Waldangelloch ist überall

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Kleine Kirchen ohne Chance? St. Maria, Hilfe der Christen, in Waldangelloch

Eigentlich war das kleine Kirchlein, das so schüchtern auf seinem Hügel in Waldangelloch bei Sinsheim steht, ein hoffnungsloser Fall. Zu gering der Gottesdienstbesuch, zu unbedeutend die Architektur, zu nah die großen katholischen Kirchen der Nachbarorte.

Außerdem musste Sankt Maria, Hilfe der Christen, Baujahr 1959, dringend renoviert werden. 100 000 Euro würde die Sanierung kosten. Lohnte sich das für eine Kirche, in der nur noch einmal im Monat eine Vorabendmesse gefeiert wird? Mit zwanzig, höchstens dreißig Gläubigen?

Die Antwort kam von den katholischen Frauen Waldangellochs. Sie waren zwar nur ein Grüppchen, dafür aber fest entschlossen, ihr „Kapellchen“ zu retten. Basare wurden veranstaltet, Postkarten verkauft, ein Kirchenkaffee installiert. Vor allem aber lagen die Damen dem Pfarrer und dem Pfarrgemeinderat der Seelsorgeeinheit Angelbachtal-Hilsbach im Dekanat Kraichgau ausdauernd in den Ohren: Wenn Sankt Maria renoviert wird, würden sie ehrenamtlich dafür sorgen, dass das katholische Leben in Waldangelloch lebendig bleibt.

Mittlerweile kommt auch schon mal ein Mann dazu

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Barbara Neubert (l.) und Claudia Loés

Die Frauen hielten Wort. Seit der Kirchenraum 2013 saniert worden ist, finden in St. Maria regelmäßig Gebetsstunden und Meditationen und Andachten statt. Die geräumige Sakristei haben die Waldangellocher Katholiken in einen Gemeinderaum  verwandelt. Man steckt Blumen und bastelt, spricht über Literatur und teilt Bibel, lernt sich kennen und tröstet einander. Mittlerweile kommt auch schon mal der eine oder andere Mann dazu.

Vor kurzem haben die Frauen von Waldangelloch erfahren, dass es einen offiziellen Namen gibt für das, was sie tun: „Gemeindeteam“. Ab 1. Januar 2015 werden im Erzbistum Freiburg flächendeckend solche Gemeindeteams eingerichtet. In jeder Pfarrgemeinde sollen Ehrenamtliche, „der Kirche vor Ort ein Gesicht geben“. Waldangelloch ist überall.

Natürlich ist die Idee der Gemeindeteams aus der Not geboren. Aber ohne Schmerzen keine Entwicklung. 872 Diözesanpriester zählt das Erzbistum Freiburg, fast die Hälfte davon ist im Rentenalter. Vier Neupriester wurden 2014 im Freiburger Münster geweiht. Im kommenden Mai werden es voraussichtlich nur drei sein. Als Reaktion auf die dünne Personaldecke verringert die Erzdiözese am 1. Januar 2015 die Zahl der Seelsorgeeinheiten von derzeit 327 auf 225. Riesige Gebilde entstehen. Auf dem Land betreut ein Priester zehn und mehr Pfarreien. Unglücklicherweise geht auch die Zahl der Pastoral- und Gemeindereferenten zurück. Lediglich bei den Ständigen Diakonen ist ein Plus zu verzeichnen.

Sehen wir das Ende der Volkskirche?

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Der Innenraum von St. Maria erstrahlt seit 2013 in frischrenoviertem Glanz.

Nicht wirklich trösten kann die Meldung, dass auch die Zahl der Gottesdienstbesucher rückläufig ist. Von den rund zwei Millionen Katholiken im Erzbistum Freiburg besuchten bei der letzten Zählung noch 179000 die Sonntagsmesse. Weniger als zehn Prozent. „Wir sehen das Ende der Volkskirche“, sagt Roswitha Schöttler, Vorsitzende des Dekanatsrats im Dekanat Wiesloch . „Die vor uns liegenden Veränderungen bieten für jeden Getauften und Gefirmten die Chance, die Kirche der Zukunft mitzugestalten.“ Ein historischer Moment also.

Die deutschen Bischöfe blicken derzeit oft nach Frankreich. Genauer gesagt in die Diözese Poitiers, wo schon seit zehn Jahren mit neuen Formen von Gemeinde experimentiert wird. Und zwar unter deutlich schwieriger Bedingungen. Frankreich ist ein zentralisierter, säkularer Staat ohne Kirchensteuer. Die Gläubigen fahren am Sonntag zig Kilometer zur Eucharistiefeier in einer Zentralkirche. In den Landgemeinden ist es völlig normal, dass der Pfarrer nur alle drei Monate vorbeikommt. Verglichen damit herrschen in Waldangelloch paradiesische Zustände.

Geht man zur Messe wie in den Supermarkt? 

