Das Auge fastet mit

Die Heidelberger Jesuitenkirche besitzt jetzt ein modernes hauchzartes „Fastentuch“.

Am schönsten ist es zur Mittagszeit, wenn die Sonne den Altarraum flutet. Dann strahlt das neue Fastentuch förmlich. Der hauchzarte Stoff wird lebendig. Er beginnt sich leise zu wiegen, er schillert, er changiert im gesamten Spektrum des Violett. Und direkt dahinter erahnt man den barocken Hochaltar. So spannend sieht die Heidelberger Jesuitenkirche künftig in der Fastenzeit aus.

Vierzig Tage lang trennt ein halbtransparentes Fastentuch die weiße Altarinsel vom Hochaltar. Das textile Kunstwerk misst zehn Meter in der Höhe und acht Meter in der Breite. Die Künstlerin Beate Baberske hat es geschaffen und damit den Kunstpreis der Erzdiözese Freiburg gewonnen. In einem feierlichen Gottesdienst am Aschermittwoch übergab Erzbischof Stephan Burger das neue Fastentuch seiner Bestimmung.  

Der letzte Blick auf den Hochaltar vor der Verhüllung.

Fastentücher sind eine uralte Tradition in der katholischen Kirche.

Fastentücher sind eine uralte Tradition in der katholischen Kirche. In früheren Jahrhunderten hat man sie wie echte Teppiche aus schweren Materialien gewebt, damit die Gemeinde den Altar sieben Wochen lang garantiert nicht sehen konnte. Die Gläubigen mussten der Messe lauschend folgen. Weshalb sie umso begeisterter Ostern gefeiert haben. 

Das neue Fastentuch in der Jesuitenkirche überführt die Idee des „Augenfastens“ in die Moderne. „Wir haben in der Ausschreibung des Preises festgelegt, dass nur transparente Materialien verwendet werden dürfen“, erläuterte Dekan Alexander Czech bei der Vorstellung des neuen Tuches. „Der Tabernakel, der das Allerheiligste der katholischen Kirche birgt, soll für die Gemeinde jederzeit erahnbar bleiben.“ Allzu zart und zerbrechlich durfte das neue Fastentuch freilich auch nicht ausfallen. „Es soll ja viele Jahre halten und wir müssen es problemlos ein- und auspacken können“, betonte Dekan Czech. 

Das Jahr über ruht der hauchzarte Stoffvorhang einem in einem speziell angefertigten Koffer.

Beate Baberskes Tuch hat den Kunstpreis der Erzdiözese gewonnen.

Das ist natürlich ein sehr hoher Anspruch an ein Kunstwerk. Vor allem, wenn es so fragil ist, wie der hauchzarte Stoffvorhang. Sie habe lange gebraucht, um diesen speziellen Punkt der Ausschreibung, zu erfüllen, gestand Beate Baberske. Doch jetzt gibt es einen Spezialkoffer, in dem der Vorhang das Jahr über ruhen kann. 

Mit 2500 Euro für den Siegerentwurf ist der Kunstpreis des Erzbistums Freiburg dotiert. Die Heidelberger Marienhaus-Stiftung und die Erzbischof-Hermann-Stiftung aus Freiburg haben noch gutes Sümmchen draufgelegt, damit die Jesuitenkirche „ihr“ Fastentuch erwerben konnte. In den Jahren zuvor blieb das Kunstwerk, das den Wettbewerb gewonnen hat, im Besitz seines Schöpfers. „Ohne die Förderung durch die Stiftungen wäre das auch in diesem Jahr so gewesen“, bedankte sich Dekan Alexander Czech herzlich bei den Spendern.

Mehr als 80 Entwürfe aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz sind für den Fastentuch-Wettbewerb bei der Erzdiözese Freiburg eingegangen. Das berichtete Katharina Seifert, die Leiterin des Referats „Kunst, Kultur, Kirche“. Seit Dezember 2021 lief das Auswahlverfahren. Die Entscheidung unter den vielen guten Ideen sei den sieben Juroren aus der Heidelberger Stadtkirche, dem Erzbischöflichen Bauamt und dem Ordinariat in Freiburg nicht leicht gefallen, bemerkte Referatsleiterin Seifert.

„Moiré-Effekt“ nennt die Kunstgeschichte solch ein Kaleidoskop aus Farben.

Erzbischof Burger: „Gott ist immer Geheimnis und Offenbarung zugleich.“

„Vier transparente, unterschiedlich große Stoffe überlagern einander. Sie sind immer in Bewegung und lassen das Geheimnis des Dahinter erahnen.“ So beschrieb Beate Baberske aus Neuendettelsau das textile Kunstwerk, mit dem sie den Hauptpreis gewonnen hat. Moiré-Effekt nennt die Kunstgeschichte solch ein Kaleidoskop aus Farbe und Licht. „Mit jedem Luftzug passiert etwas zwischen den Stoffen“, sagte die Künstlerin. „Der Blick in die bewegten Tücher entspannt das Auge, so dass es auch ein wenig fasten kann.“

Die violetten Stoffbahnen, die ohne Abstand hintereinander hängen, hat die Künstlerin mit  einer schmalen neongrünen Bordüre gesäumt. „Dieser Rand greift das Grün der Säulenkapitelle auf“, erklärte Beate Baberske den hoch angetanen Zuhörern in der vollbesetzten Jesuitenkirche. „Das Grün steht aber auch für Neubeginn und Wachstum, Frühling und Auferstehung.“ Manchmal in den Abendstunden könne man beobachten, wie die grünen Ränder zu leuchten beginnen. Die Verzauberung der Jesuitenkirche.

Die Fastenzeit ist der ideale Moment, um unseren strapazierten Sinnen ein wenig Ruhe zu gönnen.

Erzbischof Stephan Burger kamen beim Stichwort Verhüllung zahllose biblische Vergleiche in den Sinn. Vor allem aber erinnerte er an die Gottesbegegnung des Mose auf dem Berg Sinai. „Jahwe zeigte sich ihm immer verhüllt und präsent zugleich“, überlegte Burger in seiner Predigt. „Der Herr kam als Wolke, als Feuer, als Rauch.“

Zufriedene Gesichter: v.l. Erzbischof Stephan Burger, Katharina Seifert vom Erzbischöflichen Kunstreferat, Dekan Alexander Czech, Künstlerin Beate Baberske.

Die heilige Bundeslade im alten Israel sei daher stets durch einen Vorhang von der Außenwelt abgeschirmt gewesen. „In der Todesstunde Jesu ist dieser Vorhang im Tempel von Jerusalem in der Mitte entzwei gerissen.“ 

Die Tabernakel in den katholischen Kirchen besitzen ebenfalls alle einen blickdichten Vorhang, der die geweihten Hostien vor der Außenwelt verbirgt. „Gott bleibt immer Geheimnis und Offenbarung zugleich“, betonte der Erzbischof. Die 40 Tage der Fastenzeit, fand Stephan Burger, seien der ideale Moment, um unseren übermäßig strapazierten Sinnen ein wenig Ruhe zu gönnen. „Das neue Fastentuch in der Jesuitenkirche hilft dabei ausgezeichnet.“

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