Ein Mönch steht im Dämmerlicht. Er trägt den schwarzen Habit der Benediktiner und eine Blechtrommel. Die Fingerspitzen klopfen leise einen Rhythmus. Marschierende Soldaten. Dann beginnt der Mönch zu lesen.
Eine Novelle. Sie erzählt von einem U-Boot, das 1945 vor Portugal versenkt wurde, und von einem Jungen, der glaubt, das Boot im Garten eines Museums gefunden zu haben. Vergraben tief unter der Erde. Alle lächeln. Doch der Junge glaubt und gräbt. Jahrelang. Bis er auf Metall stößt.
Solche Videos drehen sie im Kloster Admont in der Steiermark. Und dann veröffentlichen sie sie auf You Tube. Das ist Avantgarde. Der Mönch, der die Hauptrolle in dem Video spielt, heißt Pater Winfried Schwab. Er lebt jetzt nicht mehr in der Steiermark sondern in Heidelberg. Winfried Schwab OSB ist der neue Abt von Stift Neuburg. Am 12. März 2016 wird er in der Heidelberger Jesuitenkirche von Erzbischof Stephan Burger geweiht.
Die Vision: Ein blühendes Kloster
Viele hatten in Gedanken schon ihre Finger ausgestreckt nach dem Stift. Schließlich ist die Immobilie ein Sahnestückchen. Ein Hotel, eine Seniorenresidenz oder Luxuswohnungen hätte sich manch ein Investor hier gut vorstellen können, sobald das Kloster aufgegeben ist. Was nur noch eine Frage der Zeit schien, denn der Neuburger Konvent schrumpft. 12 Benediktinermönche leben noch in der Abtei, viele sind über siebzig Jahre alt.
Aus all diesen Übernahme-Ideen wird nun nichts. Pater Winfried Schwab ist fest entschlossen, aus Neuburg wieder ein blühendes Kloster zu machen. „Für mich gibt es keinen Zweifel, dass es gelingt, die Abtei weiterzuführen“, sagt der 51-Jährige. Das Kloster vor der Stadt habe das Potenzial, zu einem geistlichen Zentrum für die gesamte Region zu werden und ziehe die Besucher geradezu an. „Wir müssen ihnen nur eröffnen, dass ein Leben nach der Regel des heiligen Benedikt ein gelingendes, glückliches Leben ist, das Freude macht. Das haben Menschen zu allen Zeiten gesucht. Und das suchen sie auch heute.“
Mit dem Vater zur Documenta nach Kassel
In Dipperz, einem 3000-Seelen-Örtchen in der hessischen Rhön, ist Pater Winfried – damals hieß er noch Reinhold – aufgewachsen. Fulda liegt zehn Kilometer entfernt, die Busverbindung ist gut. Im Fuldaer Land glaubt man treu katholisch. Die Pfarrgemeinde von Dipperz verkündet auf ihrer Homepage stolz, „dass aus unserer Gemeinde bereits drei Geistliche und viele Ordensschwestern hervorgingen.“ Auch die Familie Schwab – Mutter, Vater und drei Söhne – waren und sind in der katholischen Kirche fest verwurzelt. Dass es je mehr werden könnte, hätte niemand gedacht.
„Meine Eltern führten eine Gärtnerei und ein Blumenfachgeschäft“, erzählt der neue Abt von Neuburg. Im rauen Klima der Rhön ist das Gärtnern harte Arbeit. Weshalb die Eltern Schwab ihre Söhne aufs Gymnasium schickten. Sie sollten ihre Berufe später frei wählen können. Reinhold entschied sich für ein Leben mit Büchern. „Ich hatte ausgezeichnete Deutschlehrer, die in mir die Begeisterung für Literatur und Sprache geweckt haben.“ Die Neugier auf moderne Kunst hat der Gärtnervater geweckt. Er fuhr mit seinem Sohn zur Documenta nach Kassel. „Wir haben zwar beide nicht viel verstanden, aber mein Vater war der Meinung, wir müssten gesehen haben, worüber alle sprechen.“ Pause. „Das hat mich schwer beeindruckt.“
Jenseits des Sehens
Ein Mönch steht in einer steirischen Dorfkirche. Es ist ein älterer Pater im schwarzen Habit der Benediktiner. Ganz ergeben steht er vor dem Altar. Er hat die Augen geschlossen und den Mund weit geöffnet. Zwischen seinen Lippen steckt ein gewaltiger gelber Apfel.
