Die rechten Hände Gottes

Ignatius von Loyola und Franz Xaver sind die Patrone der Mannheimer Jesuitenkirche.

Sie waren fromm und eloquent, unbequem und rebellisch. Sie haben Unrecht angeprangert, Wunder vollbracht, sich um Arme, Kranke und Rechtlose gekümmert. Doch weil so viel Mut jeder Obrigkeit suspekt ist, wurden viele der katholischen Heiligen erschlagen, erhängt oder bei lebendigem Leib verbrannt.

Heilige sind für mich Menschen, die in besonderer Weise Jesus nachgefolgt sind und das Evangelium in ihrem Leben durchscheinen ließen“, definiert Karl Jung, der katholische Dekan von Mannheim. Seit zwanzig Jahren ist er Hausherr an der dortigen Jesuitenkirche. Mit ihrem  federleichten, strahlenden Barock ist sie der ideale Ort für einen Heiligen-Spaziergang.

Die Jesuitenkirche war das letzte Bauvorhaben des Kurfürsten. Die Krönung seiner Residenz.

Es hat eine Zeit gegeben, da war Mannheim eine der schönsten Städte der Welt. Kurfürst Karl Theodor residierte im größten Schloss Deutschlands. Man behauptet, es habe sogar ein Fenster mehr besessen als Versailles, das exakt 2000 zählt. Die Bälle im Mannheimer Schloss waren legendär. Das Orchester auch.

Ihr federleichter Barock eignet sich perfekt für einen Heiligenspaziergang.

Der Hof gab weltweit den Ton an in Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Voltaire war Stammgast. Mozart wäre für sein Leben gern hier fest engagiert worden, aber man hat ihn nicht genommen.

Die Jesuitenkirche war Karl Theodors letztes Bauvorhaben am Rhein. Die „Basilica Carolina“ sollte die Krönung seiner Residenz sein. Mit einer 75 Meter hohen Kuppel, einer Schaufassade aus rotem Sandstein und zwei Türmen. Für das phantastische Deckenfresko wurden die Münchner Malerstars Cosmas Damian und Egid Quirin Asam nach Mannheim importiert. Sie komponierten die Lebensgeschichten von Ignatius von Loyola und Franz Xaver in einen „offenen“ Himmel hinein. Die beiden Jesuiten-Heiligen sind die Patrone der Basilika. 

„Ignatius von Loyola und Franz Xaver sind die Heiligen des Jesuitenordens, dem auch Papst Franziskus angehört.“

Doch das Deckenfresko stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Egid Quirin Asam, 58 Jahre alt, stürzte beim Malen vom Gerüst. Er war sofort tot. Niemand weiß, wo er begraben liegt. Die Jesuitenkirche selbst, 1760 geweiht, lebte nur knapp 200 Jahre. Dann legten die Bomben des Zweiten Weltkriegs sie in Schutt und Asche. Die meisten ihrer barocken Kunstwerke haben im Bunker überlebt. Das Deckenfresko jedoch starb am 6. September 1943.

Die Jesuitenkirche wurde nach dem Zweiten Weltkrieg originalgetreu wieder aufgebaut.

„Ignatius von Loyola und Franz Xaver sind die beiden wichtigsten Heiligen des Jesuitenordens, dem ja auch Papst Franziskus angehört“, erklärt  Dekan Karl Jung. Die Patres waren unzertrennlich, seit sie sich beim Studium in Paris kennengelernt hatten. Bis Franz Xaver 1541 vom Papst den Auftrag erhielt, als Missionar nach Goa zu reisen.

Er war dort sehr erfolgreich. Noch heute knüpfen christliche Missionare an die Erfahrungen des Franz Xaver an. „Und über sein Grab wacht eine phantastische Wallfahrtsbasilika“, berichtet Dekan Karl Jung, der selbst einmal nach Goa gereist ist, um dem Ex-Mannheimer seine Ehre zu erweisen. Ignatius von Loyola und Franz Xaver haben sich nie wiedergesehen. Auf dem Hochaltar der Jesuitenkirche sieht man, wie Ignatius den Freund für die Reise segnet. 

