Die Kraft des Wassers

Das kühle Nass ist Quell allen Lebens und Geheimnis zugleich.

Es gluckst, es tröpfelt, es rauscht. Es plätschert, es tost, es wallt. Es blubbert, es murmelt, es hüpft. Es schwappt, es perlt, es wirbelt. Keine Frage: Das Wasser ist ebenso lebendig wie der Mensch. Und für unsere Erde sogar wichtiger als er. Denn ohne Wasser ist kein Leben möglich. Vielleicht erinnert das Wasser-Molekül deshalb so verblüffend an das Symbol für die christliche Dreifaltigkeit.

Wir sehen ein großes Sauerstoff-Atom, das seine beiden Arme ausstreckt nach zwei kleineren Wasserstoff-Atomen. Genau so malten die frühen Christen Gottvater, den Sohn und den Heiligen Geist. Und sie bauten ihre Kirchen immer an Bächen oder über Quellen. Eine Sommergeschichte über die Faszination des Wassers. 

In früheren Jahrhunderten stiegen Frauen, die sich ein Kind wünschten, hinab ins frostige Nass.

Amorsbrunn liegt im bayerischen Odenwald, einer Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Der Fußweg mäandert durch hüfthohes Gras, in dem Wildblumen wachsen und Schmetterlinge tanzen. Völlig lautlos. Die Luft ist erfüllt vom Summen der Bienen und vom leisen Plätschern des Baches, der unter der Kapelle entspringt. Eiskalt und glasklar.

Amorsbrunn im Bayerischen Odenwald ist ein uraltes Wasserheiligtum.

Von Alters her werden dem Amorbach heilende Kräfte zugeschrieben. In früheren Jahrhunderten stiegen Frauen, denen der erhoffte Kindersegen verwehrt blieb, sogar zu dem archaischen Steinbassin hinab und tauchten tapfer ein ins frostigen Nass. Heute schöpft man das Wunderwasser lieber mit einem Eimer, der an einem langen Seil von der Kapelle zur Quelle hinuntergelassen werden kann.

Die älteren Bauteile der Kapelle stammen aus dem 12. Jahrhundert. Der Schnitzaltar ist spätgotisch. Mit dem römischen Liebesgott Amor hat der Amorbach nichts zu tun. Der Name leitet sich sehr prosaisch ab von „amar“, dem mittelalterlichen Wort für das Getreide Emmer.

Doch Vorsicht: Um die Aura des uralten Heiligtums wirklich spüren zu können, sollte man früh kommen. Denn der nahegelegene Parkplatz ist groß, und stets gut belegt.

Um die Macht des Wassers wussten die Menschen schon von Anbeginn der Zeit.

571 Mal erscheint das Wort „Wasser“ in der Bibel. Immer als Bild für das Leben.

Amorsbrunn ist das älteste und bekannteste Wasserheiligtum der Region. Bereits 714, so erzählt die Legende, hat der heilige Pirmin die Quelle entdeckt und an ihr ein erstes hölzernes Kirchlein gebaut. Vermutlich auf den Relikten einer vorchristlichen Kultstätte. Denn um die Macht des Wassers wussten die Menschen schon von Anbeginn der Zeit. 

Stolze 571 Mal erscheint das Wort „Wasser“ in der Bibel. Verwandte Worte wie Quelle, Tropfen, Welle, Wirbel nicht mitgezählt. Alles Bilder für das Lebendigsein und die beständige Veränderung.  Kein anderes Element kann so viele verschiedene Gestalten annehmen wie das Wasser: Es ist Quelle. Es ist Fluss, es ist Strom, es ist See. Es ist Meer, es ist Sumpfloch, es ist Gischt. Es ist Schnee, es ist Eis, es ist Träne. Wasser stillt den Durst, es heilt und es reinigt. Wasser ist das einzige Element, das auf der Erde in allen drei Aggregatszuständen vorkommt: Flüssig, fest und gasförmig.

