Wie Schüler lernen, über ihren Glauben zu sprechen

Gelungene Premiere des
„Interreligiösen Begegnungslernens“

Im Foyer des jüdischen Gemeindezentrums von Mannheim steht eine große Kiste mit Legosteinen. Ein weicher orientalischer Teppich liegt daneben, ein Zettel darauf: „Baut die Götzenwerkstatt, in der Abraham aufgewachsen ist.“

Die 120 Fünftklässler aus drei verschiedenen Schulen zögern keine Sekunde. Sie lassen sich nieder, verteilen Bausteine und fangen an zu diskutieren. Wie mögen die Götzenbilder wohl ausgesehen haben, die Abrahams Vater in seiner Werkstatt hergestellt hat? Klein, groß? Rot, violett oder grün? Hatten sie riesige Köpfe oder extralange Arme? Alles wichtige Fragen. Ob der Mitschüler katholischer oder evangelischer Christ, Muslim oder Jude ist, interessiert die Schüler dagegen nicht so brennend. Das erfahren sie im Gespräch ganz nebenbei.

Im Dialog mit anderen Religionen üben die Schüler ihren Glauben in Worte zu fassen

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„Interreligiöses Begegnungslernen“ nennt sich ein neues Projekt, das die Pädagogische Hochschule in Heidelberg erarbeitet und jetzt erstmals in die Praxis umgesetzt hat. Einmal im Schuljahr, so die Vision, sollten katholische und evangelische, islamische und jüdische Schüler im Fach Religion gemeinsam unterrichtet werden. „Es ist doch viel sinnvoller, miteinander zu sprechen als übereinander“, sagt Projektleiterin Katja Boehme, Professorin für katholische Religionslehre an der PH Heidelberg.

Zudem üben die Kinder und Jugendlichen im Dialog mit anderen Religionen, den eigenen Glauben in Worte zu fassen. Das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten in einer pluralen Gesellschaft, findet Katja Boehme. Leider sei sie bei den meisten Schülern unterentwickelt. Boehme: „Der Religionsunterricht muss sich viel mehr als bislang darum bemühen, die Schüler religiös sprachfähig zu machen. Sie müssen das Sprachrepertoire ihres Bekenntnisses beherrschen.“ Eine Herausforderung.

Der Glauben der künftigen Religionslehrer bröckelt

Es sieht mau aus mit dem Religionsunterricht im Deutschland des Jahres 2013. Von den angehenden katholischen Religionslehrern, schreibt Theologieprofessorin Boehme in einem Artikel für die „Herder Korrespondenz“, gehören nicht einmal mehr fünf Prozent zu den „gläubigen Kirchennahen“.

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Interreligiöser Dialog schärft
das Profil der Konfessionen

Das Lehramtsstudium tut offensichtlich nicht viel dafür, die mangelnden Kenntnisse der angehenden Religionspädagogen zu vervollständigen. „Vor allem die Studiengänge der Religionslehrerausbildung für Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen sind in den meisten Bundesländern durch geringe theologische Studieninhalte gekennzeichnet“, beklagt Boehme. Im Saarland, in Rheinland-Pfalz, in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein wird Religion zunehmend fachfremd vom Klassenlehrer unterrichtet.

In Ostdeutschland herrscht ein eklatanter Mangel an Religionslehrern. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es überhaupt keinen Religionsunterricht mehr. In Sachsen-Anhalt wird das Fach nur noch einstündig gelehrt. Doch auch im Südwesten, wo der konfessionelle Religionsunterricht noch brav auf dem Stundenplan steht, werde er mehr und mehr „inhaltlich entleert“, diagnostiziert die Heidelberger Theologieprofessorin. Höchste Zeit, neue Wege auszuprobieren. Mögen sie auf den ersten Blick noch so fremd anmuten.

Die Auseinandersetzung mit dem islamischen Religionsunterricht schärft das christliche Profil

Katja Boehme hat eine erstaunliche These: „Der konfessionelle Religionsunterricht gewinnt dort wieder Profil, wo Schulversuche zum islamischen Religionsunterricht zum Tragen kommen.“ In Mannheim beispielsweise. Seit 2006 läuft in der Quadratestadt ein Modellversuch zum Islamunterricht in deutscher Sprache.

Ein muslimisches Teezelt im
jüdischen Gemeindezentrum

Drei Lehrkräfte mit Zusatzausbildung bieten an zwei Grund- und einer Werkrealschule islamischen Religionsunterricht parallel zum christlichen an. „Es war ein tolles Gefühl für meine Schüler, als sie endlich auch regulär in den Religionsunterricht gehen konnten“, erinnert sich Selim Gider, der islamische Religionslehrer an der Humboldtschule in der Mannheimer Neckarstadt.

In Klasse fünf der Werkrealschule sind „gefühlte 85 Prozent“ (Gider) der Schüler Muslime. Die meisten wurden in Deutschland geboren und haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihre Eltern jedoch stammen aus mehr als 20 verschiedenen Ländern. „Deshalb ist es wichtig, dass Religion in Deutsch unterrichtet wird“, sagt Selim Gider. Der Hauptschullehrer selbst kommt aus Eberbach, hat an der Pädagogischen Hochschule Mathematik, Deutsch und Englisch studiert und ist der Klassenlehrer der fünften Klasse. „Obwohl der Religionsunterricht freiwillig ist, nehmen fast alle Schüler teil“, freut sich Gider. „Im Islam ist die Religion ein wesentlicher Bestandteil des Lebens.“