Ein neues katholisches Projekt in Trier will die Geschichten der Heiligen für moderne Menschen neu erzählen.

Dekan Karl Jung sorgt seit zwanzig Jahren für die Seelen der Katholiken in Mannheim.

Hannah Gniot ist die katholische Dekanatsreferentin von Heidelberg und Weinheim.  Sie habe sich immer schwer getan mit den Heiligen, gesteht die 35-Jährige Theologin. „Weil mir die Perfektion, die den Heiligen nachgesagt wird, suspekt war.“ Doch dann entdeckte Gniot durch Zufall ein neues, frisches und freches Theologie-Projekt aus Trier. Ein junges Team um einen katholischen Theologen hat es sich dort zur Aufgabe gemacht, die Lebensgeschichten der Heiligen so zu erzählen, dass sie auch den Menschen des 21. Jahrhunderts noch etwas sagen.

„Es war nicht immer einfach“, lautet der Titel der Buch- und Podcast-Reihe. Beim Lesen dieser Miniaturen, sagt Hannah Gniot, sei ihr klar geworden, dass die Heiligen ja gar nicht so perfekt waren, wie sie immer gedacht hat. „Alle haben Fehler gemacht. Und alle haben immer wieder an ihrer Mission gezweifelt.“ 

Hannah Gniot ist die Dekanatsreferentin von Heidelberg und Weinheim.

Ignatius von Loyola beispielsweise war als junger Mann Soldat und ein ziemlich arroganter Draufgänger. Bis eine Kugel sein Bein zertrümmerte und ihn für lange Zeit ans Bett fesselte. „Nur noch das Lesen blieb mir“, erzählt er in dem fiktiven Selbstporträt der Trierer Buchreihe. „Obwohl ich es nicht so mit Religion hatte, faszinierten mich die Heiligengeschichten. Ich beschloss, dass der geistliche Weg etwas für mich sein könnte.“ Dekanatsreferentin Hannah Gniot glaubt mittlerweile, dass es den meisten Heiligen gar nicht bewusst war, welche vorbildliches Leben sie geführt haben. „Sie haben sich zwar immer an Gott orientiert, aber Angst vor dem Scheitern hatten sie trotzdem.“ 

Momentan liegt der Focus von Papst Franziskus eher auf Heiligen, die nicht aus Europa stammen.

Auf dem Hochaltar der Mannheimer Jesuitenkirche stehen Ignatius von Loyola und Franz Xaver in einem von funkelndem Gold, umrahmt und umflattert von zahllosen Putten, Allegorien und Engeln. Doch Vorsicht: So barock der Hochaltar auch wirken mag, er ist ein Werk der Moderne. 1997 geweiht. Denn auch vom Chorraum haben die Bomben des Weltkriegs nichts übrig gelassen. Lediglich vergilbte Fotografien existieren noch vom Original-Altar. Sie dienten als Vorlage für eine „Nachschöpfung“. 

Der Jesuitenpater Alfred Delp wurde von den Nationalsozialisten ermordet.

Einen schönen Kontrast zu dem vielen Gold bildet der hauchzarte Zelebrationsaltar, der ein wenig schüchtern vor dem Hochaltar steht. 748 silberne Rosen blühen auf ihm. Sie wurzeln in vier Medaillons, die an Menschen erinnern, die wie Heilige gelebt haben, aber nicht alle „kanonisiert“ sind. Der Mannheimer Jesuitenpater Alfred Delp beispielsweise gehörte im „Dritten Reich“ zum Widerstandskreis gegen den Nationalsozialismus. Delp wurde verhaftet und zum Tode verurteilt. In seinen letzten Lebenswochen schrieb der Jesuit im Gefängnis mit gefesselten Händen seine Vision einer christlichen Gesellschaft nieder. Es sind ergreifende Worte.

