Advent: Eine Frage der Haltung

Symbol des Wartens: Adventskranz in der evangelischen Stadtkirche von Wiesloch

Es war eine der größten Enttäuschung ihrer Kindheit und Susanne Schneider-Riede hat diesen Moment nie vergessen. Einige Tage vor Weihnachten, erzählt die evangelische Pfarrerin von Wiesloch, hatten ihre Eltern das Wohnzimmer wie gewöhnlich zur Sperrzone für Kinder erklärt. Fiebrig vor Aufregung lag die kleine Susanne im Bett und konnte nicht einschlafen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. 

Auf Zehenspitzen schlich sie zur Wohnzimmertür und spitzelte hinein. Es war alles da – der Baum, die Krippe, die Geschenke. Aber es war alles leblos und unspektakulär. „Der Weihnachtsglanz fehlte“, sagt die Pfarrerin. „Ich bedauere bis heute, dass ich nicht gewartet habe.“

Nimmt man Weihnachten ernst, ist der Advent nicht behaglich

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Plädiert für’s Warten-üben: Pfarrerin Schneider-Riede

Advent. Die Zeit des Wartenkönnens. „Wir bereiten uns vor auf das Kommen Gottes in die Welt“, definiert Pfarrerin Schneider-Riede. Nimmt man Weihnachten ernst, dann ist die Adventszeit nicht behaglich, sondern eher schwierig. Wie alle Wartezeiten verlangt sie Durchhaltevermögen. Das Licht leuchtet spärlich. In den Kirchen gibt es keinen Blumenschmuck. Die Lieder und Lesungstexte künden von Erwartung und Sehnsucht.

Von alters her trägt der Advent violett, die Farbe der Buße und des Fastens. Violett strahlt nicht, violett wuselt nicht. Violett wartet. Still, nüchtern, asketisch und hellwach. „Wenn ich meine Bedürfnisse immer sofort befriedige, wird etwas in mir dumpf“, überlegt Abt Franziskus Heereman von der Benediktinerabtei Neuburg. „Verzicht macht innerlich wacher.“

24 geistliche Türchen, die hinausführen aus dem Alltag

So weit die Theorie. In der Praxis ist der Advent geprägt vom Gewimmel auf quitschbunten Märkten und vorweihnachtlicher Hektik, der sich beim besten Willen niemand entziehen kann. Gibt es den stillen Advent also nur noch in frommen Predigten und neuromantischen Landlustheften?  Die Wieslocher Stadtpfarrerin schüttelt den Kopf. „Advent“, sagt Susanne Schneider-Riede, „ist eine Frage der Haltung.“ Es gehe nicht darum, den Weihnachtsrummel zu verteufeln, sondern sich selbst eine Art geistlichen Adventskalender zu basteln. 24 Türchen, die hinausführen aus dem normalen Trott.

Abt Franziskus Heereman

„Verzicht macht wacher“: Abt Franziskus Heereman von Stift Neuburg

Das können kleine Andachten sein, Mini-Exerzitien im Alltag, ein paar geschenkte Minuten vor dem Adventskranz, der beliebte lebendige Adventskalender, das ökumenische Hausgebet oder– ganz modern – die Adventsimpulse im Internet. Unter www.advent-online.de liefern die katholische und die evangelische Kirche gemeinsam täglich einen geistlichen Impuls, den ein hochkarätiger Geistlicher verfasst hat. Robert Zollitsch steht ebenso auf der Autorenliste wie der Stuttgarter Bischof Fürst oder Ulrich Fischer. Wer’s noch hipper mag, für den gibt es die Impulse auch auf Facebook.

Susanne Schneider-Riede lacht. Wichtig, sagt die Wieslocher Pfarrerin, sei vor allem, dass man in den vier Wochen vor Weihnachten etwas Anderes tut als das ganze Jahr über. Damit man innehält und achtsam wird auf den eigentlichen Advent. „Wir nehmen uns etwas“, findet Schneider-Riede, „wenn diese Wartezeit verlorengeht.“

„Versöhnungsfeiern“ im Advent werden immer populärer 

Schlicht und schön: Adventskranz in der Klosterkirche der der Abtei Neuburg

„Besinnungspunkte“ nennt die Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg solche inneren Kalendertürchen. Eines davon sind die neuartigen „Versöhnungsfeiern“, die bei den Katholiken an der Bergstraße seit einigen Jahren immer populärer werden. Entstanden ist diese ungezwungene Form der Bußandacht auf den Weltjugendtagen.