Die großformatige Foto-Installation des österreichischen It-Künstlers Erwin Wurm ist eines von mehr als 4000 Werken zeitgenössischer Künstler, die das „Museum für Gegenwartskunst“ des Klosters Admont in den letzten zwanzig Jahren zusammengetragen hat. 14 Millionen Euro hat die Abtei investiert, um auf 7600 Quadratmetern eine Sammlung für moderne Kunst zu etablieren.
Inzwischen kaufen die Benediktinermönche von Admont nicht mehr nur, sie laden auch gezielt Künstler zur Zusammenarbeit ein. „Jenseits des Sehens“ nannte sich eine spektakuläre Schau speziell für blinde Menschen. Verantwortlich für diese Ausstellung zeichneten der Kunsthistoriker Michael Braunsteiner und der Benediktinerpater Winfried Schwab. 2005 erhielt Stift Admont den Österreichischen Museumspreis, die höchste Auszeichnung des Landes.
„Ich hatte mein Paradies gefunden“
Die Achtziger in Fulda. Reinhold Schwab hatte gerade sein Abitur bestanden und strebte ins Leben. Bibliothekar wollte er werden. „Aus der Beschäftigung mit der Literatur ist in mir die Liebe zum Buch gewachsen.“ Der Osthesse entschied sich für ein Studium der Rechtswissenschaft. Er startete in Bayreuth und wechselte dann nach Heidelberg, wo er sich endgültig von der juristischen Fakultät verabschiedete. Die Fallhöhe zwischen Literatur und Jura war wohl doch zu hoch.
Reinhold Schwab sattelte um auf Geschichte, legte eine weitere Station in Bonn ein und landete schließlich in Graz, der Hauptstadt der Steiermark. 1995, kurz vor dem Examen, beschloss der angehende Historiker einen Ausflug in die Berge zu unternehmen. Er wollte die berühmte Bibliothek von Kloster Admont sehen. Es war Liebe auf den ersten Blick. „Ich hatte mein Paradies gefunden.“
Die größte Klosterbibliothek der Welt
70 000 Bücher stehen in der 13 Meter hohen, lichtdurchfluteten und goldglänzenden Stiftsbibliothek von Admont. Sie ist die größte Klosterbibliothek der Welt. Da Stift Admont schon 1074 gegründet wurde, besitzt es 1400 wertvolle Handschriften aus dem Mittelalter, von denen sich einige bis ins 12. Jahrhundert zurück datieren lassen. „Ich bin wie ein Schmetterling von Buch zu Buch geflattert und habe mal hier etwas gelesen und mal dort.“
In seinem 33. Lebensjahr legte Reinhold Schwab aus Dipperz bei Fulda im Kloster Admont in der Steiermark seine zeitliche Profess ab. Er erhielt den Klosternamen Winfried in Erinnerung an den heiligen Bonifatius, der im Dom zu Fulda seine letzte Ruhe gefunden hat. „Die Regel des heiligen Benedikt ist ein Schatz, den ich nie mehr missen möchte“, sagt der designierte Abt.
Viele Mönche leben draußen in den Pfarrhäusern
26 Benediktinermönche und zwei Novizen leben derzeit in Kloster Admont. Ein großer Konvent, wovon man allerdings im Kloster wenig spürt. Selbst an Ostern nehmen selten mehr als drei oder vier Mönche am Gottesdienst teil. „Admont ist seit Jahrhunderten ein Seelsorgekloster“, erklärt Pater Winfried Schwab. „Der Konvent betreut dreißig Pfarreien und ein Gymnasium mit 600 Schülern.“ Viele Patres wohnen draußen in den Pfarrhäusern.
Pater Winfried hat sich in den letzten fünf Jahren um die Marien-Wallfahrtskirche Frauenberg gekümmert. „Ich halte die Marienfrömmigkeit für einen unentdeckten Schatz unserer Kirche, der unbedingt vom romantischen Kitsch befreit werden muss“, sagt der fünfte Abt von Neuburg. „Wahre Marienfrömmigkeit ist eine tiefe Herzensbeziehung zur Muttergottes, der wir als Menschen anvertraut sind.“ Folgerichtig stammt auch der Wahlspruch von Abt Winfried aus einem Mariengebet: „Sub tuum praesidium“ – „Unter Deinen Schutz und Schirm“.
