Das Geheimnis der Geduld

Fastenkreuz in der Heidelberger Jesuitenkirche

Im Büro des Heidelberger Diakoniepfarrers Florian Barth hängt ein schmales, mannshohes Brett aus Holz. Darauf hauchzarte Worte aus Briefen von Rilke. „Über die Geduld:/ Man muss den Dingen/ die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen,/ die tief von innen kommt/ und durch nichts gedrängt/ oder beschleunigt werden kann…“

Manchmal, wenn jemand kommt, der nicht mehr weiter weiß mit seinem Leben, lässt Pfarrer Barth ihn eine Weile allein mit den Versen. Das wirkt Wunder, sagt Florian Barth. Die Menschen atmen ruhiger, werden ansprechbar, schöpfen Hoffnung. So mächtig ist die Geduld.

Das lässt sich sogar wissenschaftlich beweisen. Derzeit sorgen psychologische Langzeitstudien für Furore, die zeigen, dass es geduldige Kinder im Leben weiter bringen als talentierte. Viel weiter. Nur weil sie Durststrecken aushalten und auf den richtigen Augenblick warten können. Das ist in natürlich eine Frage des Naturells, Geduld kann man aber auch üben. Ein gutes Projekt für die letzten Tage der Fastenzeit. Und für danach.

Einfach nur gelassen in den Tag hinein leben, reicht nicht

Geduld wirkt Wunder: Heidelbergs Diakoniepfarrer Florian Barth

Die Sache mit der Geduld ist kompliziert. Einfach nur gelassen in den Tag hineinzuleben, reicht nicht. „Geduld ist die Fähigkeit, Dinge zu initiieren und dann abzuwarten“, definiert das philosophische Lexikon. Bevor man also überhaupt beginnen kann mit dem Geduldhaben, muss man ein Ziel avisieren und einige Steine ins Rollen bringen. Was durchaus anspruchsvoll sein kann.

Abt Winfried Schwab beispielsweise vom Stift Neuburg in Heidelberg will aus seinem kleinen Konvent, dessen Durchschnittsalter bei 72 Jahren liegt, eine junge, moderne Abtei mit vielen Patres und Novizen machen. Vor genau einem Jahr wurde der 52-jährige Benediktiner zum fünften Abt von Neuburg geweiht. Bislang ist kein neuer Mönch in Sicht. Wie geht der Abt mit dieser Geduldsprobe um?

In den ersten Monaten seiner Amtszeit, erzählt Abt Winfried, sei er damit beschäftigt gewesen, das Profil von Kloster Neuburg zu schärfen. Zwei „Alleinstellungsmerkmale“ hat er identifiziert. „Wir sind eine Benediktinerabtei in einer Universitätsstadt. Bei uns können Mönche auf hohem Niveau wissenschaftlich forschen. Das gibt es sehr selten.“

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Abt Winfried Schwab will Stift Neuburg zum blühenden Kloster machen

Zum anderen soll Stift Neuburg schon bald zu einem Zentrum für moderne Kunst werden. Erfahrung mit der Avantgarde bringt Abt Winfried Schwab aus dem Österreichischen Kloster Admont mit, wo er das Museum für Gegenwartskunst aufgebaut und geleitet hat.

Man muss warten und beten.

Dieses neue Klosterkonzept gilt es jetzt geduldig zu kommunizieren. Vor allem an Hochschulen. „Mein Ziel ist es, im Herbst zwei Interessenten zu haben, die in unser Kloster eintreten wollen“, fomuliert der Neuburger Abt. „Ich bin sicher, sie werden kommen.“ Oder auch nicht. Beschleunigen kann Berufung niemand. Man muss warten und beten.

„Ich habe meinen Rosenkranz immer bei mir“, nickt Abt Winfried. „Meistens fließt das Gebet mir heraus.“ Wollen die Gedanken aber partout nicht zur Ruhe kommen, dann richtet der Abt seine Konzentration auf die Umgebung und versucht, diese mit vollem Bewusstsein wahrzunehmen.

