Erste Hilfe im Stall

Ohne Hirten und Könige
hätte die Heilige Nacht böse geendet

Sie haben es sich schon so oft versprochen, aber es funktioniert einfach nicht. Je krampfhafter Maria und Josef versuchen, nicht an die Zukunft zu denken, desto intensiver tun sie es.

Es fehlt ja an allem. Nahrung, Wasser, Kleidung, Windeln. Und jetzt kriecht auch noch die Kälte der Nacht durch die Ritzen ihres Bretterverschlags.

Wenigstens das göttliche Bündelchen schläft. Gut eingepackt in der Krippe. Bis plötzlich die Tür aufgerissen wird und ein Trupp zotteliger Gestalten im Raum steht. Hirten. Vom Engel geschickt. Und gleich kommen auch noch ein paar Könige vorbei. Eine interessante Gästeliste. Langweilig war es sicher nicht bei diesem allerersten Weihnachtfest im Stall.

Warum sind wir uns so sicher, dass die Hirten zuerst an der Krippe waren?

Hirten und Könige traulich um die Krippe versammelt – eine schwierige Vorstellung. Wen man auch fragt, jeder schwört, dass erst die Hirten gekommen sind. Und dann Tage später, wenn die Schafe wieder weg waren, die Könige. Doch in der Bibel steht die Geschichte anders. Der Evangelist Lukas erzählt von den Hirten und dem Engel. Matthäus berichtet von Magiern aus dem Osten, die einem neuen Stern folgten. Beides Geschehnisse der Heiligen Nacht. Keine Reihenfolg, nirgends. Warum sind wir uns dennoch so sicher, dass die Hirten die ersten Besucher an der Krippe waren?

Pfarrerin Martina
Reister-Ulrichs

„Vielleicht weil wir es stimmiger finden, dass das göttliche Kind von einfachen Menschen entdeckt wird“, überlegt Martina Reister-Ulrichs, die Pfarrerin von Heidelberg-Handschuhsheim. „Das ist ja auch der Fokus, mit dem Jesus später durchs Leben gehen wird.“ Hermann Bunse, katholischer Pastoralreferent an der Heidelberger Jesuitenkirche, hält den Vorsprung der Hirten für einen Sieg des Instinkts über den Intellekt. „Die Hirten sind Naturmenschen. Sie können den Himmel deuten und den Wind riechen. Solche Menschen bemerken schnell, wenn sich etwas ganz Großes ereignet.“ So sei’s: Hirten First.

Wenn ein Engel kommt, donnert die Erde und die Naturgewalten geraten in Vibration

Stille Nacht in der Wüste. Es ist kalt, doch die Sterne glitzern. Die Schafe rücken zusammen, die Hirten schlagen ihre Decken um sich. Plötzlich steht er da. Der Engel. Und alles ist anders. Der Himmel gleißend weiß, die Sterne verschwunden, die Luft elektrisch geladen. Die Hirten zittern. Dann Worte. Sanft wie ein Windhauch, grollend wie Donner: „Fürchtet Euch nicht“.

Das ist leichter gesagt als getan. Ein biblischer Engel ist kein niedlicher Putto und keine ätherische Elfe. Ein biblischer Engel ist ein „überwältigendes Ereignis“ (Reister-Ulrichs). „Da donnert die Erde, da blitzt es, da kommen die Naturgewalten in Vibration“ (Bunse). Weshalb das „Fürchtet euch nicht“ zum Standard-Gruß der Engel geworden ist. In Kirchenkreisen kursiere die Fama, dass dieser Satz genau 365 Mal in der Bibel stehe, erzählt Martina Reister-Ulrichs. Ein Mutmacher für jeden Tag des Jahres. Sie habe das aber noch nie nachgezählt, betont die Handschuhsheimer Pfarrerin.