Ein Mönch steht an einem offenen Grab. Er trägt den schwarzen Habit der Benediktiner. Oben auf den Bergen glitzert weiß der Schnee. Der Tote im Sarg durfte nur 38 Jahre alt werden. Er war ein erfahrener Kletterer und Tourenskifahrer. Der Berg holte ihn trotzdem. Sein Vater sah den Sturz. Im Traum. Der Mönch geht ins Haus, um die Künstler zu bestellen.
Ein Kunstpreis für das Totenbuch
Natürlich initiierte Pater Winfried auch in Frauenberg Kunst: Ein künstlerisch gestaltetes modernes „Totenbuch“. Rund 300 Menschen leben in dem Örtchen Frauenberg, drei oder vier Sterbefälle gibt es pro Jahr zu betrauern. 2011 engagierte Pater Winfried erstmals einen Maler und einen Schriftsteller, die das Leben der Verstorbenen in Bild und Text verewigen sollten. Gesammelt werden diese Blätter im kostbaren ledergebundenen Totenbuch der Gemeinde.
„Anfangs wussten die Angehörigen nicht, was das soll. Inzwischen gibt es einige, die auf beeindruckende Weise erzählen, wie sehr sie diese Form der Auseinandersetzung in ihrer Trauerarbeit begleitet hat“, erzählte Pater Winfried bei der Preisverleihung in Berlin. 2014 erhielt er dort für das Projekt den angesehenen „Artheon“-Kunstpreis.
Die Idee des Totenbuchs entsprang der intensiven Beschäftigung mit der mittelalterlichen Totentanz-Literatur, der Pater Winfried seine Freizeit widmet. „Tatsächlich bin ich auf diesem Gebiet wissenschaftlich tätig.“ Etliche Artikel in der Fachliteratur hat der Benediktiner bereits veröffentlicht. Ihr Thema: Die gedruckten Initiale. „In diesem kleinen Spezialgebiet des Buchdrucks bin ich ein Kenner.“
„Verlasst die ausgetretenen Pfade. Habt Mut“
Ein Mönch steht am Ambo der Klosterkirche von Stift Neuburg. Die Kirche ist voll, der Mönch groß. Die meisten seiner Mitbrüder überragt er um Haupteslänge. Er trägt den dunklen Habit der Benediktiner geschmückt mit einem weißen Kragen. Der österreichische Stil. Den Deutschen genügt eine Kapuze. Man feiert den Abschied von Abt Franziskus. Sein Nachfolger hält die Predigt. Er spricht über Petrus. Die Worte sind Programm. „Verlasst die ausgetretenen Pfade. Habt Mut.“
Die Öffnung von Kloster Neuburg, die Abt Franziskus Heereman seit zwanzig Jahren vorangetrieben hat, hält Pater Winfried „für richtig und zukunftsorientiert“. Er will auf diesem Weg weitergehen. Mit seinen Mitteln. Kommunikation ist zweifellos die größte Stärke des neuen Abtes. Nicht umsonst fungierte er in Admont als Pressesprecher.
Pater Winfried kommt mit Jedem ins Gespräch. Dieses Talent gilt es zu nutzen. Im Frühling, wenn es auf dem Klosterhof brummt. An den Sonnentagen, wenn die Touristen den Tanz der Lichter in der Klosterkirche bestaunen. Und unten in der Stadt.
Abt Winfried, hochgewachsen und im schwarzen Habit der Benediktiner, wird man künftig in Heidelberg häufig zu Gesicht bekommen. „Ich möchte in der Öffentlichkeit aufscheinen. Die Menschen in Heidelberg sollen wissen: Das Benediktinerkloster lebt. Es hat etwas zu bieten mit seinem geistlichen Leben, seinem Gebet und seiner Ordensregel“.
Wir wünschen Pater Winfried alles Gute und eine
glückliche Hand für unsere Abtei Neuburg .
Familie Ullmer
Liebe Fam. Ullmer!
Herzlichen Dank für Ihre guten Wünsche! Es freut mich zu lesen: „eine
glückliche Hand für unsere Abtei Neuburg“. Mit solchen treuen Freunden des Hauses kann es doch nur gelingen. 🙂
Im Gebet verbunden,
Ihr
P. Winfried
Vielen Dank, Daniela Deutsch, für diesen Text. Für mich persönlich : Dinge, die ich für unvereinbar und Haltungen, die ich für anachronistisch gehalten habe, gewinnen an Relevanz. Das gibt mir zu denken. Karin Kopka-Musch
Verzeihung, Wortverkennungssystem: Danke, Diana Deutsch!