„Bis der Vatikan einen Menschen offiziell als Seligen oder Heiligen anerkennt, können Jahrhunderte vergehen“, weiß Dekan Karl Jung. Er beobachtet, dass der Focus des Papstes derzeit eher auf Heiligen liegt, die nicht aus Europa stammen. „Da besteht ein großer Nachholbedarf.“ Aber, sagt Jung, um dem Beispiel eines inspirierenden Menschen zu folgen, bedürfe es einer offiziellen Heiligsprechung ja gar nicht. „Ich persönlich habe viele Vorbilder im Glauben, die sicher nie heilig gesprochen werden.“

Der Heilige Antonius hilft Menschen, Verlorenes wiederzufinden. Das gilt für Schlüssel wie für Freund und Ideen.

Bruder Konrad vom Kloster Altötting ist einer der populärsten Heiligen.

Dekanatsreferentin Hannah Gniot in Heidelberg hält derzeit verstärkt Ausschau nach weiblichen Heiligen. „Ich möchte herausfinden, auf welche Weise sie gelebt und wie sie das Evangelium verkündet haben.“ Mut haben sie alle gebraucht, das konnte Hannah Gniot bereits festgestellt. Aber auch Selbstbewusstsein und eine ordentliche Portion Frustrationstoleranz. „Am wichtigsten jedoch“, sagt Gniot, „war bei allen eine starke Gottesbeziehung. Und ein Vertrauen darauf, dass Gott am Ende immer den richtigen Weg für sie finden wird.“ 

In der Jesuitenkirche haben wir inzwischen das nördliche Seitenschiff erreicht. Wir begrüßen kurz den Heiligen Josef. Den Ziehvater Jesu kennt jeder. Auch der Heilige Antonius braucht nicht vorgestellt zu werden. Zu seinen Lebzeiten war der Franziskaner-Pater ein mitreißender Prediger; jetzt im Himmel hilft den Menschen, Verlorenes wiederzufinden. „Das gilt für Schlüssel wie für Freunde und Ideen“ (Jung).

Vom heiligen Bruder Konrad hingegen weiß man vorwiegend in Bayern. Der Kapuziner-Pater war Pförtner im Kloster von Altötting. Und er besaß die Fähigkeit, die Herzen all jener zu erleichtert, die große Sorgen mit sich herumtrugen. Das soll auch heute noch funktionieren. „Sein Beispiel zeigt, dass Heiligkeit nichts mit Leistung zu tun hat“, sagt  Karl Jung. „Freundlichkeit genügt.“ 

In früheren Jahrhunderten wurden die Heiligen verehrt wie heute die Stars.

Bischof Karl Borromäus von Mailand war der Namensheilige von Kurfürst Karl Theodor.

Besonders lange leben muss man auch nicht, um ein Heiliger zu werden. Stanislaus Kostka zum Beispiel ist mit 15 Jahren in den Jesuitenorden eingetreten, und mit 18 gestorben. 1568. „Man weiß aus Berichten, dass er damals schon im Ruf großer Heiligkeit stand“, berichtet der Dekan. Heute wacht Pater Stanislaus gleich vorne am ersten Pfeiler der Jesuitenkirche  über das Wohl aller Schüler.

Was ganz praktisch ist, denn seit 1760 gehört zur Jesuitenkirche ein Gymnasium. Heute wird es vom Orden der Ursulinen geführt, früher lehrten die Jesuiten. „Jeder Schulalltag begann damals mit einer Heiligen Messe“, erzählt Jung. Die Teilnahme war Pflicht und der heilige Stanislaus der Star der jungen Leute. Weil er ebenso radikal wie romantisch gelebt hat. Ihm gegenüber wacht der heilige Aloysius Gonzaga über die Studierenden an der nahen Uni.