Bei den Versöhnungsfeiern warten die Priester nicht in den Beichtstühlen auf die Gläubigen, sondern stellen sich einfach an verschiedenen Stellen im Kirchenraum auf. Wer möchte, tritt zu einem Priester hin, um sich segnen zu lassen. Man wechselt ein paar Worte, die zu einem kleinen Beichtgespräch werden können, aber nicht müssen. Das Angebot wird gern angenommen.

„Seit es die Versöhnungsfeiern gibt, ist die Hemmschwelle, vor Weihnachten das Sakrament der Versöhnung zu empfangen deutlich gesunken“, freut sich Heidi Kohl, die Hohensachsener Gemeindereferentin. Sie glaubt, dass die „dichte Atmosphäre“ aus Gebet, Orgelmusik und Kerzen etwas in den Menschen auslöst. „Sie klinken sich ein und merken, plötzlich, wie gut das tut.“

„Ich räume etwas in mir weg, damit ich Platz habe für die Krippe“

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Pastoralreferent Wöffler: „Niemand muss beichten“

Für Wolf-Dieter Wöffler, den Weinheimer Pastoralreferent, liegt das Erfolgsgeheimnis der Versöhnungsfeiern in der  Mischung aus „einer neuen Dimension von Gemeinschaft“ und absoluter Freiwilligkeit. „Niemand muss beichten“, betont Wöffler. „Aber wer im Gottesdienst sitzt und etwas spürt, kann sich sofort völlig ungezwungen an einen Priester wenden.“ In Klammern gesagt: Viele Gläubige lassen sich bei den Versöhnungsfeiern bewusst von einem Priester segnen, der sie nicht kennt. Anonymität verstärkt offensichtlich das Gefühl der Freiheit.

„Aus-kehren, um-kehren, ein-kehren“ lautet das Motto des Erzbistums Freiburg für den Advent 2013, mit dem das neue Kirchenjahr beginnt. Gemeindereferentin Heidi Kohl kann sich darin gut wiederfinden. „Es geht um den inneren Hausputz vor Weihnachten. Alles anschauen, was sich im Laufe des Jahres angesammelt hat. Platz schaffen. Ich räume etwas in mir weg, um Platz zu haben für die Krippe.“

Morgens um halb sieben in der Krypta der Jesuitenkirche

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Heidi Kohl: Anschauen, was sich angesammelt hat

Heidelbergs Katholiken versammeln sich an den Donnerstagen des Advent um 6.30 Uhr, also noch vor Sonnenaufgang, in der Krypta der Jesuitenkirche. Beim Schein unzähliger Kerzen feiern sie „Rorate-Messen“ zu Ehren von Maria, der Gottesmutter. Ein geheimnisvoller Brauch. „Die Rorate-Messen sind eine wunderbare Einstimmung auf Weihnachten“, erklärt Joachim Dauer, der Dekan von Heidelberg und Weinheim. „Draußen ist es dunkel und oft eisig kalt. Drinnen in der Krypta verbreiten das warme Licht der Kerzen, die Gemeinschaft und das frühmorgendliche Gebet eine Stimmung froher Erwartung. Das ist Advent.“

In früheren Jahrhunderten sind die Menschen oft viele Kilometer durch die Dunkelheit des frühen Morgens mit ihren brennenden Kerzen zur Kirche gegangen. Das kostete wirklich Überwindung. Auch heute noch ist es schwer, an den kalten Tagen des Dezember in der Frühe das warme Bett zu verlassen und sich auf den Weg zu machen. Aber es lohnt sich. Der Tag erhält eine andere Qualität, wenn man morgens gebetet hat.

Zurück ins evangelische Pfarrhaus von Wiesloch. Die dortigen Pfarrer pflegen seit Jahren ihren speziellen Advents-Brauch. Drei Tage lang ziehen sie sich ins Kloster der evangelischen Benediktinerinnen auf dem Schwanberg in Unterfranken zurück. Die Pfarrer schweigen, nehmen am Stundengebet teil und schreiben – konzentriert und entspannt – ihre Predigten für Weihnachten.

 

 

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