Die „Krippe am Fluss“
in der Heidelberger Jesuitenkirche

Der Engel auf dem Feld kam nicht allein. Dazu war die Heilige Nacht zu groß. Ihn begleitete ein „himmlisches Heer“, das unendlich wunderbar „Ehre sei Gott in der Höhe“ sang. Welch ein Erlebnis, strahlt Reister-Ulrichs. Die Engelschar das Gloria singen zu hören. „Vielleicht war das die Geburtstunde unserer Kirchenmusik.“

Hirten sind praktische Menschen. Sie grübeln nicht, sie legen Hand an

Für die Hirten waren Cherub und Engelschor eher der Komplettschock. Entsprechend überstürzt darf man sich ihren Aufbruch vorstellen. Hals über Kopf, mit Sack und Pack, Frauen und Kindern, Schafen und Hunden. Weit war es nicht bis zum Stall. Das Lukasevangelium betont, dass die Hirten „in der Nähe“ gelagert hatten und zur Krippe „eilten“. Dort sanken sie erschüttert auf die Knie, um das Kindlein anzubeten und das Geschehene zu verarbeiten.

Pastoralreferent
Hermann Bunse

Doch sie blieben nicht liegen. Hirten sind praktische Menschen. Die grübeln nicht, die träumen nicht, die legen Hand an. Und das war bitter nötig im Stall zu Bethlehem. Der göttliche Sohn quengelte, auf dem Boden saßen Maria und Josef, ausgehungert, übermüdet und völlig fertig, weil sie ohne Hilfe ein Kind zur Welt gebracht hatten. Aber jetzt waren ja die Hirten da. Gott sei Dank. Sie machten Feuer, kochten Eintopf und Tee, packten Brot und Käse aus, breiteten Felle auf dem Boden aus und schafften Wolldecken herbei.

Der „Hirte“ sei in der Bibel die Metapher für den Beschützer, den Umsorger, der aufpasst und rettet. Sagt Pastoralreferent Hermann Bunse. Der erwachsene Jesus wird von sich selbst als dem „guten Hirten“ sprechen. Dieses Bild schwinge in der Weihnachtserzählung schon mit, meint Bunse. „Es ist eine schöne Vorstellung, dass die Hirten ganz praktisch die Grundversorgung im Stall gesichert haben“, überlegt Martina Reister-Ulrichs. Viel zu lange habe man das Bild von der überhöhten Heiligen Familie gemalt, die von den Hirten in respektvollem Abstand angebetet wird. „Wenn man den Hirten eine aktivere Rolle zugesteht, nivelliert sich die Situation.“

Die Könige brauchten keinen Engel. Sie konnten die Zeichen selbt dechiffrieren

Dann können jetzt endlich die Könige kommen. Sie brauchten keinen Engel, der ihnen genau Anweisungen gab, wohin sie zu gehen hatten. Die Könige waren Wissenschaftler, intellektuelle Hochkaräter, die die Zeichen am Himmel selbst dechiffrieren konnten. Warum sonst wären sie ohne Zögern diesem seltsamen Stern gefolgt?

Drei heilige Könige
in St. Anna

Woher die Sterndeuter gekommen sind, weiß niemand. Aus Persien meinen viele. Es kann aber auch jedes andere arabische Land gewesen sein. Sicher ist lediglich, dass sie einen weiten Weg zurückgelegt haben und definitiv nicht nur zu dritt waren. Diese Zahl hat man später von den Geschenken auf die Männer übertragen. In Wahrheit waren die Astronomen wohl mit einer Forschungsexpedition unterwegs. Jeder Menge Ausrüstung, Personal und Kamele. „Die Könige sind uns viel fremder als die Hirten“, findet Pfarrerin Reister-Ulrichs. „Das macht ihre Faszination aus.“

Sie knieten hochaufgerichtet, würdevoll und stolz

„Magoi“ nennt der Evangelist Matthäus die Weisen im griechischen Urtext. Magier. Sterndeuter. Luther übersetzte „Weise“. Sehr reich müssen sie gewesen sein. Und entsprechend selbstbewusst. Kaum in Jerusalem angekommen, marschierten sie völlig selbstverständlich zum Königspalast, um Herodes ihre Aufwartung zu machen. Der Tetrarch empfing sie mit allen Ehren. Offensichtlich kommunizierte man auf Augenhöhe. Vielleicht nennt man die Reisenden deshalb „Könige“.

