Wer weniger hat, kann mehr geben

Peru ist das Partnerland
der Erzdiözese Freiburg

Es war ein Donnerstag im Februar 1986. Inge Auer erinnert sich, als sei es gestern gewesen. Sie hatte das „Konradsblatt“, die Zeitung für das Erzbistum Freiburg, aus dem Briefkasten gefischt und war an einer Meldung hängen geblieben.

Die Erzdiözese suchte mutige Pfarrgemeinden für eine dauerhafte Partnerschaft mit Peru. Inge Auer aus Kirchardt, Hausfrau und Mutter von sechs Kindern, war elektrisiert. Obwohl sie kein Wort Spanisch verstand, gründete sie einen Perukreis und meldete sich. Die Antwort kam postwendend: Die neue Partnergemeinde von St. Ägidius hieß San Francisco de Asis und lag in Bernal an der Nordküste Perus. Ein Wüstendorf. 11000 Kilometer von Kirchardt entfernt.

In Kirchardt vergeht kein Tag ohne Facebook-Nachricht aus Peru

Heute, 32 Jahre später, spricht Inge Auer fließend spanisch. Sie war schon zwölf Mal am Pazifik, ist stundenlang über Schotterstraßen gehoppelt, hat mit dem Perukreis zig Aktionen gestartet, tausende von Euro für „ihr“ Dorf gesammelt und eine funktionierende Partnerschafts-Infrastruktur aufgebaut. „Es vergeht kein Tag ohne Facebook-Nachricht aus Peru“. Nur am berühmten Titicacasee war Inge Auer noch nie. Eine Partnerschaft lässt keine Zeit für Sightseeing. Eine Geschichte über die Solidarität und das Teilen, passend zur Fastenzeit.

Inge Auer: „Partnerschaft ist mehr als nur Geld schicken.“

Peru ist das drittgrößte Land Südamerikas. Mehr als doppelt so groß wie Deutschland, aber viel dünner besiedelt. Von den 32 Millionen Peruanern leben knapp zehn Millionen in der Hauptstadt Lima. Im Süden Perus liegt die trockenste Wüste der Welt. Die Gletscher der Anden reichen bis hinauf auf 7000 Meter. Östlich der Kordilleren beginnt der tropische Regenwald. Heiß, feucht und voller Moskitos. Es ist der letzte echte Urwald der Welt.

80 Prozent der Peruaner glauben katholisch. Das Priesterseminar ist noch ordentlich gefüllt mit jungen Männern. Das politische System krankt an den Folgen von Diktatur und Korruption. „Immerhin hat sich Peru für die Fussballweltmeisterschaft qualifiziert. Das hat das Volk sehr geeint“, lächelt Bischof Reinhold Nann. Der deutsche Priester vom Kaiserstuhl lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Peru. Er hat in den Slums von Lima gearbeitet und im Urwald des Amazonasgebietes bei den indigenen Völkern.

„Den Peruanern ist es sehr wichtig, dass in Europa jemand an sie denkt.“

Reinhold Nann, ein deutscher  Bischof in den Anden

Seit August 2017 ist Reinhold Nann der Bischof von Caraveli in den bitterarmen Hochanden im Süden des Landes. Nann selbst sieht in seiner Ernennung ein Zeichen für das Umdenken in der katholischen Kirche unter Papst Franziskus. „Der Papst will weg vom Klerikalismus hin zu einer dienenden Kirche“, sagt Reinhold Nann. „Je weniger wir haben, desto mehr können wir den Menschen geben.“

Die 140 Partnerschaften zwischen Gemeinden in Peru und in der Erzdiözese Freiburg hält Andenbischof Nann für ein Geschenk Gottes. Nicht wegen der Spendengelder sondern wegen der menschlichen Begegnungen. „Für die Peruaner ist es sehr wichtig, dass es in Europa jemanden gibt, der an sie denkt.“

Der Perukreis aus Kirchardt reiste 1997 erstmals in seine Partnergemeinde am Pazifik. Eine fremde Welt. Karg, windig, arm. „Im Dorf gab es kein Wasser, kein Abwasser, keinen Strom und keine medizinische Versorgung“, erzählt Inge Auer. Die Kinder liefen barfuß durch den heißen Sand, die Kirche war ein Zelt mit Schilfdach, die Glocke hing an einem verkrüpelten Baum. „Wir waren die ersten Menschen mit weißer Hautfarbe, die die Dorfbewohner je gesehen haben“, erinnert sich Auer. „Doch trotz der Armut wurden wir herzlich und hilfsbereit aufgenommen. Die Peruaner würden ihr letztes Hemd für den Gast hergegeben.“

