Im Olymp der Theologie

Ausgezeichnet mit höchste Preisen: Der Heidelberger Professor Michael Welker

Was für die Natur- und Wirtschaftswissenschaftler der Nobelpreis, das ist für Theologen, die Einladung zu den „Gifford Lectures“ nach Schottland.  Sechs deutschsprachige Theologen haben es bislang in diese Ruhmeshalle geschafft, darunter Albert Schweitzer und Karl Barth. Jetzt erklimmt ein Siebter den theologischen Olymp: Der Heidelberger Professor Michael Welker wird 2019 in Edinburgh sechs Gifford-Vorlesungen halten.

Es ist nicht die einzige hohe Ehrung, die dem Doyen der Systematischen Theologie derzeit zuteil wird. Anfang Juli erhielt Welker in Basel den renommierten Karl-Barth-Preis für sein Lebenswerk. Höchste Zeit für einen Glückwunschbesuch.

Theologie und Naturwissenschaft auf Augenhöhe. Welch ein Ansatz!

Am Ende der Heidelberger Hauptstraße, wo es dem Karlstor zugeht, stehen einige Gründerzeitvillen mit verwunschenen Gärten und steilem Schlossblick. In der Hausnummer 240 residiert seit zehn Jahren das „Forschungszentrum für Internationale und Interdisziplinäre Theologie“. Hier schlägt das Herz von Professor Michael Welker. „Wir haben in den USA und hier viele interdisziplinäre Forschungsvorhaben auf den Weg gebracht, dabei auch mehrere mit Naturwissenschaftlern“, erklärt der 68-Jährige.

Hohe Anerkennung: In Basel erhielt Welker den Karl-Barth-Preis 2016

„Wenn man den Ehrgeiz hat, eine selbstkritisch-realistische Theologie zu betreiben, muss man Empirie, Geschichte und Rationalismus als Herausforderungen annehmen.“ Die Theologie als gleichberechtigte Gesprächspartnerin unter den empirischen Wissenschaften? Welch ein Ansatz!

1947 wurde Michael Welker in Erlangen geboren, in Berlin ist er aufgewachsen. Ein Nachkriegskind. Die Straßen waren voll von Ruinen, doch Mutter und Vater Welker, ein Zahnarzt, setzten alles daran, ihren Kindern eine heile Welt zu schaffen. Sohn Michael besuchte das Französische Gymnasium und sang im berühmten Staats- und Domchor. Humanistische Bildung par excellence. „Es war wohl diese gespaltene Aura der Nachkriegszeit mit ihren Mauern des Schweigens, die mich, obwohl die Familie nicht besonders fromm war, schon mit vier Jahren sagen ließ: Ich will Pfarrer werden“, erinnert sich Welker. Große Wörter wie Gott, Demut, Freiheit haben ihn schon als Jungen fasziniert.

„Was ist der Mensch?“ Das große Thema des Michael Welker

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Das „Forschungszentrum für Internationale und Interdisziplinäre Theologie“

Heute sind es die großen Themen, die den Theologen fesseln. Welker hat Bücher geschrieben über „Gottes Geist“ und „Gottes Offenbarung“. Derzeit umkreist Welkers Denken die Anthropologie. Was ist der Mensch? „Duale Modelle wie Leib – Seele oder Körper – Geist sind zu eng, um die menschliche Existenz in ihrer Vieldimensionalität zu erfassen“, überlegt der Systematiker. „Nach Paulus ist der menschliche Geist geradezu ein Ozean.“

Alle Erinnerungen, alle Vorstellungen, alle Erwartungen haben Platz in der Weite unseres Geistes. Er kann auf Unbekanntes, Abstraktes, Erdachtes ausgreifen: Gott, Geschichte, naturwissenschaftliche Modelle und fremde Welten. „Wir können unsere Geister machtvoll verbinden“, staunt Michael Welker. Das kann aber auch hochgefährlich werden, wenn es in die falsche Richtung gelenkt wird. Faschismus, Rassismus, Terrorismus, ökologischer Brutalismus. „Dann wird der Geist zu einer Falle, zu einem Gefängnis.“

