Der Countdown läuft für Heidelbergs Katholiken. Ende 2012 will Erzbischof Robert Zollitsch darüber entscheiden, ob sich die rund 40 000 Gläubigen in Heidelberg und Eppelheim zu einer Stadtkirche zusammenschließen. Jetzt melden sich auch nachdenkliche Stimmen zu Wort.
So mahnte Abt Franziskus Heereman OSB in seiner Pfingstpredigt in der Heidelberger Jesuitenkirche die mangelnde visionäre Kraft der Stadtkirche an. Die Predigt im Wortlaut:
Die Predigt von Abt Franziskus im Wortlaut:
„Als Dekan Dauer mich einlud, heute mit Ihnen das Patrozinium zu feiern, habe ich mich gefreut. Deshalb habe ich mich auch gern auf diese Eucharistiefeier vorbereitet und mich nach unserem klösterlichen Pfingstamt auf den Weg nach hier gemacht.
Die Patrozinien meiner Abtei und der Jesuitenkirche bilden einen Kontrast, wie er größer nicht sein könnte. Seit 1130 steht Neuburg unter der Schirmherrschaft des heiligen Apostels Bartholomäus. Von dem weiß man nichts, außer dass er einer der Zwölf war, die Jesus begleitet haben. Er wird nur in den Apostel-Listen genannt. Das macht es relativ schwierig, an seinem Fest zu predigen. Er soll das Martyrium durch Abziehen seiner Haut erlitten haben. Aber dazu ist irgendwann alles gesagt.
„Vielleicht ist es falsch, nur zu überlegen, wie wir das Gewordene erhalten können“
Mit dem Patrozinium dieser Kirche verhält es sich genau umgekehrt. Ohne den Heiligen Geist lässt sich nichts sagen. In allem was wir glauben und leben, ist er präsent. Als Thema ist er nie erschöpft. Auch das kann eine Schwierigkeit sein. Aus diesem Dilemma hat mir Ihr Pfarrer geholfen. Vor einiger Zeit hatte ich ihm in einem Brief geschrieben, dass ich in den Gesprächen über die kommende Stadtkirche Heidelberg-Eppelheim etwas vermisse.
Da ist sehr viel von dem die Rede, was jetzt schon alles geschieht. Und ich muss sagen, dass mich das sehr beeindruckt hat. Ich habe in den Versammlungen, an denen ich teilnehme, wenn es meine Zeit erlaubt, viele engagierte und motivierte Christen kennen gelernt. Das macht mir Mut für den Weg, der vor uns liegt.
Aber irgendwie habe ich den Eindruck gewonnen, der vielleicht falsch ist, dass es bei unseren Überlegungen vor allem darum geht, wie wir das Gewordene erhalten können. Wir wissen, dass weniger Priester zur Verfügung stehen werden. Die Zahl der aktiven Gläubigen wird auf absehbare Zeit weiterhin abnehmen. Die Kirche steht in Heidelberg vor einem gewaltigen Wandel. Da genügt es nicht, das noch Mögliche geschickter und phantasievoller zu organisieren.
„Gott will unserer alt gewordenen Kirche zu neuem Leben verhelfen“
Was wir brauchen, ist ein neues Bild von Kirche – eine neue Weise, Kirche zu leben und in der Praxis des Alltags zu gestalten. Sonst rennen wir immer nur dem nach, was wir schon kennen, und gehen nicht auf das zu, was wir noch nicht kennen. Was wir brauchen, ist ein Traum oder eine Vision.
Wir müssen damit rechnen, dass eine neue Gestalt von Kirche unter den heutigen Herausforderungen entsteht. Da heißt es nicht zurückschauen und festhalten, sondern die Nase in den Wind halten und spüren, auf welchen Weg uns der Heilige Geist führen will. Ich bin davon überzeugt, dass die gegenwärtige Entwicklung nichts mit Rückzug oder gar Untergang zu tun hat, sondern dass Gott selbst dahinter steckt und unserer alt gewordenen Kirche zu neuem Leben verhelfen will.
Nun, hat Dekan Dauer hat damals gesagt: „Sie kommen ja Pfingsten zu uns in die Jesuitenkirche. Dann können Sie darüber sprechen, wie Sie sich die Zukunft vorstellen, und welche Träume Sie haben.“ Diesem prophetischen Auftrag darf und muss ich mich nun stellen.
„Mir scheint, dass wir in der deutschen Kirche überorganisiert sind.“
Allerdings ist mir dabei klar, dass Träume nur eine Chance haben, Wirklichkeit zu werden, wenn Viele an ihnen mitträumen. Es geht mir also in erster Linie darum, dass wir uns bei den Beratungen auf der Ebene der kommenden Stadtkirche viel Zeit zum Träumen nehmen. Keine Angst: Da werden keine Bäume in den Himmel wachsen. Die Dinge werden sich auch nicht von heute auf morgen ändern.