Karg, windig, arm:
Die Nordküste Perus

Gabriele Henrich nickt. Dieselbe Erfahrung hat sie auch gemacht, als sie von 1986 bis 1992 mit Mann und zwei Kindern in Lima gelebt hat. „Die Menschen in Peru haben so viel weniger als wir und sind so viel zufriedener.“

In Lima prallen die gesellschaftlichen Gegensätze ungefiltert aufeinander

Lima. Die Hauptstadt. Karlheinz Henrich arbeitete dort als Lehrer, Gabriele tat sich schwer mit der riesigen Metropole, in der die gesellschaftlichen Gegensätzen ungefiltert aufeinander prallen. In Lima, erzählt Gabriele Henrich, gibt es wunderschöne Wohnviertel am Meer. Doch nur ein paar Straßen weiter hausen die Menschen in Schilfdachhütten ohne Wasser und Strom, umgeben von Bergen aus Müll. „Noch nie hatte ich so viel Armut gesehen“, erinnert sich die Waibstädterin. Und dann begegnete ihr auch noch die Mutter mit dem halb verhungerten Kind. „Es hat nicht geschrien und nicht geweint. Es hat nur noch leise gemaunzt. Wie eine Katze.“ Das war die Initialzündung.

Gabriele Henrich engagierte sich in einem Tageskrankenhaus für unterernährte Kinder. Als dem Hospital das Geld ausging, wandt sich Henrich an ihre Waibstädter Pfarrgemeinde. Beim Heimaturlaub hielt sie einen Vortrag über Lima, und zur Stund brach in Waibstadt ein „peruanischer Flächenbrand“ (Henrich) aus. Alle wollten helfen, alle wollten spenden. Geld, Kuchen, Kinderspielzeug, Kleider. Die Pfarrgemeinde organisierte einen „Tag für Peru“ in der Stadthalle, ein Großspender finanzierte gleich ein ganzes Spielzimmer im Krankenhaus.

Etwa 2500 Euro überweisen die Waibstädter jeden Monat nach Lima

Das Krankenhaus „Nutri-Vida“ existiert
dank Spenden aus Waibstadt

Fast 30 Jahre ist das jetzt her. Die Partnerschaft zwischen der katholischen Pfarrgemeinde Mariä Himmelfahrt in Waibstadt und dem Tageskrankenhaus „Nutri-Vida“ in Lima lebt noch immer. „Nutri-Vida“ ist die Abkürzung von „Nutricion da Vida – Ernährung gibt Leben“. Etwa 2500 Euro überweisen die Waibstädter jeden Monat nach Lima. Alle fünf Jahre fliegt eine Delegation in die Peruanische Hauptstadt, um nach dem Krankenhaus zu sehen.

Die Kraichgauer kommen von Mal zu Mal zufriedener zurück. Das Gebäude und die Untersuchungszimmer sind sauber gefliest, es gibt einen Arzt, eine Psychologin, ein Labor, eine Apotheke und sogar eine Sprachtherapeutin. 30000 Patienten pro Jahr werden im Nutri-Vida behandelt. „In den letzten Jahren haben wir zwei weitere Bitten um finanzielle Hilfe erhalte“, erzählt Gabriele Henrich. Von einer Kinderklinik und einer Altentagesstätte.

Als Missionar auf dem Putumayo: Kein Wasser, kein Strom, Myriaden von Moskitos

Jeder Bischof trägt einen Ring am Finger. Als Zeichen seiner Treue zu Gott. Meist sind diese Bischofsringe aus Gold und sehr wertvoll. Der Ring von Reinhold Nann ist aus schwarzem Kokosholz. Es stammt aus dem tropischen Regenwald. Der Urwald nimmt fast zwei Drittel des peruanischen Staatsgebietes ein, doch nur zehn Prozent der Peruaner leben hier. Was verständlich ist angesichts der Hitze, der extremen Luftfeuchtigkeit und der Moskitos.

Eigentlich wollte Reinhold Nann als
Missionar im Regenwald leben, …

Es gibt dort keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine Wege, kein Handy. Genau dieses extreme Ambiente hatte sich Pfarrer Reinhold Nann im Frühjahr 2017 als künftigen Wohnort ausgesucht. Als Missionar wollte er in einem primitiven Hausboot den Fluss Putumayo befahren und rund 40 Urwald-Dörfer seelsorgerisch betreuen.

Im Regenwald leben noch 200 indigene Stämme ohne Kontakt zur Außenwelt

Der Peruanische Regenwald ist der letzte Urwald der Welt. Nur hier leben noch rund 200 indigene Stämme ohne Kontakt zur Außenwelt. Doch ihr Lebensraum ist gefährdet. Durch Edelholzwilderer, illegale Goldwäscher, die Drogenmafia, die im Dschungel Coca anbaut, durch internationale Ölkonzerne.