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International ein Bestseller: „Gottes Geist“

Die Unterscheidung der Geister ist für Michael Welker eines der spannendsten Themen der Theologie. Und der Apostel Paulus neuerdings sein Lieblingsautor. „Paulus hat eine raffinierte, subtile Sicht vom Menschen.“ Er unterscheide zwischen Fleisch und Leib, erklärt Welker. Die Seele spielt nicht die große religiöse Rolle, die ihr oft zugeschrieben wird. “Spannend ist das Herz mit seinen Energien der Emotion, des Wissens und des Willens. Da können wir noch viel erforschen.“ Professor Welker hofft, dass er seine neue „weite“ christliche Anthropologie in den beiden Vorbereitungsjahren auf die „Gifford Lectures“ zur Druckreife bringen kann. Einen Titel hat das ungeborene Welker-Werk schon: „Gottes Bild“.

Ein Kulturschock, verliebte Sonette, Kant und Hegel

1961 traf den jungen Michael der Kulturschock. Vierzehn erfüllte Jahre hatte er im quirrligen Berlin verbracht, dann übersiedelte die Familie nach Grünstadt an der Weinstraße. Der Gymnasiast engagierte sich intensiv in der christlichen Jugendarbeit und schrieb sich nach dem Abitur 1966 in Heidelberg für Theologie und Philosophie ein. Jugendpfarrer wollte Michael Welker werden. Jedoch schon ein Semester später konnte er sich ein Leben jenseits der Wissenschaft nicht mehr vorstellen.

1968 wechselte er nach Tübingen, verliebte sich in seine spätere Frau Ulrike und „schrieb nur noch Sonette“. Damit sie ihr Examen bestehen und er seine Dissertation schreiben konnte, war ein drastischer Schritt notwendig. Michael Welker kehrte nach Heidelberg zurück, verbarrikadierte sich in seinem Zimmer und las Tag und Nacht. „Ich war eine Art Privatgelehrter, nur noch mit Kant und Hegel, Fichte und Schelling beschäftigt.“ Dann starb der Zahnarztvater. Sohn Michael tauchte wieder ein in die universitäre Realität, promovierte erst in Theologie, später noch in Philosophie.

„Natur kann als Sinnstifter nie ausreichen“

Wer an die Natur glaubt, entkommt der Verzweiflung nie“

Natur und Leben. Wenige Begriffe werden in unserer Zeit so missverständlich gebraucht wie diese, sagt Michael Welker. „Natur ist kein Heilsbegriff. Natur hat immer auch eine zerstörerische Seite. Und alles Leben lebt auf Kosten von anderem Leben.“ Auch wenn man Vegetarier ist, muss man anderes Leben zerstören, um sich selbst zu erhalten. „Deshalb kann die Natur als Sinnstifter für ein Leben niemals ausreichen. Wenn ich einen naturalistischen Lebensbegriff habe, bleibe ich in der Endlichkeit stecken und komme aus der Verzweiflung nie heraus.“

Dabei verfügt der Mensch über viel größere kreative Kräfte als die natürlichen. Er ist in der Lage den Trieb zur Selbsterhaltung zurückzustellen, um anderen zu helfen. „Liebe und Vergebung ist freie schöpferische Selbstzurücknahme zugunsten anderer“, definiert Michael Welker. „Sie geht mit einer Freude einher, die die Freude an der Selbsterhaltung weit übersteigt.“

Vielleicht ist diese Freude ja ein Vorgeschmack auf das Ewige Leben. So denkt Professor Michael Welker. „Alle theologischen Fragen beginnen mit der Erkenntnis der irdischen Schöpfung und gehen dann über sie hinaus.“ Schließlich sei der Gott des Christentums keine numinose Transzendenz. „Er ist Mensch geworden, sein Wort ging ein in die irdische Wirklichkeit. Deshalb hat Theologie immer mit Realismus und Empirie zu tun.“

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Schauplatz der Gifford-Lectures: Die Universität von Edinburgh

