Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er vor knapp vier Wochen in der Heidelberger Heiliggeistkirche. Altbischof Ulrich Fischer war gekommen, um am Festgottesdienst zum 50. Todestag von Hermann Maas teilzunehmen.
„Maas ist immer mein Vorbild gewesen“, erzählte Fischer. Der Altbischof saß im Rollstuhl, aber er sah gut aus, war vollkommen orientiert und – man traut es sich kaum zu sagen – Fischer strahlte. Am liebsten, das war offensichtlich, hätte er all die vielen Menschen umarmt, die kamen, ihn zu begrüßen.
Ja, sagte Fischer als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, er habe einen Hirntumor. Unheilbar. „Ich bin austherapiert, aber voll Hoffnung auf das, was kommt.“ Am Abend des 21. Oktober 2020 ist Dr. Ulrich Fischer gestorben. Er wurde 71 Jahre alt.
Ulrich Fischer konnte aus dem Stehgreif flüssig und druckreif formulieren.
16 Jahre lang, von 1998 bis 2014, stand Ulrich Fischer an der Spitze der Badischen Landeskirche. Er war Mitglied im Rat der EKD, saß dem Präsidium der Union Evangelischer Kirchen vor und fungierte als „EKD-Medienbischof“. Tatsächlich verfügte Fischer über die Gabe, aus dem Stehgreif flüssig und druckreif zu antworten. Er erzählte gern – auch Privates -, lachte gern, fand aber auch sehr deutliche Worte, wenn es galt, einen Misstand anzuprangern.
„In all meinen Arbeitszimmer haben stets zwei Bilder von Hermann Maas gehangen“, berichtete Fischer beim Treffen in der Heiliggeistkirche. Die Fotos sollten ihn daran erinnern, dass Zivilcourage für jeden Christen Pflicht ist. „Deshalb wurde auch das Gemeindehaus in Heidelberg-Kirchheim, wo ich Pfarrer war, nach Hermann Maas benannt.“
Zurück nach Norddeutschland hat es ihn nie gezogen. Er schätzte das milde Klima und die Liberalität in Baden.
Am 11. Februar 1949 wurde Ulrich Fischer in Lüneburg geboren. Er hat in Göttingen und Heidelberg Theologie studiert und hier auch promoviert. In Sandhausen stand er als Lehrvikar erstmals auf der Kanzel. Unvergessen sind die zehn Jahre von 1979 bis 1989, in denen Ulrich Fischer als Pfarrer in Heidelberg-Kirchheim wirkte. Es war eine lebendige und durchaus auch politische Zeit. Mit nächtelangen Debatten. Über Krieg und Frieden, über die gerechte Verteilung der Güter in der Welt, über den Schutz der Umwelt und die Verantwortung, die Gott den Menschen für die Erde gegeben hat.
1989 wurde Ulrich Fischer badischer Landesjugendpfarrer. Zurück nach Norddeutschland habe es ihn nie gezogen, verriet er einmal in einem Interview. Dazu schätze er das milde Klima und die Liberalität in Baden viel zu sehr.
„In Baden gehen die ökumenischen Uhren anders.“
Womit wir bei der Ökumene wären. In Baden gibt es etwa genauso viele Protestanten wie Katholiken. Das ist einzigartig in Deutschland. Als Landesbischof hat Ulrich Fischer diese selbstverständliche Ökumene sehr genossen. Zumal als sein katholisches Gegenüber der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, auch noch zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt wurde. Sie waren ein sehr ungleiches Paar, der eher ruhige, verhaltene Erzbischof und der umtriebige, eloquente Landesbischof. Aber sie haben sich gut verstanden und vortrefflich ergänzt.
„Wenn ich fand, dass Ulrich Fischer etwas zu viel im Bild war, habe das Weihwasser holen lassen und alle gesegnet“, soll Robert Zollitsch einmal in einer stillen Stunde erzählt haben. Sofort seien die Kameras wieder auf ihn gerichtet gewesen. Ulrich Fischer konnte sich über solche Aktionen köstlich amüsieren. „In Baden gehen die ökumenischen Uhren eben anders.“
Fischers große Stärke sei der direkte Draht zu den Menschen, Jungen wie Alten, Zweifelnden wie Glaubenden, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann als er Ulrich Fischer in seinen Beirat für nachhaltige Entwicklung berief. Zuvor hatte Fischer schon in der Ethik-Kommission der Bundesregierung zur sicheren Energieversorgung mitgewirkt. „Wir Menschen in den reichen Industriestaaten müssen einen neuen Lebensstil entwickeln, der unseren Enkeln die gleichen Chancen lässt, wie wir sie haben“, wurde Fischer nicht müde zu mahnen.
Fischer hat es stets als „Privileg“ bezeichnet, Bischof zu sein.
1996 die Wahl zum Dekan von Mannheim. Eine völlig neue Welt. Arbeitslosigkeit, Migration, Islam und ein hochverschuldeter Kirchenbezirk. „Ich habe diese Stadt nicht auf den ersten Blick geliebt“, gestand Fischer. Aber er habe den „Charme des Verschiedenen“ schätzen gelernt.
Umso erstaunter war Ulrich Fischer, als nach nur zwei Jahren in Mannheim gefragt wurde, ob er nicht für das Amt des Landesbischofs kandidieren wolle. Fischer war zunächst nicht begeistert. „Es war ein langer Abend“, verriet die Margit Fleckenstein, die damalige Synodalpräsidentin, später. „Und das Ehepaar Fischer trank nur Wasser, weil wir uns in der Passionszeit befanden.“ So war Ulrich Fischer. Er hat es später stets als „Privileg“ bezeichnet, Bischof zu sein.
Im Ruhestand wollte der Altbischof endlich Traktorfahren lernen. Das hat er noch geschafft.
Brigitte und Ulrich Fischer lebten mit einer ihrer drei Töchter und drei von fünf Enkeln auf einem Reiterhof am Rand von Neulußheim. Die Tochter bietet dort therapeutisches Reiten an. Es ist ein ökologisch angelegtes, schön und dicht bewachsener Paradies.
Der innerste Kern des Herzens von Ulrich Fischer jedoch schlug zeitlebens für die Posaunenchöre. Er, der selbst leidenschaftlich gern blies, war Vorsitzender des Dachverbandes evangelischer Blechbläser. Die einzige Funktion, die er beibehalten hat, als er 2014 in den Ruhestand ging. Fischer hat sich gefreut auf seine Jahre als Pensionär. Schließlich wusste er eine große Familie um sich.
Als man Ulrich Fischer in seinem letzten Interview als Bischof fragte, welche Ziele er noch verfolge, lautete die Antwort: „Ich möchte richtig Traktorfahren lernen.“ Das hat er geschafft. „Es ist gar nicht so schwer, wie ich gedacht habe“, berichtete Fischer in der Heiliggeistkirche mit seinem großen Lächeln. „Jeder sollte es mal probieren.“