… doch dann kam der Anruf aus Rom.

Eine mächtige Gegnerschaft, deren Handeln Papst Franziskus auf seiner Peru-Reise im Januar radikal verurteilte. “Ihr seid wichtiger als Gold, Erdöl und Edelhölzer“, rief er den indigenen Amazonasbewohnern zu. „Ihr seid Kinder Gottes. Niemand hat das Recht, euch eure Stammesgebiete zu entreißen”.

Als der Papst Peru besuchte, war Reinhold Nann schon Bischof in den Hochanden. Von der Ernennung hatte er völlig überraschend mitten im Regenwald erfahren. Leicht sei es ihm nicht gefallen, seinen Missionarstraum aufzugeben, gesteht Nann. „Es hat weh getan, die Menschen im Urwald verlassen zu müssen. In den letzten 15 Jahren gab es hier keinen Pfarrer. Dreimal hat es einer versucht, aber alle haben aufgegeben.“

Acht Stunden im Pick-up aus halsbrecherischen Hochgebirgsstraßen

Das Dorf Motil liegt im Norden Perus, traumschön auf 3000 Metern Höhe . „Eine grandiose Landschaft“, schwärmt Barbara Berberich, die mit grandiosem Blick auf dem Dilsberg bei Neckargemünd wohnt. Wie Inge Auer in Kirchardt hatte auch Barbara Berberich vor 30 Jahren den Artikel über die neue Partnerschaft Freiburg-Peru studiert. Und sich beworben. Die Katholiken auf dem Dilsberg erhielten Motil in den Anden. Um dorthin zu gelangen, muss man von Trujillo, der zweitgrößten Stadt Perus, acht Stunden in einem Pick-Up über halsbrecherische Schotterstraßen durchs Hochgebirge fahren.


Barbara Berberich zu

Besuch in Mortil

Motil ist eine arme Gemeinde von indigenen Kleinbauern, die dem kargen Boden mit viel Mühe Kartoffeln, Mais und Bohnen abringen. „Bis 1978 hat das gesamten Land einem Großgrundbesitzer gehört“, erzählt Barbara Berberich. Seit der Bodenreform bearbeitet jeder sein Stückchen Land. Ein Leben von der Hand in den Mund. Ohne Strom, Gesundheitswesen, Telefon und Wasser. Als Partnerschaft mit den Dilsberger Katholiken begann, hatte ein Erdbeben gerade den Kindergarten, die Kirche und das Gemeindehaus zerstört. Die Zahl der Analphabeten war hoch, die Schule endete nach nur vier Jahren.

Marmeladeglas um Marmeladeglas wurde das Dorf Motil schöner

„Der Anfang mit Motil war sehr mühsam“, erinnert sich Barbara Berberich. Viele Briefe gingen verloren. Niemand sprach spanisch. Doch die Dilsberger Peru-Frauen gaben nicht auf. Sie backten und verkauften Linzertorten und Plätzchen. Marmelade, Liköre und Handarbeiten.  Und Marmeladeglas um Marmeladeglas, Kuchen um Kuchen wurde Motil schöner.

Perutag …

Heute gibt es in den Anden ein Gemeindehaus mit acht Räumen und zehn Betten, eine Grund- und Sekundarschule, einen Kindergarten, Computer mit Flachbilbildschirmen, Handyempfang und Strom. Als Barbara Berberich 2016 mit 80 Jahren noch einmal nach Motil reiste wurde sie empfangen wie eine Heldin. „Natürlich ziehen die jungen Leute heute immer noch in die Stadt“, sagt Berberich. Aber jetzt kämen sie nicht mehr als Analphabeten dort an.

„Eine Partnerschaft lebt von der Kommunikation und der Spiritualität“

... auf dem Dilsberg

„Solidarität ist viel mehr, als nur Geld schicken“, betont Inge Auer aus Kirchardt. „Eine Partnerschaft lebt von der Kommunikation und der Spiritualität.“ Die Kirchardter haben einmal einen 60 Meter langen Brief für Peru gemalt. Sie haben eine Partnerschaftskerze gestaltet, die bei jedem Gottesdienst brennt. Es gibt ein gemeinsames Partnerschaftsgebet und jeden Sonntag eine Fürbitte für Peru.

Der Perukreis auf dem Dilsberg hat ein Lieblingslied. Sie singen es bei jedem Treffen. Weil es Mut gibt. Und Hoffnung. „Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich, still und leise. Und ist er noch so klein, er zieht doch weite Kreise.“

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