Als 1576 in Mailand die Pest ausbracht, drängte man Bischof Karl Borromäus zu Flucht. Doch er blieb, kümmerte sich und starb.

Die mittleren Pfeiler des Mittelgangs, also das Zentrum der Kirche, waren im Barock natürlich dem Landesherrn und seiner Gattin vorbehalten. Karl Theodors Namensheiliger war Carlo Borromeo, der Erzbischof von Mailand. Er hat das Konzil von Trient einberufen und durchgesetzt, dass jeder Bischof nur noch ein Bistum leiten durfte. Was herbe Einkommensverlust nach sich zog.

Elisabeth von Thüringen wachte über Kurfürstin Elisabeth Auguste.

Als 1576 in Mailand die Pest ausbrach drängte man Karl  Borromäus die Stadt zu verlassen. Doch der Bischof sah seine Aufgabe darin, sich um die  die Kranken und Sterbenden zu kümmern. So wurde er schließlich selbst Opfer der Seuche. 

„Die Namenspatronin der Kurfürstin Elisabeth Auguste war die heilige Elisabeth von Thüringen“, berichtet Karl Jung. „Sie ist heute die Schutzheilige der Caritas, weil sie nahezu ihren ganzen Besitz den Armen gegeben hat.“ Die Bildnisse der beiden Elisabethen in der Jesuitenkirche ähneln sich verblüffend. Zufall?

Was heute die Serien im Stream sind, waren früher die Lebensgeschichten der Heiligen.

„Wir Menschen leben ja von Geschichten“, sagt Dekanatsreferentin Hannah Gniot in ihrem Büro im ehemaligen Pfarrhaus von Heidelberg-Wieblingen. „Wir hören sie gerne, wir sehen sie gerne, wir identifizieren uns gerne mit den handelnden Figuren.“ Was für uns heute die Serien im Stream, waren für frühere Jahrhunderte Lebensgeschichten der Heiligen. Spannung und Crime gibt es hier wie dort mehr als genug. Und doch existiert ein großer Unterschied, überlegt Hannah Gniot: „Die heutigen Serien kreisen alle um Selbstoptimierung und Gewinnmaximierung. Den Heiligen hingegen ging es darum, den Menschen das Ewige Leben in Fülle zu ermöglichen, das Jesus versprochen hat.“ 

Judas Thaddäus hilft allen, die keine Hoffnung mehr haben.

Armut, Askese und Leid waren dafür definitiv nicht zwingend erforderlich, beobachtet Hannah Gniot. Im Gegenteil. „Es gab auch Heilige, die zu Lebzeiten sehr einflussreich waren“. Hildegard von Bingen zum Beispiel stand im engsten Kontakt zu Königen und Fürsten. „Sie war ein selbstbewusste, erfolgreiche Frau, die auch heute spielend ihren Weg gegangen wäre.“ Aber so viel Perfektion, erwartet Gott gar nicht, glaubt die Dekanatsreferentin. „Er schreibt seine Geschichte genauso erfolgreich mit uns Nichtperfekten.“

Und wenn man gar nicht mehr weiter weiß, bleibt immer noch Judas Thaddäus.

Der Mannheimer Dekan Karl Jung ist inzwischen beim Heiligen Judas Thaddäus angelangt. Hier brennen immer die meisten Kerzen, sagt Jung. Weil der Heilige zuständig ist für die aussichtslosen Fälle. „Wenn ich gar nicht mehr weiß, was ich noch tun soll, wenn ich gar keine Hoffnung mehr habe, dann bleibt noch der Heilige Judas Thaddäus.“

Der Überlieferung nach war er der Sohn einer Cousine von Maria, also ein Cousin zweiten oder dritten Grades von Jesus. Man hat Judas Thaddäus völlig unspektakulär mit einem Knüppel erschlagen und seinen Leichnam verscharrt. Seitdem gilt er als Schutzpatron der Hoffnungslosen.

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