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Vorbild für die Entwicklung in Deutschland? Die französische Bischofsstadt Poitiers

Poitiers ist eine schöne alte Universitätsstadt ungefähr auf halber Strecke zwischen Paris und Bordeaux. 87000 Einwohner, viel Land drum herum. 1994 kam Albert Rouet als Bischof von Paris nach Poitiers und tat etwas Erstaunliches: Er weigerte sich, weiter zu zentralisieren. „Die Kommunen auf dem Land haben erlebt, wie Bahnen stillgelegt und Busverbindungen ausgedünnt wurden. Schulen und Postämter wurden geschlossen. Die Lebensmittelläden verschwanden“, schreibt Rouet in seinem Buch „Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?“. Sollte die Kirche die Menschen auf den Dörfern auch noch im Stich lassen? Sie mit dem billigen Argument abspeisen, zum Einkaufen führen sie ja auch mit dem Auto? „Geht man zur Messe wie in einen Supermarkt, um sich zu besorgen, was man braucht. Weitgehend anonym?“

Natürlich nicht. Aber wie sonst? Rouets Antwort: Wenn man erreichten will, dass das religiöse Leben vor Ort stattfindet, darf nicht länger der Priester den Mittelpunkt der Gemeinde bilden, um den die Ehrenamtlichen als fleißige Helfer herumkreisen. Umgekehrt wird Zukunft daraus. „Die Priester geben ihre Macht ab, die Getauften stellen sich ihrer Verantwortung“, formuliert Bischof Rouet. Starke Worte.

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Erzbischof Albert Rouet über die neue Form von Gemeinde

Kein Wunder, dass der Bischof von Poitiers zunächst auf Ablehnung stieß. Die einen warfen ihm vor, er steuere auf eine Kirche ohne Priester zu. Die anderen erklärten sich für überfordert, Verantwortung für die Verkündigung zu tragen. Ein mühsamer Diskussionsprozess begann, an dessen Ende nun ein kompliziertes System der Verantwortlichkeit steht. A la longue jedoch sollen sich die Priester in der Diözese Poitiers überhaupt nicht mehr mit organisatorischen Fragen beschäftigen, sondern aufbrechen zu einer „apostolischen Wanderschaft“ durch ihre Gemeinden. Nicht nur um Sakramente zu spenden, sondern vor allem, um die „Vaterschaft im Glauben“ zu übernehmen. „Der Priester bringt die Gläubigen dazu, dass sie im Glauben wachsen. Er schaut auf ihr Handeln und liest es im Licht des Glaubens“, definiert Bischof Albert Rouet.

„Wir werden wieder wie die Urkirche“

Barbara Neubert und Claudia Loés, zwei der katholischen Frauen von Waldangelloch, haben sich nie theoretische Gedanken darüber gemacht, wie ihr Gemeindeleben strukturiert werden könnte. Sie haben einfach  gemacht, was ihnen am meisten lag. Claudia Loés beispielsweise kümmert sich gern um Menschen. „Ich bin auf dem Bauernhof aufgewachsen, wo ich Milch verkaufen musste“, lächelt Loés, eine gelernte Erzieherin. „Die Leute haben mir schon immer ihre Sorgen erzählt.“ Jetzt hat sie im Bildungshaus in Neckarelz eine Ausbildung zur ehrenamtlichen „seelsorgerischen Begleiterin“ abgeschlossen. „Zertifizierung, Schulung und Fortbildung von Ehrenamtlichen muss eine Selbstverständlichkeit werden“, findet Thomas Hafner, der Dekan des Dekanats Kraichgau.

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Die „Lauretanische Litanei“ in Waldangelloch

Besonders beliebt bei den Waldangellocher Frauen ist erstaunlicherweise der Putztreff vor der monatlichen Vorabendmesse. „Das ist kein Auftrag vom Pfarrer“, betonen Barbara Neubert und Claudia Loés. „Das regeln wir selbständig, damit unsere Kirche schön aussieht, wenn er zum Gottesdienst kommt.“ Auch das Kirchenkaffee nach der Vorabendmesse ist längst zu einer Tradition geworden. „15 Leute bleiben immer da“, erzählt die junge Erzieherin Barbara Neubert. „Nach dem Gottesdienst setzen wir uns in die letzten Reihen und unterhalten uns.“ Und wenn alle gegangen sind, finden sich im Spendenkässchen regelmäßig mehr als hundert Euro. Geld, das zum einen für die Verschönerung der Kirche, zum anderen für Gemeinde-Projekte verwendet wird.

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Der ideale Ort für eine spirituelle Segnungsfeier: St. Anna im Sinsheim-Weiler

Doch Vorsicht: Was sich so locker anhört, ist harte Arbeit. „Um eine Gemeinde am Leben zu erhalten, muss man sich verantwortlich fühlen“, sagt Claudia Loés. Immer wieder einladen, mailen, bündeln, organisieren. „Von allein würde alles im Sand verlaufen.“ Und dann sind da noch die Konflikte. Die älteren Waldangellocherinnen wollen mehr klassische Andachten und Rosenkränze beten. Die Jüngeren wagen gern mal etwas Neues wie den spirituellen Segnungsgottesdienst kürzlich in der St. Annakapelle in Weiler. „Das Gemeindeteam ist wie eine Familie“, findet Barbara Neubert. „Man muss sich ständig um Kompromisse bemühen.“ Dabei kommt man sich zwangsläufig sehr nah. „Das ist ein Geschenk. Wir werden wieder wie die Urkirche.“

Gemeindeteams sollen strahlen wie Glutkerne des Glaubens 

„Wir alle spüren, dass unser Zeugnis umso wirksamer und glaubwürdiger ist, je mehr wir unser Leben und unseren Glauben miteinander teilen, je mehr wir uns gegenseitig ergänzen“, steht in dem Brief von Alt-Erzbischof Robert Zollitsch, der am 6. Februar 2012 die Gemeindeteams ankündigte. „Glutkerne des Glaubens, die nach draußen ausstrahlen“, wünscht sich der Freiburger Weihbischof Michael Gerber.

