Als Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der EKD, an den Ambo der Heiliggeistkirche trat, sah er aus, als könne er selbst nicht ganz glauben, was da in seinem Manuskript geschrieben stand. Die Geschichte Heidelbergs.
Kurfürst Ottheinrich war Lutheraner, sein Nachfolger Friedrich III. Calvinist, dessen Sohn Ludwig VI. wieder Lutheraner und unter Johann Casimir musste die Stadt erneut reformiert glauben. „Ich möchte wissen“, überlegte Schneider, der als junger Pfarrer in Duisburg-Rheinhausen gegen die Schließung des Kruppschen Hüttenwerks gekämpft hat, „wie sich die Leute gefühlt haben, die dieses Hin und Her mitmachen mussten.“
Die Gästeliste zum 450. Geburtstag des Heidelberger Katechismus las sich spektakulär
Festakt für den Heidelberger Katechismus. 450 Jahre alt wird das calvinistische Lehrbüchlein, das Kurfürst Friedrich III. 1563 verfassen ließ und das rasch seinen Siegeszug um die Welt antrat. Die Gästeliste der Geburtstagsfeier in Heiliggeist las sich entsprechend spektakulär. Etliche Landesbischöfe waren angereist, die meisten evangelischen Dekane der Region, zig Pfarrer, Professoren und Stadträte.
In der ersten Reihe saßen neben den Schneiders, Landesbischof Ulrich Fischer mit Frau, das Ehepaar Würzner, Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Prinzessin Stephanie von Baden, der Unternehmer Manfred Lautenschläger, Ministerin Theresia Bauer sowie Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Gattin. Die Landesmutter sorgte für das optische Highlight beim Festakt. Während alle anderen Damen in schwarz erschienen waren, trug Gerlinde Kretschmann zum mintgrünen Blazer, seidene Marlenehosen in Beige und knallrote Stöckelschuhe.
Im 16. Jahrhundert war Heidelberg eine stahlende Weltstadt
Im 16. Jahrhundert war Heidelberg eine Weltstadt. Und ein „Gesamtkunstwerk“, wie Oberbürgermeister Eckart Würzner fast sehnsüchtig bemerkte. Die Renaissancebauten des Schlosses, der Hortus Palatinus, die Neckarbrücke, die Fassade des Hauses zum Ritter, die Türme der Kirchen und die Bibliotheca Palatina auf der Empore der Heiliggeistkirche spiegelten das stolze Selbstbewusstsein der Stadt wieder, sagte Würzner beim Festakt. „Nie war Heidelberg internationaler.“
Was auf die Glaubensflüchtlinge zurückzuführen war, die aus ganz Westeuropa nach Heidelberg strömten, ergänzte Landesbischof Ulrich Fischer. Mit den Hugenotten und Wallonen kamen Weltoffenheit und Toleranz an den Neckar. Ulrich Fischer: „Die Protestantenverfolgung des 16. Jahrhunderts hatte insofern eine positive Auswirkung auf die Kurpfalz, als sie Menschen an den Hof und die Universität brachte, die das reformierte Gedankengut weiter entwickelten.“ Zachrias Ursinus beispielsweise, den Verfasser des Heidelberger Katechismus.
Die gesamte calvinistische Theologie in der Hosentasche
„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ lautet seine erste Frage. „Was bedeutet das Wort Amen?“ die 129. Dazwischen findet sich eine hübsche, kleine calvinistische Theologie, die man in die Hosentasche stecken kann. In vielen Ländern wird das auch noch gemacht. Bei uns eher nicht.
Was nicht heißen soll, dass die Idee des Heidelberger Katechismus überholt wäre. „Angesichts einer religiösen Amnesie nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern teilweise auch in unserer Kirche“, formulierte EKD-Ratspräsident Nikolaus Schneider, „wird deutlich wie wichtig der Grundsatz der Reformatoren ist: Jeder Christenmensch soll sich ein Grundwissen über den Glauben aneignen.“ Mindestens das Glaubensbekenntnis, die Einsetzungsworte von Taufe und Abendmahl, die zehn Gebote und das Vaterunser müsste jeder Getaufte auswendig können, fand Schneider.
Frage 100 empfiehlt die Todesstrafe bei vermeintlicher Gotteslästerung
Weil der Ratsvorsitzende als Rheinländer ein Freund klarer Worte ist, verschwieg er auch die Fehler des Heidelberger Katechismus nicht. Zwei Fragen gehen heute gar nicht mehr. Nummer 100 empfiehlt bei jeder vermeintlichen Gotteslästerung die sofortige Todesstrafe. Und in Frage 80 wird die katholische Eucharistie zu „vermaledeiter Abgötterei“ erklärt. Glücklicherweise sei die evangelische Kirche in den letzten 450 Jahren weitergekommen, versicherte Nikolaus Schneider seinem „lieben Bruder Zollitsch“. „Heute erleben wir die unterschiedlichen Bekenntnisse und Traditionen als gegenseitige Ergänzung und Bereicherung.“
Anderenfalls hätte man den Ehrengast des Festaktes gar nicht eingeladen können. Winfried Kretschmann ist bekanntlich gläubiger Katholik. Der Ministerpräsident sah in der Geschichte des Katechismus eine Warnung vor jedem Versuch, Politik und Kirche zu vermischen. „Der Staat muss die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften erkennen und würdigen, sich aber einer Bewertung der Religion enthalten“, sagte Kretschmann. Gerade er als Katholik wisse, wie viel unser Land der Reformation verdanke. „Die Reformation hat uns sensibel dafür gemacht, dass es nicht selbstverständlich ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Anerkennung und Achtung der Religion des anderen zur politischen Kultur gehört. Dafür sollten wir dankbar sein.“