Jenseits von Zeit und Raum

Abt Franziskus erklärt, wie er
sich Auferstehung vorstellt

Es ist Frühling. Die Luft duftet wieder, und mit jedem Blatt wächst die Hoffnung. Dass der Tod nie das letzte Wort haben wird. Das ist die Botschaft von Ostern, dem wichtigsten Fest der Christenheit.

Jesus Christus ist nicht im Felsengrab geblieben, sondern auferstanden zum Ewigen Leben. Aber wie hat man sich das „Paradies“ konkret vorzustellen? Fragen an Abt Franziskus Heereman OSB, den emeritierten Abt des Benediktinerklosters Neuburg in Heidelberg.

Abt Franziskus, wohin gehen wir, wenn wir gestorben sind?

In eine neue Dimension, die wir noch nicht kennen. Nach der wir uns aber schon unser ganzes Leben gesehnt haben. Weil alles Machen, Haben und Kaufen den Menschen nie ganz zufriedenstellen kann. Unser Leben erschließt sich dadurch nicht. Wir brauchen mehr. Karl Jaspers hat das die „transzendentale Lücke“ genannt. Dieser Sehnsucht muss man sich stellen. Die Suche nach einem Sinn ist immer – wenn auch verborgen – eine Suche nach Gott.

Die Grablegung Jesu: Gemalt von
Carl Heinrich Bloch (um 1800)

Jesus Christus hat uns Zeugnis gegeben von dieser anderen Welt bei Gott. Und er hat sich sogar kreuzigen lassen im Vertrauen auf ein Weiterleben in dieser anderen Dimension.

Aber Jesus Christus hat doch gewusst, was ihn im Himmel erwartet?

Ich glaube nicht, dass er das wusste. In der Heiligen Schrift steht: „Jesus Christus ist uns in allem gleich geworden, außer der Sünde.“ Wenn man das ernst nimmt, dann hat der Mensch Jesus nicht über mehr Wissen verfügt als wir.

Allerdings besaß er eine geniehafte Intuition, wie man die Texte des Alten Bundes lesen muss. Dadurch hat er uns Gott völlig neu nahe gebracht. Als den liebenden Vater, an den wir uns jederzeit mit unseren Sorgen wenden dürfen. Das hat enorm viele Menschen angesprochen, sonst wären sie nicht so hinter Jesus hergelaufen. Aber weil er ein Mensch war, musste auch Jesus immer wieder um diese Gotteserkenntnis ringen. Er hatte ebenso wenig Sicherheit wie wir. Und ebenso viel Angst vor dem Tod. Weil das Eigentliche auch Jesus nur in einem Akt radikalen Glaubens zugänglich war. Davon bin ich überzeugt.

Obwohl er der Sohn Gottes war?

Die Heidelberger Abtei
Neuburg im Frühling

Die Idee von der Präexistenz Christi wird oft falsch verstanden. Wir alle sind präexistent. Wir alle sind schon immer da gewesen – bei Gott. Alles, was je war und alles, was je sein wird, ist bei Gott in Ewigkeit gegenwärtig.

Unser irdisches Leben vollzieht sich in einer anderen Dimension: In der Zeit. Zeit bedeutet immer Veränderung. Was Ewigkeit bedeutet, übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Wir können darüber philosophieren, aber wir können sie nicht mit unserer Erfahrung einholen.

Wir wissen nicht, wie es ist, wenn es keine Zeit gibt, die vergeht. Weder Vergangenheit noch Zukunft. Wenn nichts mehr von A nach B verläuft, sondern alles in Ewigkeit für immer da ist. Sicher ist es auch dem Menschen Jesus von Nazareth so ergangen. Er musste sich – wie wir alle – neu auf die Suche nach dem Reich Gottes machen.

Was bleibt denn von unserem irdischen Leben, wenn wir in den Himmel kommen?

Das ist eine schwierige Frage. Unser Körper wird sich nach dem letzten Herzschlag auflösen. Doch der Kern unserer Persönlichkeit, das was wir Seele nennen, bleibt erhalten. In Ewigkeit. Das ist für uns jetzt schwer vorstellbar, weil wir unseren Körper immer mitdenken, wenn wir „Ich“ sagen. Wie sich dieses „Ich“ in einem anderen Aggregatszustand anfühlt, wissen wir nicht.

Abt Franziskus
in Frankfurt

Aber mit Sicherheit verschwinden unsere Seelen nicht in irgendeiner göttlichen Gesamtsphäre, in der für Individualität keinen Platz mehr ist. Allerdings fürchte ich, dass sich auch unsere kindlichen Vorstellungen vom Paradies nicht verwirklichen werden.

Dann treffen wir die Menschen nicht wieder, die wir in unserem Leben geliebt haben?

Wenn unser Leben eingegangen ist in die Wirklichkeit Gottes, wo es keine Zeit mehr gibt, sondern nur noch Gegenwart, dann ist unsere ganze Lebensgeschichte in dieser Gegenwart aufgehoben. Mit allen Menschen, denen wir je begegnet sind. So gesehen leben wir schon jetzt in unserer Ewigkeit. Welche Rolle diese Beziehungen dann noch spielen, wage ich nicht zu sagen. Weil dieses „dann“ ja nichts ist, was nachher kommt. Sondern es geschieht gerade jetzt.

Gibt es denn ein Jüngste Gericht? Müssen wir uns verantworten, für das, was wir in unserem Leben getan haben?