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Fetzige Flyer sollen Ehrenamtliche für die Gemeindeteams begeistern

Die überschwängliche Begeisterung für das Gemeindeteam teilen momentan nicht alle Katholiken. Vor allem die großen Pfarreien mit mehreren tausend Gläubigen tun sich schwer, die richtige Form zu finden. Im Freiburger weiß man das und fährt mehrgleisig. Gemeinden, die sich wie Waldangelloch selbst organisieren, dürfen das gern tun. Für all jene, die mehr Struktur brauchen, gibt es Richtlinien. Sie sind nicht verbindlich noch einfach umzusetzen. Terra incognita.

„Um Kirche vor Ort möglich zu machen, braucht es mindestens drei Menschen“, erklärt Matthias Rey, Regionalreferent bei der Regionalstelle Rhein-Neckar in Ilvesheim. „Jemand, der das Wort Gottes verkündigt. Jemand, der Gottesdienste gestaltet. Und jemand, der sich um den Dienst am Nächsten kümmert.“ Martyria, Liturgia und Diakonia. Um diese drei Pfeiler gruppiert sich das Gemeindeteam. Theoretisch geht das so: Jeder Gläubige überlegt sich, wo seine Talente liegen und meldet sich an. Wer Spaß an der Arbeit mit Erstkommunionskindern hat, ist bei der Verkündigung richtig. Wer gern Taizelieder singt, gehört zum Gottesdienst. Wer es sich zutraut, die Neuzugezogenen zu begrüßen, ist bei der Caritas richtig. Voila, schon hat man ein Gemeindeteam. In der Praxis funktioniert das so natürlich überhaupt nicht. Ehrenamtliche wollen gefragt werden. Vom Pfarrer oder vom Pfarrgemeinderat.

Die einen planen, die anderen schaffen ?

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Am 15. März wählen die neuen großen Seelsorgeeinheiten

Am 15. März 2015 wählen die neuen großen Seelsorgeeinheiten im Erzbistum Freiburg ihre Pfarrgemeinderäte, in denen aus jeder Gemeinde mindestens ein Vertreter sitzen soll. Die erste Aufgabe der neuen Räte wird es sein, Kandidaten für das Gemeindeteam zu berufen. Der Pfarrer besiegelt die Berufungen später in einer  Liturgie.

Festes Mitglied in jedem Gemeindeteam ist auch der Leiter der Seelsorgeeinheit. Er kann sich aber dauerhaft durch einen Hauptamtlichen vertreten lassen. Allerdings darf niemals ein Hauptamtliche zum Sprecher des Gemeindeteams gewählt werden. „Da wird den Ehrenamtlichen schon was zugetraut“, findet Matthias Rey. Mindestens ein Mitglied des Gemeindeteams muss auch dem Pfarrgemeinderat angehören, damit die Information fließt. Rey: „Dadurch entsteht natürlich eine Doppelbelastung.“

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Was in Waldangelloch entschieden werden kann, soll auch dort entschieden werden

Die Aufgabenverteilung ist klar geregelt. Der Pfarrgemeinderat kümmert sich um alle Angelegenheiten, die die gesamte Seelsorgeeinheit betreffen. Das reicht von der Pastoralkonzeption über den Dienstplan der Hauptamtlichen und die Verteilung der Gelder bis hin zur Frage, in welcher Kirche wann Eucharistie gefeiert wird. Über Wortgottesdienste hingegen entscheidet das Gemeindeteam vor Ort. „Subsidiaritätsprinzip“ nennt sich diese Art der Entscheidung von unten nach oben. Alles, was in Waldangelloch entschieden werden kann, wird in Waldangelloch entschieden. Erst wenn eine andere Gemeinden mitbetroffen ist, kommt der Pfarrgemeinderat ins Spiel.

„Der Pfarrgemeinderat ist für die Konzeption und das Geld zuständig“, definiert Matthias Rey. „Im Gemeindeteam geht es um das konkrete Tun.“ Was die Katholiken offensichtlich mehr anspricht. Fast überall, sagt Rey, sei es leichter, Freiwillige für das Gemeindeteam zu finden als Kandidaten für den Pfarrgemeinderat. Auch in Waldangelloch Fehlanzeige. Claudia Loés: „Ich war fünf Jahre im Pfarrgemeinderat. Jetzt bin ich nur noch in Waldangelloch. Das ist viel wirksamer.“

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