Interdisziplinäre Forschung war ein Novum in der Theologie

1980 stand die Habilitation an. Michael Welker wollte über das Werk des amerikanischen Mathematikers und Philosophen Alfred North Whitehead arbeiten. Doch so einfach war das nicht. In der Tübinger Universitätsbibliothek fand der Habilitand nur ein einziges Buch von ihm. „Ich musste für drei Monate in die Staaten zu gehen und dort forschen.“ Als Welker zurückkehrte, überreichte er der UB eine Liste mit 450 Titeln. „Sie haben alle angeschafft.“

Die Beschäftigung mit Whitehead veränderte Michael Welkers Denken. Whitehead warf die Frage auf, wie Wissenschaft zu gültigen Ergebnissen gelangen will, wenn sie die Welt mit verschiedenen Bezugsgrößen betrachtet. Die einen berufen sich auf Mathematik, die anderen auf Geschichte oder Theologie. Whiteheads Antwort: Wir brauchen einen mehrsystemischen Zugang, der nicht alles in eine Form gießt, sondern kommuniziert. Michael Welker fand das „großartig“. Von Stund an forschte er interdisziplinär und erweiterte dadurch den Horizont der Theologie Stück für Stück.

Das Ehepaar Welker: „Die gute Zusammenarbeit ist das Geheimnis unserer Kraft“

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Welkers Vorgänger: Professor Karl Barth, Gifford-Lectures 1937

1983 war Michael Welker ein junger C2-Professor in Tübingen. „Ich hatte riesige Vorlesungen mit 600 Studenten.“ Welker wollte weiterkommen, doch es gab in Deutschland nur eine offene Stelle im Jahr und die erhielten etablierte Professoren. Erschöpfung machte sich breit, auf die Ulrike Welker mit einem mutigen Schritt reagierte. Sie kündigte ihre Stelle als Oberstudienrätin am Gymnasium, um künftig die Forschungen ihres Mannes zu unterstützen. „Bei dieser Arbeitsgemeinschaft ist es bis heute geblieben“, sagt Michael Welker. „Die gute Zusammenarbeit ist das Geheimnis unserer Kraft.“

Und des Erfolgs. 1987 kamen zeitgleich drei Rufe: nach Princeton, an die kanadische McMaster Universität und nach Münster. Die Welkers wechselten nach Münster, wo kurz darauf ihre Zwillingstöchter zu Welt kamen. 1991 dann die überraschende Berufung nach Heidelberg auf eine Professur für Systematische Theologie. Die Familie zog auf den Dilsberg, wo das Ehepaar Welker noch heute „sehr glücklich“ ist.

Die Welkers jettet unermüdlich um die Welt. Princeton, New York, Südkorea.

So die Welkers denn zu Hause sind. Was selten der Fall ist. Obwohl der Professor seit drei Jahren emeritiert ist, jettet das Ehepaar unermüdlich in der Welt herum. Princeton, New York, Südkorea. Michael Welker findet, dass er es im Vergleich zu früher schon langsamer angehen lässt. „Ich habe keine normalen Lehr-Verpflichtungen mehr und ich nehme keine neuen Doktoranden mehr an.“ 60 Dissertationen aus 15 Nationen hat er betreut. „Das langt.“

Was Michael Welker hingegen beibehalten will, sind die Kompaktseminare zu besonderen Themen.  Im Herbst geht es um Dietrich Bonhoeffer. „Er hat eine fantastische Doktorarbeit geschrieben, in der der Heilige Geist eine große Rolle spielt“, erzählt Welker.

Dann hörte Bonhoeffer plötzlich auf vom Geist zu sprechen. „In seinen letzten Schriften herrscht geradezu ein Geist-Schweigen. Wir wollen erforschen, was da passiert ist.“ Erst ganz am Ende seines Lebens, schon im Gefängnis, entdeckte Dietrich Bonhoeffer etwas, das ihn ebenso faszinierte wie früher der Heilige Geist. Bonhoeffer nannte es die „Polyphonie des Lebens“. Michael Welkers neues Herzenswort.

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