Ein Priester, noch keine 50, hochgewachsen, weltgewandt, eloquent, steht in einer Sakristei irgendwo in der Erzdiözese Freiburg. Still laufen Tränen über sein Gesicht. „Jetzt wollen sie uns auch noch die Eucharistie nehmen“, sagt der Priester, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Das Herzstück unseres Glaubens. Die katholische Messe.“
Eine Szene aus dem Sommer 2017, in dem die Welt den 500. Geburtstag der Reformation gefeiert hat. So ökumenisch wie nie zuvor. Da wurden evangelische und katholische Schals getauscht und gemischtkonfessionelle Menschenketten gebildet. Man ratifizierte Ökumenische Chartas und zog in multikonfessionellen Lichterprozessionen durch nächtliche Städte. Die deutschen Bischöfe pilgerten zusammen nach Jerusalem, und der Papst umarmte in der Basilika von Lund die lutherische Bischöfin.
Und irgendwann ging es gar nicht mehr um Martin Luther. Sondern nur noch um die Frage, wann sich die Kirchen wiedervereinen. Wo man sich doch so gut verstanden hat in diesem Thesenanschlagsjubliäumsjahr. Es werde doch heute alles nicht mehr so eng gesehen. Und Franziskus finden sowieso alle gut. Nur der Priester steht in seiner Sakristei und weint. Eine Annäherung an ein sensibles Thema.
„Die Wahrheit kann man nicht wegdiskutieren“
Der Kraichgau ist eine meditative Landschaft. In sanften Wellen folgt Hügel auf Hügel. Einzig die bizarren Birnbäume durchbrechen das Auf und Ab der Felder. Die lutherische Reformation kam früh in den Kraichgau und eroberte ihn fast flächendeckend. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Katholizismus wieder Fuß fassen. In Person der Heimatvertriebenen aus dem Osten.
Thomas Hafner (50) ist katholischer Dekan im Kraichgau. Bei ökumenischen Treffen sitzt hier die ganze christliche Vielfalt am Tisch: Evangelische, Katholische, Methodisten, Menonniten, Neuapostolische. In Sinsheim weiß man, wie Ökumene geht.
Wie wäre es jetzt mit einem Schritt mehr? Thomas Hafner lächelt. „Ich bin dankbar dafür, dass wir gemeinsam den christlichen Glauben bezeugen gegenüber einer zunehmend gleichgültigen Welt.“ Aber? „Ich halte nichts davon, die Profile der Konfessionen eilig zu verwischen. Für mich ist das, woran ich glaube, die Wahrheit. Wie für die Anderen auch. Und die Wahrheit kann man nicht wegdiskutieren.“
Seit 2007 erkennen elf Kirchen ihre Taufen gegenseitig an
Die Wahrheit. Noch vor fünfzig Jahren hätte es niemand für möglich gehalten, auf wie viele Glaubenswahrheiten sich die evangelische und die katholische Kirche einigen können. Der Dreieinige Gott und die Heilige Schrift waren nie strittig. 1999 verständigte man sich aber auch auf Martin Luthers Rechtfertigungslehre. Der Mensch kann ausschließlich durch die „rettende Gnade Gottes“ ins Himmelreich gelangen und niemals durch gute Werke. Das glaubt heute auch die katholische Kirche wieder.
2007 unterzeichneten elf Kirchen in Magdeburg ein Dokument, in dem sie die Taufe gegenseitig anerkannten. „Wer getauft ist, ist christlich getauft. Das ist etwas tief Verbindendes“, freut sich Dekan Hafner.
Alle Einheitshoffnungen ruhen nun auf dem Abendmahl
Nun war die Anerkennung der Taufe insofern relativ einfach, als sie in allen Kirchen als Sakrament gilt. Als Handlung, die Gott selbst ausführt. Bei der Ehe passt das schon nicht mehr. „Für Katholiken ist die Ehe ein Sakrament und damit unauflöslich. Für Protestanten nur eine Segnung“, erklärt Thomas Hafner. Sieben Sakramente kennt die katholische Kirche: Taufe, Firmung, Ehe, Buße, Krankensalbung, Priesterweihe und Eucharistie.
Nur zwei Sakramente gibt es in den protestantischen Kirchen: Die Taufe und das Abendmahl. Auf ihm ruhen alle Einheitshoffnungen. Gelänge es, einen Modus zu finden, nach welchem sich die katholische und die evangelischen Kirchen gegenseitig zum Mahl des Herrn einladen könnten, würde die Vereinigung schnell greifbar werden.
Die Tränen in der Sakristei sind versiegt. Jetzt ist der Priester wütend. „Im nächsten Schritt planen sie dann die Fusionierung des Christentums mit dem Buddhismus. Weg mit den Wahrheitsansprüchen der Religionen! Irgendwie glauben doch alle irgendwo dasselbe.“
„Lutheraner und Katholiken könnten wohl zu einer Einigung kommen“
Christoph Strohm ist Professor für evangelische Kirchengeschichte an der Universität Heidelberg. In seinem Studierstübchen mit Schlossblick trifft man ihn jedoch nur selten. Meist eilt Strohm von Vortrag zu Vortrag, was in der Familie liegt. Der Vater und der Onkel sind ebenfalls große Theologen. Der Bruder Heinrich Bedford-Strohm ist Landesbischof von Bayern und Ratsvorsitzender der EKD. Die Gebrüder Strohm kämpfen beide leidenschaftlich für das Zusammenrücken der Konfessionen.