Die Traumdeutung interpretiert Wasser-Träume als Vorboten einer Veränderung oder Verwandlung im Leben: Die Quelle wird zum Bach, der Bach zum Fluss, der Fluss zum Meer, das Meer zu Dunst, der Dunst zu Regen, der Regen zur Quelle. Wasser akzeptiert keine Ländergrenzen, es agiert grundsätzlich global.

Caspar David Friedrichs „Mondaufgang am Meer“ aus dem Jahr 1822.

Warum ergibt die Verbindung von zwei Gasen eine Flüssigkeit?

„Naturwissenschaftlich gesehen besitzt Wasser Eigenschaften, die es eigentlich gar nicht haben dürfte“, konstatiert Harald Lesch, Physiker und Geschichtenerzähler. „Es ist ein stoffliches Wunder.“

Wieso beispielsweise ergibt die Verbindung von zwei Gasen – Sauerstoff und Wasserstoff – eine Flüssigkeit? Warum kann Wasser Wärme aufnehmen, ohne selbst warm zu werden? In unserem Körper beispielsweise, wo es als Kühlmittel agiert. „Ohne die permanente Verdunstung des Wassers hätten wir eine Köpertemperatur von 62 Grad. Und wären tot“, sagt Lesch. 

Die Nähe von Wasser tut uns gut. Das Rauschen des Meeres beruhigt und heilt. Es gibt keinen Menschen, den der Anblick von Wasser unberührt lässt. „Des Menschen Seele“, dichtete Goethe, „gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es, und wieder nieder, zur Erde muß es, ewig wechselnd.“

An der Quellkirche von Schöllenbach ergießt sich
glasklares Wasser in einen archaischen Trog.

Unkontrollierbar wie ein Teenager bricht das glasklare Nass aus dem Boden hervor. 

Die ungestümste Quelle der Region befindet sich im hessischen Schöllenbach, nur zwei Bahnstationen von Eberbach entfernt. Unkontrollierbar wie ein halbwüchsiger Teenager bricht das glasklare Wasser dort aus dem Boden hervor, um sich in wilder Jagd in einen archaischen Steintrog zu ergießen. Es spritzt und braust, es wütet und wogt, bis es schließlich alle Ränder überflutet und zum Euterbach hinabstürzt. Immer und immer wieder. Wahrscheinlich schon seit Anbeginn der Welt.

Das Mittelalter baute in Schöllenbach eine wunderbare Wallfahrtskirche, geweiht der Gottesmutter Maria. Die Reformation hat sie zum Großteil niedergerissen, nur den Chor ließ man stehen. Zum Glück. Denn heute pilgern mehr Menschen denn je, mit oder ohne Konfession, begeistert zur wilden Quelle von Schöllenbach am Eutersee. 

Taufen in Bächen, Teichen und Seen sind momentan ungeheuer angesagt.

Taufe in der Elz bei Mosbach.

Die meisten Quellkirchen wurden bereits von den frühchristlichen Missionare im 6. oder 7. Jahrhundert gegründet. Oft auf den Relikten heidnischer Kultstätten. Diese dürften auf keinen Fall zerstört werden, bleute Papst Gregor der Große seinen Missionaren ein. Viel wirksamer sei es, den heiligen Ort mit Weihwasser zu „taufen“.

Auch in der Schöllenbacher Marien-Kirche gab es einst ein Taufbecken hinter dem Altar. An den „Tauftagen“ stiegen die Menschen in Scharen hinab in heilige Nass. Diese Idee ist heute wieder sehr im Kommen. Zumindest in der Evangelischen Kirche. Sie veranstaltet mittlerweile fast überall „Tauftage“, wo Wasser zu finden ist: An Bächen, an Baggerseen, in Schwimmbädern, sogar an Fischteichen stehen Pfarrer mit Talar barfuß im Wasser. Und die Menschen strömen in Scharen herbei.

Aus den keltischen Nixen machte das Christentum heilige Jungfrauen.

Das vielleicht geheimnisvollste Wasserkirchlein der Region findet man in Osterburken-Hemsbach, praktisch mittendrin im Rinschbach. Was St. Mauritius, dem das  älteste Gotteshauses des Neckar-Odenwald-Kreises, natürlich auf Dauer nicht gut bekommt. Im 19. Jahrhundert hätte man das Kleinod mit den feuchten Mauern um ein Haar abgerissen.