Die meisten Jugendlichen lernen niemals jüdische Altersgenossen kennen 

Im Judentum auch. Allerdings findet der jüdische Religionsunterricht in Mannheim nachmittags statt. Zehn Schüler unterrichtet Religionslehrerin Susanne Benizri, die meisten besuchen das Gymnasium. „Diese Klasse ist der Traum jedes Lehrers“, sagt Benizri. „Obwohl es ein großer Aufwand ist, nachmittags noch zum Unterricht zu gehen, sind alle supermotiviert.“

Preisgekrönte Religionslehrerin:
Die Jüdin Susanne Benizri

Susanne Benizri und Katja Boehme verbindet eine merkwürdige Parallele. Zur selben Zeit, als die Professorin an der Heidelberger PH an ihrem Konzept für das „interreligiöse Begegnungslernen“ feilte, entwickelte die Religionslehrerin an der Hochschule für Jüdische Studien das Projekt „Likrat“. Das Wort ist hebräisch und bedeutet „auf einander zu“ oder „Begegnung“.

Manchmal liegen die Dinge einfach in der Luft. „Likrat“ will eine Wissenslücke in unserer Gesellschaft schließen. Weil noch immer wenig Juden in Deutschland leben, haben die meisten christlichen und islamischen Jugendlichen niemals die Möglichkeit, jüdische Altersgenossen kennenzulernen. Jüdisches Leben bleibt fremd, längst überwundene Vorurteile keimen wieder auf. Um das zu verhindern, besuchen Susanne Benizri und je zwei ihre Schüler Schulklassen, um sich und ihren Glauben vorzustellen.

Man sieht es Menschen nicht an, ob sie Christen, Muslime oder Juden sind

Null Berührungsängste: Christen, Muslime und Juden forschen gemeinsam

Die Erfahrungen mit diesen Begegnungen sind durchweg positiv. Das Interesse der christlichen und muslimischen Jugendlichen am Leben der jungen Juden ist groß. Es entwickeln sich schnell Gespräche. Die Fragen sind ungezwungen, die Atmosphäre offen. Eine Win-Win-Situation: Die jüdischen Jugendlichen setzen sich intensiv mit ihrer Religion und ihrer Geschichte auseinander. Die christlichen und vor allem auch die muslimischen Jugendlichen nehmen das Judentum als gelebte Religion und jungen Juden ganz normale Teenager wahr. Im Mai dieses Jahres erhielt „Likrat“ vom Bundesbildungsministerium den Preis für eine hervorragende „Bildungsidee“.

Cornelia Weber, evangelische Schuldekanin des Kirchenbezirks Ladenburg-Weinheim und Religionslehrerin am Ladenburger Carl-Benz-Gymnasium war eine der ersten, die Likrat an ihre Schule holte. „Als die jüdischen Jugendlichen kamen“, erzählt Cornelia Weber, „stellten unsere Schüler schnell fest, dass man den Menschen in der Regel nicht ansieht, ob sie Protestanten, Katholiken, Muslime oder Juden sind. Man muss mit ihnen über den Glauben sprechen, um das herauszufinden.“

Das Religionslehrerteam: Schüler lernen über den Glauben zu sprechen

Katja Boehme, Susanne Beniziri, Selim Gider und Cornelia Weber – dieses Team zeichnete verantwortlich für das Pilotprojekt „interreligiöses Begegnungslernen“ im jüdischen Gemeindezentrum von Mannheim. Es ging um Abraham, den alle drei monotheistischen Religionen als Stammvater verehren.

Erstaunlich, wie schnell die Fünfklässler ins Gespräch kamen 

Abraham oder Ibrahim, wie der Islam ihn nennt, war  laut Koran und jüdischer Midrasch der Sohn eines Handwerkers, der Götzenbilder herstellte und verkaufte. Der junge Abraham glaubte jedoch fest daran, dass es nur einen Gott gibt, den Schöpfer aller Dinge. Eines Tages griff Abraham zum Hammer und zerstörte die Götzenbilder, wofür er zum Tode verurteilt wurde. Aber das Feuer konnte ihm nichts anhaben. Er entstieg den Flammen unversehrt, vernahm den Ruf Gottes und zog hinaus in die Welt, um das gelobte Land Kanaan zu finden.

Pilotprojekt islamischer Religionsunterricht mit Selim Gider 

Eine wunderbare Geschichte für eine interreligiöse Begegnung im fünften Schuljahr. Alle 120 Schüler hatten sich in den Wochen zuvor im Religions- oder im Ethikunterricht mit Abraham beschäftigt und kamen gut gerüstet ins jüdische Gemeindehaus. Hier wurden sie durchmischte Kleingruppen aufgeteilt. In jeder Gruppe befanden sich Jugendliche aus allen Religionen und Konfessionen sowie aus den verschiedenen Schularten.

Es war erstaunlich zu sehen, wie schnell die Fünftklässler miteinander ins Gespräch kamen. Sie bastelten, malten, dichteten, knobelten über einer Schnitzeljagd, führten Theaterstücke vor, kuschelten sich in die weichen Kissen des islamischen Teezelts, tranken süßen türkischen Tee und koschere israelische Falafel. Und sie sprachen über ihre Religionen. Wie beten Christen vor Tisch? Wie Juden? Warum blieben einige der Muslime im Teezelt zurück, während die anderen zum Speisesaal gingen? Was ist Ramandan? Ganz am Ende dann eine Abstimmung mit den Füßen: „Gehst Du gern in den Religionsunterricht?“ Das Feld mit dem roten „Nein“ blieb leer. Auf dem Ja-Feld drängelten 120 Fünftklässler.

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