Gott ist nur Liebe. Er kann nicht hassen. Und er richtet auch nicht. Für mich beschreibt die Vorstellung vom Jüngsten Gericht den Moment, in dem wir uns selbst erkennen, wie wir sind. Man hört immer wieder von Menschen, die einen schweren Unfall hatten, dass ihr ganzes Leben im Schnelldurchlauf an ihnen vorbeigezogen ist. So kann man sich das Gericht vielleicht vorstellen. Als den Augenblick, in dem ich mein gesamtes Leben mit absoluter Klarheit sehe. So wie Gott es sieht. Das kann sehr schmerzhaft sein.

Ich denke, dass Menschen, die ein Leben lang um Gott gerungen haben, sich in diesem Moment leichter tun. Wie auch die Menschen, die über keine religiöse Sprache verfügen, sich aber in einer schlichten natürlichen Hingabe für ihre Familie oder für andere eingesetzt haben.

In wessen Leben die Liebe keinen Platz gehabt hat, wer nur am Haben interessiert war, wer anderen Menschen Böses getan hat, für den wird die Begegnung mit Gottes Liebe möglicherweise entsetzlich. Weil er erkennen muss, dass alles, worauf er in seinem Leben gesetzt hat, in den Augen Gottes nicht das Geringste wert ist. Es war Tod mitten im Leben.

Nach dem Zeugnis Jesu besteht der Sinn unseres irdischen Lebens darin, dass wir der Liebe Raum geben. Nicht weil es am Ende einen Richter gibt, der aussortiert, sondern um zu verhindern, dass wir uns für unser Leben vor uns selbst und vor Gott unendlich schämen müssen. Das tut wahrscheinlich viel mehr weh, als von einem anderen gerichtet zu werden. Auf der anderen Seite dürfen wir die Hoffnung haben, dass es Gott in seiner liebenden Allmacht gelingt, unser Leben recht zu machen. Alles, was zu ihm passt, wird nicht verloren gehen, sondern in seinem Leben aufgehoben sein

Spätgotischer Altar
im Frankfurter Dom

Und was ist mit der Hölle? Gibt es die überhaupt?

Der Katechismus sagt: Ja, es gibt die Hölle. Ich sage: Wenn es die Hölle gibt, muss man sich sehr anstrengen, um hineinzukommen.

Ich gehe davon aus, dass im Sterben ein klarer Blick über uns kommt. Wir sehen unser Leben in aller Schonungslosigkeit. Aber wir ahnen auch schon, welche Fülle des Lebens Gott für uns bereit hält. Wer sich trotz dieser Ahnung bewusst gegen das Leben bei Gott entscheidet, für den gibt es womöglich eine Hölle. Wenn wir nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, gehört dazu, dass es in uns eine letzte Freiheit gibt. Also muss er uns auch die Freiheit lassen, uns gegen das ewige Leben bei ihm zu entscheiden.

Woher nehmen Sie diese Gewissheit, wenn Sie über Gott und seinen Willen sprechen?

Alles, was wir über Gott und seine Pläne sagen, ist immer nur ein Tasten und Ahnen. Wenn wir über Gott sprechen, bedienen wir uns der Sprache und der Bilder, die uns unsere Religion zur Verfügung stellt. Eine Gottesrede, die sich nicht ihrer Grenzen bewusst ist, trägt für mich bereits einen Ansatz von Häresie in sich. Schon vor vielen hundert Jahren hat ein Konzil gesagt, dass alles, was wir von Gott in positiver Weise aussagen, mehr unähnlich ist als ähnlich. Daher bleibe alles Reden über das Geheimnis von Tod und Leben immer Fragment. Es wäre besser, zu verstummen und zu staunen.

Selfie auf
dem Sofa
Ein Mönch am Main

Den schwarzen Benediktiner-Habit trägt er auf Straßen von Frankfurt nicht. Aber sonst ist Abt Franziskus Heereman der monastischen Kargheit treu geblieben: Eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines Sechziger-Jahre-Blocks, schlicht möbliert, mitten in der City zwischen Bankentürmen und Einkaufsgewühl. Ein Zimmer ist privat. Im anderen empfängt der emeritierte Abt Ratsuchende zum geistlichen Gespräch. Der Terminkalender ist gut gefüllt. Viele Menschen begleitet der Abt schon seit Jahren. „Es kommen jetzt aber auch neue hinzu“, freut sich Heereman, der gerade seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. So langsam kennt man ihn am Main.
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Von 1988 bis 2016 hat Franziskus Heereman die Benediktinerabtei Neuburg in Heidelberg geleitet. Mit seinem 70. Geburtstag endete seine Amtszeit nach den Regeln der Beuroner Kongregation. Seitdem lebt er in Frankfurt. „Es wäre nicht gut gewesen, wenn ich weiter in Neuburg gewohnt hätte“, sagt Abt Franziskus. „Das Kloster musste sich neu orientieren.“ Aber ein Zimmer in der Abtei Neuburg habe er schon noch, lächelt der Alt-Abt. „Ich mache dort oft Vertretung.“
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Der Frankfurter Stadtdekan Johannes von Eltz ist ein alter Freund, verrät Abt Franziskus. Daher wohl die Idee, an den Main zu übersiedeln. Hier ist er fest eingebunden in den Gottesdienst-Plan der Stadtkirche. Und ein sehr gefragter Beichtvater.Auch der Limburger Bischof Georg Bätzing hat neuerdings ein Auge auf den Alt-Abt geworfen. Er hat ihn als regelmäßigen Firmspender für den Taunus gewonnen. Mit Mitra und Abtstab. Eine Aufgabe, die Abt Franziskus gern angenommen hat.
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Ein neues Kloster hat Abt Franziskus auch gefunden: Er ist der geistliche Begleiter der Benediktinerinnen von Eibingen im schönen Rheingau. Das sind die Schwestern der Hildegard von Bingen. Dort trägt der Abt den schwarzen Habit. Natürlich.

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