Das Wasserkirchlein von Osterburken- Hemsbach ist ein uralter Wallfahrtsort.

Was unverzeihlich gewesen wäre, denn schon die Menschen der Vorzeit haben an dieser Stelle ihren Wassergöttern gehuldigt. Das Christentum verwandelte die keltischen Nixen in „drei heilige Jungfrauen“, geheimnisvoll und schön. Keine von ihnen trägt einen Namen.

Die Hemsbacher Wallfahrt, so steht in alten Briefen zu lesen, sei die berühmteste weit und breit gewesen. „Drei Ave Maria in Hemsbach sind mehr wert als drei Vaterunser in Walldürn.“ Und der Schnuller wurde ganz nebenbei auch noch am Rinschbach erfunden. Das gotische Jesuskind auf dem Arm der Hemsbacher Madonna nuckelt an einem „Saugbeutelchen“.

Es steckt viel Emotion im Verhältnis zum Wasser. Dem Meer gilt die ewige Sehnsucht.

Wasser mag keinen Stillstand. So wenig wie der Mensch. Mit gewaltiger Energie spritzt es als Quelle aus der Erde heraus. Es tauscht sich aus mit der Luft, nimmt Gasblasen auf, fließt über Flechten und Moose, wo es winzige Tierchen, Ranken und Blätter mit sich hinfort reißt. Ehe man es sich versieht, ist aus dem Rinnsal ein artenreicher Bach geworden, der sich bald mit einem Fluss vereinen wird, um dem Meer entgegen zu strömen. Es steckt viel Emotion im Verhältnis vom Mensch zum Wasser. Dem Meer gilt die ewige Sehnsucht. 

Verwunschen und uralt: Die Ruine der Martinskirche bei Meckesheim.

Es ist nicht bewiesen, dass die Ruine der Martinskapelle in Meckesheim einst ein römisches Wasser-Heiligtum war. Aber viele Indizien sprechen dafür: Die exponiert Lage oben am Sonnenhang, die kräftige Quelle die heute noch sprudelt, und natürlich der fruchtbare Kraichgau, der einst die Kornkammer der römischen Armee war. Bei jedem Spatenstich, so sagt der Volksmund, findet man hier eine römische Scherbe.

Oben bei der Meckesheimer Martinskirche lagen Reliefsteine von Merkur und Minerva. Sowie einige Splitter, die von einer Jupitergigantensäule stammen könnten. Und dann ist da noch die seltsame Magie, die dieses alte Kirchlein ausstrahlt. Und die kräftige Quelle, die heute zwar gefasst ist, aber nach wie vor ungestüm sprudelt.

Das Wasser ist oft ein ebenso guter Gesprächspartner wie der Mensch.

In früheren Jahrhunderten gründeten alle Kirchen auf einer Wasserader. In der antiken Traumdeutung steht Wasser für eine Verwandlung des Lebens. Die Griechen und die Römer unterschieden streng zwischen Quellwasser und Flusswasser. Beiden gebührte hohe Verehrung. Über die Quellen jedoch wachten Göttinnen, über die Flüsse Götter.

Der Ärmelkanal bei Sainte-Adresse von Claude Monet.

In der katholischen Messe gibt Priester vor der Wandlung einen Tropfen Wasser in den Kelch mit Wein. Das Mengenverhältnis der Salzionen im menschlichen Körper entspricht in fast genau dem des Meerwassers. Nur der Kochsalzgehalt ist niedriger. Das war er bei den Urozeanen vor vier Milliarden Jahren auch.

Wenn wir gestresst sind, hilft nichts besser als ein Spaziergang am Wasser. Sei es am Strand, an einem ruhigen See oder einem sprudelnden Bächlein. Denn Wasser ist oft ein ebenso guter Gesprächspartner wie ein Mensch. Weil es platscht, schwillt, rinnt. Weil es quirlt, brodelt, wogt. Weil es brandet, strömt, gluckert, platscht, strudelt und braust.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.