Den Weg zum Stall von Bethlehem fanden die Weisen zielsicher. Wie schon die Hirten fielen auch sie vor dem Kind nieder. Aber mit welch anderem Duktus. Die Hirten haben gebibbert. Die Könige hingegen knieten hochaufgerichtet, würdevoll und stolz. Schließlich waren es ihre eigenen Berechnungen, die sie hierhergeführt hatte. Entsprechend sorgfältig ausgewählt auch ihre Geschenke für den neugeborenen Gottessohn: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Überaus wertvolle Güter, alle drei. Satt hätten sie die kleine Familie nicht gemacht.

„Was wäre der Mensch ohne Schönheit, Kunst und den Duft der Rosen?“

Die „Magoi“ im Museum für Sakrale Kunst

„Aber was wären wir Menschen denn ohne die Schönheit, die Kunst und den Duft der Rosen?“, entgegnet Pastoralreferent Hermann Bunse.  All das bringen die Könige in den Stall. Sie symbolisieren den Glanz des Lebens und die Weite des Horizonts. Durch die Könige strahlt das göttliche Geschehen im Stall von Bethlehem in die ganze Welt hinaus. Zieht man den Stern noch in Betracht sogar bis in den Kosmos hinein.

Die Myrrhe symbolisiert die Medizin, die Heilung des Körpers. Der bittere Saft, aus der Rinde eines Baumes gewonnen, wurde in der Antike als Salbe oder als Tinktur angewendet. Er galt als Allheilmittel für Krankheiten jeder Art. Für normale Menschen war Myrrhe unerschwinglich teuer. Der Weihrauch steht für das Heil der Seele. Sein Duft beruhigt den Geist. Man fühlt sich leicht und entspannt. Auch Weihrauch war ungeheuer kostbar. Und  Gold hat seine Wertbeständigkeit bis heute nicht verloren. Die drei Gaben haben aber auch einen symbolischen Bezug auf Jesus Christus, sagt Martina Reister-Ulrichs aus Handschuhsheim: „Myrrhe steht für den Heiland, Weihrauch für den Gott und Gold für den König.“

Vielleicht hat das Gold der Könige der kleinen Familie geholfen, über die Runden zu kommen

Die Weisen aus dem Morgenland
in Waibstadt

Gold für den König. Das Gold! Das Gold ist das einzige Präsent der drei Weisen, mit dem Maria und Josef auch real hätten etwas anfangen können. Noch in derselben Nacht träumte Josef, dass er mit seiner kleinen Familie nach Ägypten fliehen solle. Herodes fahnde nach dem göttlichen Kind, um es umbringen zu lassen. Josef zögerte keine Sekunde. Zur Stund packte er Frau und Baby und machte sich auf ins fremde Land.

Mehr als 300 Kilometer sind es nach Ägypten. Der Weg führt durch die Wüste. Es wäre tröstlich zu wissen, dass das Gold der Könige der kleinen heiligen Familie geholfen hat, über die Runden zu kommen. In einem Land, dessen Sprache sie nicht sprachen und in dem sie keinen Menschen kannten. „Dann hätten die Hirten sozusagen die Erstversorgung übernommen“, lächelt Pfarrerin Martina Reister-Ulrichs. „Und die Weisen für Nachhaltigkeit gesorgt.“

Doch so weit sind wir noch nicht. Jetzt ist erst einmal Weihnachten. Das dünnhäutigste Fest des Jahres. Vieles bricht am Heiligen Abend auf in den Familien und Beziehungen. Doch wer weiß, vielleicht öffnet sich ja plötzlich die Tür und ein Trupp zotteliger Gestalten marschiert herein. Gefolgt von ein paar fremdländischen Prinzen. Und alles ist anders.

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