Ein reiches Leben ist zu Ende gegangen

In der übervollen Kirche St. Raphael nahm Heidelberg Abschied von Pfarrer Mohr.

Hat man St. Raphael in Heidelberg-Neuenheim schon je so voll gesehen? Eng beieinander saßen die Menschen in den Bänken. Und an den Seiten standen sie in Dreierreihen. Trotzdem war es völlig still in dem riesigen katholischen Gotteshaus, denn es galt Abschied zu nehmen von Pfarrer Josef Mohr, der St. Raphael geprägt hat wie kein anderer.

Mehr als dreißig Jahre lang hat Josef Mohr in Neuenheim gewirkt. Er hat die Kirche radikal umgestaltet, mit experimentellem Altarbild, wunderbarer Orgel und einer Decke in der Farbe von Lapislazuli. Vor allem aber hat Mohr sie mit Menschen gefüllt. Durch seine Persönlichkeit und seine Predigten. Sonntag für Sonntag, morgens und abends. „Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen“, staunte Regionaldekan Klaus Rapp, der dem Requiem vorstand. „Wir danken Gott für dieses reiche Leben.“ 

Drei Jahrzehnte hat Josef Mohr in Neuenheim gewirkt. Er wurde 75 Jahre alt.

Früher hat Pfarrer Mohr im Neuenheimer Pfarrhaus rauschende Feste organisiert.

Josef Mohr war – das hat man ob seiner Eloquenz leicht übersehen – ein ungewöhnlich treuer Mensch. Er hat Freundschaften gepflegt, die ein ganzes Leben hielten. Klaus Zedtwitz beispielsweise, der langjährige Dekan an der Heidelberger Jesuitenkirche, war solch ein Lebensfreund. In ihrer Jugend, so erzählt man sich, haben die Beiden im Neuenheimer Pfarrhaus rauschende Feste organisiert. Später im Alter trafen sie sich regelmäßig zum Gespräch und zum Gebet.

Da muss großes Vertrauen gewachsen sein, denn Mohr hat, schon von der Krankheit gezeichnet, dezidiert Zedtwitz die Ansprache bei seinem Requiem anvertraut. Wobei Josef Mohr, verriet der Pfarrer Zedtwitz mit zartem Lächeln, eine sehr klare Vorstellungen davon gehabt hat, was in dieser Ansprache thematisiert werden sollte: „Auf keinen Fall wollte er, dass jemand besonders begrüßt wird. Und er wollte auch keine Nachrufe.“ 

Belletristische Neuerscheinungen kannte der Pfarrer wie kaum ein Zweiter in der Universitätsstadt.

Die Messe am Sonntag Abend in St. Raphael waren Kult.

Dabei hätte es viel zu sagen gegeben. Pfarrer Mohr besaß einen erlesenen Geschmack, sowohl bei Weinen als auch bei Speisen, bei Möbelstücken, bei der Musikauswahl und natürlich in Sachen Literatur. Die belletristischen Neuerscheinungen kannte er wie kaum ein Zweiter in der Universitätsstadt Heidelberg. „Als Alternative zum Theologiestudium wäre für mich lediglich der Beruf des Literaturkritikers in Frage gekommen“, verriet er einmal in einem Interview.

Kein Wunder, dass er bald die eine Leidenschaft mit der anderen verband: Man kann sich an keine Mohr-Predigt ohne Buchempfehlung erinnern. So viel Intellektualität zog die Menschen in und um Heidelberg in Scharen an. Vor allem die Messen am Sonntagabend in St. Raphael waren Kult. Weil sie kritische Theologie, mit Literatur und Musik zu einem Gesamtkunstwerk verbanden.

„Gott glaubt an mich. Und ich will ihn nicht enttäuschen.“

Als Grundlage für seine Ansprache beim Requiem hatte Klaus Zedtwitz – oder war es Josef Mohr? – das letzte Buch des jüdischen Philosophen Michel Bergmann gewählt, der ebenfalls vor kurzem verstorben ist. Bergmann berichtet darin von der Begegnung mit einer Dame in einer Synagoge: „Glauben Sie eigentlich an Gott?“, fragt sie ihn am Anfang. Der Autor reagiert verblüfft: „Wenn ich ehrlich sein soll, eigentlich nicht.“ „Und was machen Sie dann hier?“, fragt die Dame weiter.  Seine Antwort: „Gott glaubt an mich. Und ich will ihn nicht enttäuschen.“ 

Pfarrer Mohr war aber auch Stammgast im „Weinloch“ .

Josef Mohr, sagte Zedtwitz, habe Zeit seines Lebens das Gespräch gesucht mit den Zweifelnden, den Agnostikern. Vielleicht weil auch er gerungen hat mit seinem Glauben, seiner Kirche und seinem Gott. Davon kündet das moderne Altarbild in St. Raphael, das der Priesterkünstler Udo Körner 1999 geschaffen hat, in enger Zusammenarbeit mit Mohr.

Man sieht ein geborstenes Kreuz und erahnt den gemarterten Heiland, dem ein „letzter unartikulierter Schrei der Gottverlassenheit entfährt“ (Mohr). Doch wenn man genauer hinschaut, scheint durch den geschundenen Leib hindurch schon das Licht der Auferstehung. „Anspruchsvolle Kunst bildet nie die Wirklichkeit ab“, hat Mohr gern gesagt. „Sondern sie macht sichtbar, was dahinter liegt.“

„Es geht im Glauben nicht darum, endgültige Antworten zu finden. Er bleibt ein lebenslanges Ringen.“

Es gab aber auch noch eine andere Seite des Pfarrer Mohr. Die konnte man im „Weinloch“ entdecken in der Unteren Straße, wo er lange Zeit Stammgast war. „Es hat mir immer gefallen und gut getan, mit Leuten zu sprechen und zu streiten, die religiös unmusikalisch sind“, verriet der Pfarrer einmal im Interview. „Mit all diesen Menschen wäre ich in der Kirche nie in Kontakt gekommen.“

Eine riesige Menschenmenge geleitete den Pfarrer zum Priestergrab auf dem Bergfriedhof.

Und wenn Mohr nicht im „Weinloch“ war, dann saß er in der ersten Reihe im Zimmertheater oder im Taeter-Theater. Jahrzehntelang. „Als ich jünger war, habe ich immer gesagt: Was meinen Glauben angeht, da habe ich mich erfolgreich durchgezweifelt“, formulierte Pfarrer Mohr gern. Aber irgendwann sei ihm klar geworden, dass diese Formulierung überhaupt nicht stimme.  „Es geht im christlichen Glauben nicht darum, endgültige und fertige Antworten zu finden. Der Glaube bleibt ein lebenslanges Ringen um das Vertrauen in Gott.“ 

In den Morgenstunden des 25. September 2025 hat Gott seinen Pfarrer zu sich gerufen. Josef Mohr wurde 75 Jahre alt.  Eine riesige Menschenmenge geleitete ihn zu seiner letzten Ruhestätte im Priestergrab auf dem Bergfriedhof. 

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