Es wird einen langen Atem brauchen und das Vertrauen, dass uns Gott – wie die Israeliten vor vielen tausend Jahren in Ägypten – zum Aufbruch einlädt. „Einen neuen Aufbruch wagen“ – das muss nach Abschluss des Katholikentages in die konkrete Alltagswirklichkeit von Kirche vor Ort hineinbuchstabiert werden. Sonst hätte man sich den ganzen Aufwand einer solchen Großveranstaltung sparen und das Geld den Armen geben können.
Worum geht es bei diesem Aufbruch? Als ich in Mannheim zu einer Veranstaltung am Hauptbahnhof ankam, bekam ich innerhalb einer Minute zwei Faltblätter in die Hand gedrückt. Das eine verkündete das nahe Weltende und forderte zu entsprechenden Konsequenzen auf. Das andere kam von einer Bewegung „Wir sind Kirche“ . Da schien es hauptsächlich darum zu gehen, was der Papst und die Bischöfe alles falsch machen. Erst wenn der Zölibat aufgehoben ist und Frauen zu Priestern geweiht werden, und erst wenn die wiederverheirateten Geschiedenen und die Protestanten unterschiedslos zur Kommunion eingeladen werden, kann aus der Kirche etwas werden.
„Die Kirche wird sich nicht von oben nach unten erneuern. Das ist ein Trugschluss.“
Ich will nicht sagen, dass nicht Vieles für diese Anliegen spricht. Ich bin auch nicht glücklich über die rechtlichen Regelungen im Umgang mit den wiederverheirateten Geschiedenen. Ich meine auch, dass im Umgang mit den gleichgeschlechtlich veranlagten oder so gewordenen Menschen noch keine wirklich guten Lösungen gefunden sind.
Mir scheint des Weiteren, dass wir, wie es schon Papst Johannes Paul II. vor über dreißig Jahren gesagt hat, in der deutschen Kirche überorganisiert sind. Einen solchen Aufwand kennt man in anderen Ländern nicht, auf deren kirchliche Entwicklung wir heute neidisch schauen. Wir sollten uns fragen, ob die Verfahrensmuster heute noch wirklich passen. Das gilt auch von dem bürokratischen Aufwand, der in Rom betrieben wird. Könnten nicht manche Kompetenzen von Rom auf die Ebene der Diözese verlagert werden und von der Diözese auf die der Kirche vor Ort, ob sie nun Pfarrei oder Seelsorgeeinheit heißt?
Kirche wird sich nicht von oben nach unten erneuern. Das ist ein Trugschluss. Es gilt, auch innerkirchlich das Subsidiaritätsprinzip ernst zu nehmen. Die Ansicht, dass Kontrolle besser ist als Vertrauen, kann sich nicht auf das Evangelium berufen. Das Neue kann nur werden und wachsen, wo Vertrauen investiert und Verantwortung realisiert wird. Beides ist wichtig.
„Wo das Reich Gottes erfahrbar wird, geschieht das in der Form der Gemeinschaft.“
Verantwortung heißt nicht, dass ich machen kann, was ich will, und mir keiner hereinzureden hat, sondern dass ich bereit und fähig bin, mein Handeln zu reflektieren und zu begründen. Dass ich auch bereit bin, mich in Frage stellen zu lassen. Das verlangt eine gewisse menschliche Reife und das Vertrauen, dass wir nicht allein auf dem Weg sind, sondern dass Gottes Geist der eigentlich Handelnde ist. Ohne dieses Vertrauen auf allen Seiten, werden unsere Bemühungen im kleinlichen Hickhack der Schuldzuweisungen stecken bleiben.
Aber ich soll ja von meinen Träumen und Visionen von der Kirche im Allgemeinen und von der Stadtkirche Heidelberg-Eppelheim im Besonderen sprechen. Erwarten Sie jetzt bitte nichts Neues. Alles ist schon irgendwie bedacht und gesagt worden. Ich will nur Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Erwartungen auf das lenken, was mir wichtig zu sein scheint. Ich möchte das an drei Worten Jesu festmachen.
Das erste lautet: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20). Es steht im 18. Kapitel des Matthäusevangeliums, wo Jesus Grundsätzliches über die Kirche sagt, zum Beispiel wer der Größte im Himmelreich ist. Dann geht es um den Umgang mit Verfehlungen. Am Ende fasst Jesus das Gesagte in ein Prinzip zusammen, das für das kirchliche Leben von entscheidender Bedeutung ist. Wo Reich Gottes schon in dieser Zeit erfahrbar werden soll, geschieht das in der Form der Gemeinschaft. Das kontemplative Element in der Kirche ist wichtig. Aber wo die Versenkung zur Abschottung und zum Selbstzweck wird, kann sie sich nicht auf die Bibel berufen.
