Jetzt hat die Diakoniekirche auch Schreiterfenster

„Gott stößt die
Gewaltigen vom Thron“

Wir sehen eine graue Gestalt. Hilfesuchend streckt sie die Hände aus, während Bleiruten wie Blitze um sie herum zucken. Dann fällt sie. Am Rand leuchten Worte auf. Sie stammen aus dem Lukasevangelium. „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ So dramatisch geht es zu in den beiden neuen Kirchenfenstern der evangelischen Kapelle in der Heidelberger Plöck.

Professor Johannes Schreiter, der berühmte Glaskünstler, hat sie geschaffen als Hommage an ein Gotteshaus, in dem alle jene ein Zuhause finden, die wissen, wie sich „niedrig“ anfühlt. Die Dementen, die Süchtigen, die Wohnungslosen, die Einsamen. Künftig werden sie wohl oft Besuch bekommen, denn mit den Schreiter-Fenstern darf die Kapelle eigentlich in keinem Stadtführer mehr fehlen.

Es gibt sogar ein Wiedersehen mit Schreiters legendären Bleiruten

Wenn das so weitergeht, sind die Heidelberger bald Experten in Sachen Bildersprache des Johannes Schreiter. Erst der Schreiter-Zyklus in der Peterskirche, jetzt zwei Schreiter-Fenster in der Kapelle. Es gibt auch noch ein Schreiter-Fenster in der Heiliggeistkirche, aber darüber will eigentlich niemand mehr sprechen.

Professor Johannes Schreiter
Der Glaskünstler
Johannes Schreiter

Zu schmerzlich erinnert das Physik-Fenster daran, dass Heidelbergs Protestanten 1985 den Schreiterschen Heiliggeist-Zyklus abgelehnt haben. Heute gibt es sogar schon Leute, die nachforschen, ob man die Schreiterschen Heiliggeistfenster – sie sind alle realisiert worden – nicht doch noch kaufen kann. Aber die Preise für die Glaskunstwerke sollen inzwischen astronomisch sein.

Dafür jetzt also Schreiter in der Kapelle. Auf den ersten Blick wirken die beiden Fenster sehr vertraut. Es gibt ein Wiedersehen mit den legendären Bleiruten, die der heute 82-Jährige erfunden hat, um Brüche und Querschläge im Leben darzustellen. Auch die langgezogenen U-Zeichen sind wieder da, die Arme symbolisieren, die sich zu Gott oder zum Mitmenschen ausstrecken. Damit enden aber schon die Gemeinsamkeiten mit der Peterskirche. Die Fenster in der Kapelle besitzen eine völlig andere Anmutung als die sienafarbigen Kunstwerke in der Universitätskirche.

Wie ein brauner Block kapselt sich der Mensch ab von der Liebe Gottes

Weiß und Braun
dominieren die Fenster

Weiß und Braun dominieren in den beiden Fenstern, die den Altarraum der Kapelle umschließen. Das mag vordergründig wie ein Zugeständnis an die weiße Weite der renovierten Kirche und den naturbelassenen Altar aus uraltem Eichenholz wirken. Doch Schreiters Farbsymbolik reicht tiefer.

Weiß ist die Farbe Gottes, des Friedens, des Paradieses. Braun steht für die Erde, die menschliche Unzulänglichkeit, das Grab. Johannes Schreiter konfrontiert uns in den Fenstern der Diakoniekirche mit unserer Schwäche. Wie ein starrer brauner Block kapselt sie den Menschen ab vom allumfassenden Frieden Gottes.

Doch Gott ist treu. Der starke goldene Strahl des Heiligen Geistes dringt in das irdene Gefängnis ein und löst es auf. Wo das zerbröselnde Grab das rote Band der Liebe Christi berührt, verwandelt sich totes Braun in zaghaftes Grün. Neues Leben, neue Hoffnung. Kunstvoller kann man Diakonie nicht erklären.

Jetzt wünscht sich die Kapelle noch Paramente von Johannes Schreiter

„Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit“ steht im zweiten Fenster. Fast 150 Jahre lang umkränzte diese Losung die Kanzel an der Stirnseite der Kapelle. Dann entschied man sich dafür, die ganze Kapelle weiß zu streichen.

Die Kanzel verschmilzt
mit der Wand

Auf den Christus-Ruf verzichten wollten aber weder die Ältesten noch der Pfarrer, weshalb sie Johannes Schreiter baten, die Losung ins Fenster zu integrieren. „Die Worte erinnern uns daran, dass Diakonie immer mehr sein muss als Fachlichkeit und Ökonomie“, sagt Pfarrer Florian Barth. „Ohne Frömmigkeit sind wir nichts.“

33.000 Euro haben die beiden Schreiter-Fenster in der Kapelle gekostet. 20.000 Euro gab die H+G-Bank, 5000 Euro spendeten der frühere Stadtmissions-Vorstand Wolfgang Wagner und seine Frau. Für die restliche Summe legten viele private Spender einen kleinen Betrag in die Kasse.

Florian Barth, der umtriebige Kapellenpfarrer, denkt indes schon weiter. Er wünscht sich jetzt Schreiter-Paramente für die Kapelle. „Professor Schreiter muss nur die Zeichnungen liefern. Die Paramente lassen wir dann anfertigen.“

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