomaskirche Teil des neuen Technologieparks „Eastsite“ werden, der derzeit in Neuostheim entsteht. Man will sie in ein Restaurant umwandeln.

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Seit Dezember 2009 nur noch als Lager zu nutzen: Die zerstörte Thomaskirche

Die Thomasgemeinde feiert ihre Gottesdienste schon seit 2010 in der nahegelegenen katholischen Kirche St. Pius. Erst als geladener Gast, jetzt als gleichbereichtigter Partner in der ökumenischen Kirche. Sichtbares Zeichen der Gemeinsamkeit ist die schwere alte Lutherbibel, die jetzt auch während der heiligen Messen auf dem Altar liegt. „Der Wasserschaden hat uns ins Gespräch gebracht über unseren Glauben“, staunt Martina Egenlauf-Linner. „Was daraus alles entstanden ist, tut wirklich gut.“ Gottes Wege. Demnächst soll der erste Spatenstich für einen großen ökumenischen Kindergarten und ein neues evangelisches Pfarrhaus auf dem Gelände von St. Pius erfolgen. Das ehemalige Pfarrhaus bei der Thomaskirche muss einem neuen evangelischen Seniorenzentrum weichen.

Dank der Ökumene ist St. Pius jetzt langfristig gesichert

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Die erste „moderne“ Kirche Mannheims: St. Pius in Neuostheim aus dem Jahr 1955

Die Katholiken sind ebenfalls glücklich über die Fügung. St. Pius gehört seit dem 1. Januar 2015 zur neuen großen Seelsorgeeinheit „Johannes XXIII.“ mit 16000 Gläubigen. „In den nächsten zehn Jahren hätte St. Pius ganz sicher zur Disposition gestanden“, schätzt Pfarrer Klaus Zedtwitz. Dank der Ökumene ist die Kirche jetzt langfristig gesichert. St. Pius bleibt weiter im Besitz der katholischen Kirche. Die Unterhaltskosten werden geteilt. Am ökumenischen Nutzungsvertrag wird noch gefeilt. „Beide Kirchenleitungen finden das Modell klasse“, weiß Pfarrerin Egenlauf-Linner. „Vielleicht macht es ja Schule.“ Das Zusammenwachsen kann beginnen.

St.Pius, 1955 geweiht, ist eine große und radikal moderne Kirche: Ein klares hohes Rechteck mit flach geneigtem Satteldach und Stahlbetonwänden, die jedoch mit matt glasiertem Klinker verkleidet sind. Anstelle von Fenstern durchbrechen viele kleine quadratische Glaswaben die Wände und tauchen das Kircheninnere in diffuses Licht. Der Campanile steht frei.

Eine radikal moderne Kirche

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„Maria symbolisiert das weibliche Element in der Kirche“, sagt Pfarrerin Egenlauf-Linner

Einziger Schmuck der Kirche ist ein elegantes Glasmosaik über dem Tabernakel. Es zeigt den Gekreuzigten umflort von einem Heiligenschein und bekrönt von einem schlanken Baldachin aus Kupfer. Links vor dem Altar steht das ökumenische Taufbecken, rechts ein Marienbildnis. An ihm hat die evanglische Pfarrerin Egenlauf-Linner schon Gefallen gefunden. „Maria symbolisiert für mich das weibliche Element in der Kirche.“

Ebenso wie die Thomaskirche steht auch St. Pius unter Denkmalschutz. Das wird zum Problem werden. Schließlich soll die Kirche jetzt, da sie ökumenisch geworden, umgestaltet werden. Nicht dramatisch sondern „langsam, achtsam und sanft“, wie Martina Egenlauf—Linner betont. Flexible Stühle statt starrer Kniebänke beispielsweise hätten die Protestanten gern. Und einen Altar, der nicht so weit entfernt ist von der Gemeinde. Alles heikle Themen in den Augen des Denkmalschutzes, weiß Klaus Zedtwitz. „Die katholisch-evangelische Zusammenarbeit wird längst nicht so schwierig wie die Verhandlungen mit dem Denkmalamt.“

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