„Von meinem Bruder weiß ich, wie tief die Reise nach Jerusalem die Bischöfe bewegt hat“, sagt Christoph Strohm. „Trotzdem darf es immer nur um einen konkreten Schritt nach dem anderen gehen. Insgesamt schätze ich die Situation momentan aber durchaus chancenreich ein.“
Die Sachen mit dem gemeinsamen Abendmahl ist diffizil. 400 Jahre lang schafften das noch nicht einmal die Protestanten untereinander. Für einen Teil von ihnen, die Zwiglianer oder Züricher Reformierten, ist das Abendmahl nur eine Zeichenhandlung, ein Erinnerungsmahl. Nach lutherischer Deutung dagegen verwandeln sich Brot und Wein tatsächlich in Christi Leib und Blut. Allerdings nur während der Abendmahlfeier. Danach sind sie wieder Brot und Wein. „Lutheraner und Katholiken könnten wohl zu einer Einigung kommen“, überlegt Professor Strohm.
„Besonders ärgerlich ist das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes
1973 hat es die evangelische Christenheit endlich geschafft, einen gemeinsamen Abendmahlsweg zu finden. In der „Leuenberger Konkordie“ wird zwar die Gegenwart Christi im Abendmahl betont, die Art seiner Gegenwart aber offen gelassen. Heute nennt man das „Versöhnte Verschiedenheit“. Diesen Titel würden die Protestanten gern auch über eine Abendmahlsgemeinschaft mit der katholischen Kirche schreiben. Doch hier ist die Sache noch komplizierter. Weil die Katholiken einen Papst haben.
Für die katholische Kirche ist die Eucharistiefeier „Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens“, definiert Dekan Hafner. Die Einsetzungworte wandeln Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Diese Wandlung ist nicht mehr rückgängig zu machen. „Eine gewandelte Hostie ist das Allerheiligste. In ihr ist Jesus Christus real präsent.“
Hostien, die bei der Kommunion nicht ausgeteilt wurden, werden im Tabernakel fest verschlossen aufbewahrt. Nach katholischem Glauben vollzieht Gott die Wandlung selbst durch seine Priester. Die Päpste sind die direkten Nachfolger des Apostels Petrus, dem Christus das Leitungsamt seiner Kirche übertragen hat. „Im Weihesakrament wird die Vollmacht Christi auf die Bischöfe und schließlich auf die Priester übertragen“, erklärt Thomas Hafner. Spielraum für demokratische Wahlen lässt dieses Amtsverständnis nicht.
Jetzt richten sich alle Hoffnungen auf den Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt 2021
Besonders ärgerlich für den synodalen Protestantismus ist das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes, das 1870 verabschiedet wurde. Trifft ein Papst eine „Ex cathedra“-Entscheidung, so ist diese vom Heiligen Geist inspiriert und damit unfehlbar. Die letzten beiden Päpste haben sich gegen die Idee der päpstlichen Unfehlbarkeit ausgesprochen. Die letzte Ex-cathedra-Entscheidung fiel 1950. Gibt das Hoffnung? „Es wird immer klarer, dass der wirkliche Trennungsgrund der Konfessionen das unterschiedliche Amtsverständnis ist“, überlegt Christoph Strohm. „Ich sehe nicht, wie wir da zusammenkommen können.“
Was der Heidelberger Professor eigentlich schade findet. Denn einen „weltweiten Repräsentanten des Christentums“ hätte Strohm schon ganz gern. „Eine Synode ist nicht attraktiv, und bei Franziskus hat man ja positive Gefühle.“ Auch die Art wie dieser Papst sein Amt deute, sei für evangelische Christen konsensfähig. Nur eben ohne den Ex-Cathedra-Anspruch. Und wenn man das Kardinalskollegium dann noch zu einer gewählten Synode umbauen könnte …
Der Priester in der Sakristei wendet sich zum Gehen. An der Tür hält er inne. „Pontius Pilatus wäre bereit gewesen, sich auf einen Deal mit Jesus einzulassen. Durch einen Kompromiss hätte Jesus sein Leben retten können. Er hat das weit von sich gewiesen.“
Wolfgang Huber, der evangelische Alt-Bischof von Berlin, hat in die Diskussion um ein gemeinsames Abendmahl jetzt ein konkretes Datum eingebracht: Spätestens 2021, wenn in Frankfurt am Main der 3. Ökumenische Kirchentag gefeiert wird. „Ich kann mir nicht vorstellen“, sagte Huber, „dass wir diesen Kirchentag begehen, ohne dass bei der eucharistischen Gastbereitschaft ein Durchbruch erzielt worden ist.“