Zwei oder drei Hochzeiten hatte Pater Norbert Bosslet jeden Samstag – zumindest im Sommerhalbjahr. Wie viele Trauungen es insgesamt waren, zählt niemand mehr. Tausend? Zweitausend? Und die Kinder „seiner“ Paare hat er auch alle getauft.
Pater Norbert war sein Leben lang Religionslehrer und hat ein Standardwerk über die Heidelberger Klöster verfasst. Jetzt ist der populäre Benediktinermönch der Abtei Neuburg nach langer Krankheit gestorben. Er wurde 89 Jahre alt.
Eine Jugend im Krieg: Heimlich schlich man zum Religionsunterricht
Ludwigshafen in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Die Stadt lag in Trümmern, als die Geschwister Bosslet die ausgebombte Wohnung ihrer Großeltern nach Dingen durchsuchten, die heil geblieben waren. Viel fanden die Kinder nicht. Schon im Gehen entdeckte der Gymnasiast Bernhard im Staub ein Buch: „Die betende Kirche.“ Ein liturgisches Volksbuch. Herausgegeben von der Abtei Maria Laach.
„Ich musste dieses Buch einfach mitnehmen“, erinnerte sich Pater Norbert vor einigen Jahren im Gespräch. „Ich konnte es nicht mehr aus der Hand lassen.“ War das seine Berufung? Der Benediktinermönch lächelte. „Damals dachte ich: Das ist jetzt mein Hobby.“
Sieben Kinder hatte die Familie des Speyrer Bauamtleiters Bosslet. Bernhard war das jüngste. Der Vater wurde, weil „kriegswichtig“, zwar von der Front verschont, stand aber unter dauernder Beobachtung der „Partei“. Besonderes Augenmerk legten die Nazi-Spitzel auf den Glauben. Die Bosslets waren gut katholisch. Man besuchte sonntags die Messe, selbst dann noch, als der Kirchgang schon zum Spießrutenlauf geworden war.
Die geheimnisvolle Faszination der Liturgie
Als die Diktatur den Religionsunterricht schließlich verbot, schlichen die Schüler nachmittags heimlich in die Wohnung ihres ehemaligen Lehrers. Dunkle Zeiten. Ein Bruder von Pater Norbert fiel in fast noch jugendlichem Alter. Eine Schwester wurde von einem amerikanischen Auto überfahren.
Nach Kriegsende avancierte Pater Norberts Religionslehrer zum Sekretär des Bischofs. Der 17-jährige Bernhard ministrierte nun bei den Pontifikalämtern im Kaiserdom. Weihrauch, gregorianische Gesänge, der klassische lateinische Ritus – eine geheimnisvolle Melange. Pater Norbert: „Bei den Bischofsgottesdiensten wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, welche Faszination die Liturgie auf mich ausübt.“
„Von Neuburg ging eine mitreißende Aufbruchstimmung aus“
1949 schrieb sich Bernhard Bosslet für Philosophie ein. In München. Dort traf er auf Romano Guardini, einen der geistsprühendsten Religionsphilosophen des 20. Jahrhundert. Zwei Jahre später wechselte Bosslet ans Priesterseminar nach Mainz. 1952 trat er in die Heidelberger Abtei Neuburg ein. 1956 wurde der Benediktinermönch Norbert Bosslet, wie er jetzt hieß, zum Priester geweiht. In der kleinen Neuburger Klosterkirche
„Von Neuburg ging Anfang der Sechziger Jahre eine mitreißende Aufbruchstimmung aus. Da wollte ich einfach dabei sein“, erzählte Pater Norbert später im Gespräch. Dreißig Benediktiner, alle im besten Mannesalter, ließen nicht nur die verwaiste Abtei wieder erstehen. Sie schufen eine neue Gemeinschaft, die – klein aber fein – in Ordenskreisen schnell von sich Reden machte. „Wir waren uns damals ganz sicher, dass wir bald Schritt halten können mit den berühmtesten Klöstern.“
Eine Gemeinschaft muss nicht groß sein. Sie muss harmonieren.
Dass es anders kam, hat den stets liebenswürdigen und geduldigen Pater Norbert wenig beunruhigt. Er war gern Mönch. Und er war gern für die Menschen da. Als Beichtvater, als Traupater und als Lehrer. Erst unterrichtete Pater Norbert an der Grundschule in Ziegelhausen, später jahrzehntelang an verschiedenen Heidelberger Gymnasien. „Die Jugendlichen in den Glauben einzuweisen, hat mir sehr viel Freude gemacht“, strahlte Pater Norbert. Zu einigen Schülern stand er bis ins hohe Alter hinein in Kontakt.
Pater Norberts ganz große Liebe jedoch gehörte dem Archiv der Abtei Neuburg, das er jahrzehntelang akribisch verwaltete. Ohne Computer oder Scanner. „Heilige Mauern“, heißt sein wunderbares, federleichtes Standardwerk über die Klöster und Stifte Heidelbergs durch die Jahrhunderte. Es ist an der Abteipforte erhältlich ist. Man sollte es gelesen haben.
An seinem 80. Geburtstag wurde Pater Norbert gefragt, ob er denn noch unerfüllte Wünsche habe. Die Antwort kam ohne Zögern: „Dass Leben und Gottesdienst mehr übereinstimmen.“
Und wie wäre es mit ein wenig mehr Zulauf zur Gemeinschaft? Der Benediktinerpater wiegte den Kopf. Er mochte nicht einstimmen in das allgegenwärtige Lamento über fehlenden Nachwuchs. Eine Gemeinschaft, sagte Pater Norbert, muss nicht groß sein. Sie muss harmonieren. „Dann ist es schön im Kloster.“