„Ich träume von einer Stadtkirche Heidelberg, in der Gemeinschaft konkret erfahren wird.“
Ich träume von einer Stadtkirche Heidelberg-Eppelheim, in der Gemeinschaft konkret erfahren wird. Dazu wird der Raum der Seelsorgeeinheit zu groß sein. Auch die Pfarrei hat das unter den heutigen Lebensbedingungen nicht mehr geschafft, wenn wir ehrlich sind. Was wir brauchen, sind überschaubarere Gemeinschaften, Menschen, die sich als einzelne oder Familien zusammenfinden, um miteinander zu beten, die im Gespräch den Glauben teilen und zu vertiefen, die sich gegenseitig im Alltag unterstützen und miteinander Feste feiern.
Ich träume von einem Netz solcher kleinen Gemeinschaften, das die ganze Stadt durchzieht und verlebendigt. Meine Erfahrung im klösterlichen Leben sagt mir allerdings, dass das nicht einfach ist. Wenn Sie wüssten, wie schwer wir im Kloster uns tun, unseren Glauben miteinander zu teilen.
Wir versuchen das beispielsweise im wöchentlichen Schriftgespräch, aber einfach ist das nicht. Die Augenblicke, wo wir wirklich etwas von unserer persönlichen Erfahrung preisgeben, sind selten. Wir bleiben lieber auf der objektiven Ebene, wo man sich sicherer fühlt. So ist uns das früher auch beigebracht worden. Je enger man zusammenlebt, desto schwieriger wird es, sich zu öffnen. Wir Mönche lernen mühsam, dass es ohne dieses Vertrauen und ohne dieses Teilen nicht geht.
„Jesus weist den Weg des Loslassens und der Hingabe“
Ein zweites Jesuswort: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“ (Mk 8,35). Es steht im Markusevangelium im Zusammenhang mit der Ankündigung Jesu, dass er von den Hohepriestern und Schriftgelehrten verworfen und getötet werden wird. Petrus kann das nicht verstehen und erhebt Einspruch. Dieser Einspruch ist bis heute nicht verstummt.
Das Paradox Jesu ist ein Protest gegen unsere vernünftige Alltagslogik. Die hat es eher mit dem „Rette sich, wer kann!“ Jesus weist den Weg des Loslassens und der Hingabe. Jemand hat einmal gesagt: „Nur was ich losgelassen habe, kann ich besitzen.“ Das ist ein Satz, der mich immer dann einholt, wenn Angst oder Habgier an mir zerren.
Ich träume von einer Stadtkirche, in der wir die Sorgen um uns selbst oder unser unmittelbares Umfeld loslassen. Sorgen machen unfrei und engen unseren Horizont ein. Wer sie loslässt, wird frei für die Sorge in der Einzahl. Zum Beispiel für die Sorge um die einsamen und benachteiligten Menschen in seinem Umfeld, um die Arbeitslosen und die Ausgegrenzten, um die Kranken und die Sterbenden.
Die erste Frage sollte nicht lauten: „Was bringt mir das?“ Sondern: „Wo werde ich gebraucht?“
Machen wir uns nichts vor: Das Netz unserer sozialen Absicherung wird größere Maschen bekommen und nicht mehr alle erfassen, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Hier werden wir Christen immer größere Möglichkeiten bekommen, unseren Glauben in ein gelebtes Miteinander umzusetzen, wenn es etwa um die Unterstützung kinderreicher Familien geht oder um die Hilfe bei der Pflege eines schwer behinderten oder dementen Menschen. Allzu oft sind die Angehörigen mit ihrer Aufgabe überfordert und allein gelassen.
Ich träume aber auch von einer Stadtkirche, in der die Katholiken von Ziegelhausen sich fragen, wie die in Eppelheim zurechtkommen; wo immer das Ganze im Blick ist und Verantwortung mit getragen wird; wo nicht die erste Frage lautet: „Was bringt mir das?“ Sondern: „Wo werde ich gebraucht?“. Ich träume von Partnerschaften und Patenschaften, die den engen Heidelberger Raum sprengen und die Not in anderen Ländern und Erdteilen zu ihrer eigenen machen.
Dazu gehört heute der Mut, öffentlich gegen Unrecht und Unterdrückung aufzutreten, aber auch gegen undifferenzierte Vorurteile wie zum Beispiel gegenüber „den“ Moslems, „den“ Gewerkschaften oder „den“ Bischöfen. Das haben wir Christen nicht nötig, und es hat auch nichts mit dem Evangelium zu tun.
