Der große Tag des Martin L.

Lutherfenster in der Friedenskirche

Auf Spurensuche nach Luther in Heidelberg: Ein Fenster in der  Friedenskirche

Wittenberg, na klar. Erfurt, auch. Und Worms, natürlich. Aber Heidelberg? Verdient Heidelberg wirklich das Prädikat „Lutherstadt“? Kein Lutherdenkmal, kein Luthermuseum, im Lutherhaus residiert die Städtische Musik- und Singschule, die Lutherkirche stammt aus dem Jahr 1964. Lediglich eine Bronzeplatte auf dem Universitätsplatz, deren Farbton mit dem Pflaster verschmilzt, erinnert an den Aufenthalt des Reformators Ende April 1518. Eine Spurensuche.

„Martin Luther? Er kam schlank in Heidelberg an und verließ die Stadt rund und wohlgenährt.“ Der Fremdenführer lacht und zieht mit seinem Grüppchen weiter zur Jesuitenkirche. Natürlich übertreibt der Mann. Schließlich hat sich Martin Luther nur zehn Tage vom 22. April bis zum 1. Mai 1518 am Neckar aufgehalten. So schnell wird man nicht „rund und wohlgenährt“. Richtig ist jedoch, dass Luther sehr wohlwollend aufgenommen wurde.

Pfalzgraf Wolfgang war ein alter Bekannter aus Wittenberg

Luthergedenk

Nur eine Bodenplatte auf dem Uniplatz kündet von Luthers Disputation

Kaum angekommen, bat ihn vom Pfalzgraf Wolfgang, der jüngste Bruder des Kurfürsten Ludwig V., zum Festessen ins Schloss. Man kannte sich von früher. „Wolfgang hat in Wittenberg studiert und war 1515 sogar Rektor der dortigen Universität gewesen“, schreibt der Theologe und Melanchthon-Biograph Heinz Scheible in seinen „Beiträgen zur Kirchengeschichte Südwestdeutschlands“. Gewohnt hat der 34-jährige Martin Luther im Augustinerkloster auf dem heutigen Uniplatz. Das Kloster reichte etwa von der Südwand der heutigen Alten Universität bis zur Stadtmauer am Hexenturm.

Die Reise von Wittenberg nach Heidelberg muss anstrengend gewesen sein. „Nach einem strapaziösen Fußmarsch gemeinsam mit seinem Klosterbruder Leonhard Beier stieß Luther in Würzburg zu den Erfurter Augustinern, die ihn im Wagen mit nach Heidelberg nahmen“, weiß Heinz Scheible. Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise hatte dem Augustinermönch vorsichtshalber einige Empfehlungsschreiben mitgegeben, denn die Route galt als gefährlich.

Die Heidelberger Disputation war Luthers erster öffentliche Auftritt seit dem Thesenanschlag

Noch mit ganzem Herzen Mönch: Martin Luther anno 1520

Heidelberg war Martin Luthers erster öffentlicher Auftritt außerhalb Wittenbergs nach dem Anschlag seiner 95 Thesen gegen die Ablasspraxis vom 31. Oktober 1517. Die Thesen waren rasch nachgedruckt worden, die Neugier auf den Verfasser entsprechend riesig. „Da Luther Angehöriger des Ordens der Augustinereremiten war, konnten die heftigen Auseinandersetzungen um die Thesen nicht ohne Folgen für den Orden bleiben“, erklärt Christoph Strohm, Professor für Reformationsgeschichte an der Universität Heidelberg in seinem wunderbaren Heft über die kurpfälzischen „Orte der Reformation“. „Luther wurde aufgefordert, seine Anliegen auf der nächsten Tagung des Kapitels der Reformkongregation des Ordens zu erläutern.“

Die Augustinereremiten waren der vierte große Bettelorden neben den Franziskanern, den Dominikanern und den Karmeliten. Die Mönche lebten allerdings schon zu Luthers Zeiten nicht mehr eremitisch, sondern agierten als Seelsorger und Prediger in den Städten. Martin Luther war 1505 in Erfurt in den Augustinerorden eingetreten. 1511 übersiedelte er ins Kloster von Wittenberg, wo sich der Konvent am Aufbau der neuen Universität beteiligte. 1512 wurde Luther zum Doktor der Theologie promoviert und zum Bibelprofessor ernannt.

Der Run auf die Disputation war so groß, dass man in einen Hörsaal ausweichen musste

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„Orte der Reformation: Heidelberg und die Kurpfalz“, EVA Leipzig

Seit 1515 fungierte er als Distriktsvikar, der für eine Reihe von Konventen zuständig war. In dieser Funktion reiste er auch zum „Generalkapitel“, einer Art Hauptversammlung, der Augustiner-Obersten, die alle drei Jahre stattfand. Anno 1518 eben in Heidelberg. Sehr zur Freude der Kurpfälzer. „Das Generalkapitel eines so angesehenen Ordens war auch für die Residenz- und Universitätsstadt kein alltägliches Ereignis“, schreibt Heinz Scheible.

Am 25. August 1518 widmeten sich die Delegierten erst einmal ihren Ordensangelegenheiten. Einen Tag später wurde es für Martin Luther ernst. Der Run auf seine Disputation war so groß, dass man in den Hörsaal der philosophischen Fakultät in der Augustinergasse ausweichen musste. Martin Luther machte seine Sache in Heidelberg sehr gut. Mit keinem Wort erwähnte er den Ablass. Stattdessen vermittelte er in 28 theologischen und 12 philosophischen Thesen den Grundgedanken seiner neuen Theologie: „Die völlige Abhängigkeit des Menschen von der Gnade Gottes. Nicht durch seine Werke erlange der Mensch Gottes Gnade, sondern allein durch seinen Glauben“, definiert Professor Christoph Strohm.

Heidelbergs Theologiestudenten standen in Flammen

Das vielköpfige und hochkarätige Auditorium reagierte zwiegespalten. Während die meisten Professoren und Honoratioren Luthers Ansichten skeptisch zur Kenntnis nahmen, standen die Theologiestudenten in Flammen. Luther habe mit „wunderbarer Liebenswürdigkeit“ geantwortet, mit „unvergleichlicher Geduld“ zugehört und „offene Antworten“ gegeben, schwärmte beispielsweise Martin Bucer, der spätere Reformator von Straßburg.

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Luther und Brenz – Gemälde aus der Katharinenkirche in Schwäbisch Hall

Unter seinen Kommilitonen waren Erhard Schnepf und Johannes Brenz, die kurz darauf Württemberg für Luthers Thesen begeisterten, sowie Martin Frecht, der die Reformator der Reichsstadt Ulm.  „Luthers persönliches Erscheinen in Heidelberg kann überhaupt nicht überbewertet werden“, urteilt Klaus Gaßner in seinem Büchlein über die Anfänge der Reformation im Kraichgau. „Die Stadt wurde nach Wittenberg zu einer zweiten Zentrale für die Ausbreitung lutherischen Gedankenguts.“

Nur für das Heidelberger Augustinerkloster war Luthers Reise an den Neckar der Anfang vom Ende. Viele der Heidelberger Mönche schlossen sich in den folgenden Jahren der Reformation an. 1552 wurde das baulich stark heruntergekommene Kloster in ein Sapienzienkolleg für angehende Prediger umgewandelt. 1693 nach der Zerstörung Heidelbergs lag auch das Augustinerkloster in Schutt und Asche. Lediglich einige Steine aus dem Kreuzgang konnten ausgegraben werden. Sie sind heute im Kurpfälzischen Museum ausgestellt.

 

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