Die Sicherheit preisgeben und uns auf unerhörten Boden begeben. Können wir das?
Und nun noch ein drittes Jesuswort. Es ist tatsächlich nur ein einziges Wort und lautet: „Komm!“ (Mt 14,29) Es richtet sich während einer stürmischen Überfahrt auf dem See Genezareth an Petrus. Jesus geht über das Wasser auf die Jünger zu, die ängstlich und hilflos in ihrem Boot sitzen. Petrus kann es nicht erwarten, seinem Herrn zu begegnen, und bittet: „Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“ (Mt 14,28) Das ist schon ein ziemliches Vertrauen. Jesus honoriert es mit seiner Einladung: „Komm!“
Aber dann überkommt den Petrus die Angst. Er wendet den Blick von Jesus ab und auf einmal merkt er, wo er sich befindet. Er sieht auf die Wellen und spürt den Wind in seinen Haaren. Da verlässt ihn der Mut. Das Vertrauen in den, der ihn gerufen hat, verdunstet, und er beginnt zu sinken.
Die Kirche wird oft mit einem Boot verglichen. Das ist in sich schon ein ziemlich dynamisches Bild. Und nun wird der, den Jesus zwei Kapitel später als Fels bezeichnet, auf den er seine Kirche gründen will, aufgefordert, das Boot zu verlassen, selbst diese angefochtene Sicherheit preiszugeben und sich auf den ungesicherten und unerhörten Boden des Wassers zu begeben.
„Wie schwer fällt es uns, uns den neuen Herausforderungen zu stellen.“
Aber wie schwer fällt es uns, aus dem Boot bisheriger Vorstellungen und Ansprüche auszusteigen und uns der neuen Herausforderung zu stellen.
Ich träume von einer Stadtkirche, in der wir bereit sind, alte Vorstellungen von der Kirche und ihrer Aufgabe loszulassen, auch wenn wir keine andere Garantie für den weiteren Weg haben als den Ruf Jesu. Wir spüren den Wandel in der Gesellschaft. Wir erleben, wie Vielen die Kirche in ihrer heutigen Erscheinungsform nichts mehr bedeutet. Wir wissen auch, dass die Kirche für die Menschen da zu sein hat und nicht umgekehrt die Menschen für die Kirche.
Dabei dürfen wir durchaus auf Beispiele aus der Vergangenheit schauen und uns von ihnen ermutigen lassen. Wie gut hat es der Kirche und ihrem Auftrag Anfang des 19. Jahrhunderts getan, dass ihre weltliche Macht weitgehend beschnitten wurde. Einige Jahrzehnte später ging der Kirchenstaat in seiner alten Form verloren. Damals galt das als eine Katastrophe. Heute können wir es nur als Gewinn betrachten.
„Wir werden in mehr als einer Hinsicht eine arme Kirche sein. Das wird uns gut tun.“
Seit über zweihundert Jahren erleben wir in unserer Gesellschaft die sogenannte Säkularisierung und klagen oft darüber. Dabei hat es der Kirche immer zu wichtigen Schritten verholfen, wenn sie weltliche Macht eingebüßt hat.
Wir werden in mehr als einer Hinsicht eine arme Kirche sein; aber das wird uns gut tun, wie es schon den ersten Christen gut getan hat, dass sie aus Jerusalem vertrieben wurden und in alle Welt ausschwärmen mussten. Die Trennung von Staat und Kirche wird fortschreiten. Privilegien, die wir heute noch genießen, werden nicht mehr selbstverständlich sein. Das wird nicht bequem sein, auch für uns Mönche von Stift Neuburg nicht; aber es wird uns nicht schaden.
Bei allen Fragezeichen und Abschiedsschmerzen: Ich bin neugierig auf das, was auf uns zukommt. Wenn wir dem Ruf Jesu folgen und den Aufbruch aus volkskirchlichen Absicherungen wagen, werden wir erfahren, dass das Wasser trägt; dass eine neue Gestalt und Sendung von Kirche auf uns zukommt – auch in Heidelberg und Eppelheim. Dazu möge uns der Heilige Geist mit der nötigen Neugier, dem nötigen Vertrauen und der nötigen Phantasie ausrüsten. Amen.“
[…] Heiligen Geistes wehte über die Dächer Heidelbergs, meinte Diana Deutsch und veröffentlichte die Predigt von Abt Franziskus Heereman auf der Religionsseite der Rhein-Neckar-Zeitung. „Die Kirche steht in Heidelberg vor einem […]
Anfrage:Koennte ich die Mailadresse von Abt Heeremann bekommen. Wäre es möglich und wichtig für mich. DANKE.