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Das Heidelberger Kloster Neuburg: Seit 900 Jahren wird hier gebetet.

Was nicht nur Bäume und Sträucher meint sondern auch Lebensumstände. „Ich habe zwar noch keine Novizen, aber ich spüre, wie viel Unterstützung ich von verschiedenen Seiten erhalte.“

Schon will man den Block zuklappen, da kommt noch ein Satz. „Es gibt natürlich auch Augenblicke, in denen ich müde werde“, sagt Abt Winfried Schwab. Dann trete er hinaus vor die Tür und sauge die Atmosphäre ein. „Stift Neuburg ist ein durch und durch spiritueller Ort. Seit 900 Jahren wird hier gebetet. Ich bin fest überzeugt, dass dieses Kloster eine Zukunft hat.“

Die Entdeckung der Geduld

„… Reifen wie der Baum, / der seine Säfte nicht drängt / und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,/ ohne Angst,/ dass dahinter kein Sommer
 kommen könnte./ Er kommt doch!/ Aber er kommt nur zu den Geduldigen,/ die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,/ so sorglos, still und weit…“

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Gleich essen oder aufsparen? Das ist die Frage beim Marshmallow-Test.

Die wissenschaftliche Erforschung von Geduld begann mit Marshmallows. Das sind diese klebrigen Schaumzucker-Kugeln, die nur Amerikaner mögen. In den späten 1960er Jahren setzte der New Yorker Neuropsychologe Walter Mischel vier- bis sechsjährige Kinder in einen kargen Raum mit einem Tisch, auf dem ein Marshmallow lag. Der Forscher erklärte, dass er etwas erledigen müsse und in einer Viertelstunde zurückkehren werde. Liege der Marshmallow dann noch auf dem Tisch, würde das Kind noch eine zweite Zuckerkugel erhalten.

Das Ergebnis war verblüffend. Etwa die Hälfte der 500 Kinder aß die Süßigkeit. Alle anderen lenkten sich irgendwie ab. Die Kinder sangen, turnten, flochten sich Zöpfe, manche versuchten sogar zu schlafen. Als die Forscher die getesteten Kinder viele Jahre später noch einmal besuchten, staunten sie noch mehr. „Es ist geradezu verblüffend, wie sich geduldige Kinder als Erwachsene in vielen Aspekten von ungeduldigen unterscheiden. Das betrifft den Bildungsgrad, die finanzielle Situation und den gesundheitlichen Zustand“, schreibt Professor Matthias Sutter von der Universität Innsbruck in seinem Buch „Die Entdeckung der Geduld“.

„Der Mensch braucht Wüstenzeiten“

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Pastoralreferentin Monika Haas: „Geduld kann und muss man lernen.“

Monika Haas, katholische Klinikseelsorgerin in Bad Rappenau, hält Geduld nicht für ein angeborenes Schicksal, sondern für eine Lebenshaltung, für die man sich bewusst entscheidet. „Geduld“, sagt die Pastoralreferentin, „kann und muss man lernen.“

Lektion Eins: Man unterscheide zwischen aktiver und passiver Geduld. „Um ein Ziel zu erreichen, muss ich über längere Zeit hinweg geduldig etwas tun“, erklärt Monika Haas. Eine Sprache lernen, eine Freundschaft aufbauen, eine Sportart trainieren. Die aktive Seite der Geduld. Die passive Seite der Geduld meint das Aushaltenkönnen, wenn unsere Anstrengungen ins Leere laufen.

Womit wir bei Lektion 2 wären: Sich bewusst machen, dass es nicht Ereignisse oder Menschen sind, die unsere Geduld strapazieren. Es sind immer unsere eigenen Pläne und Wünsche. Ich will etwas, aber mein Plan scheitert. Wut, Ärger, Warum-gerade-ich. „Wer Geduld lernen will, muss bereit sein, die Kontrolle abzugeben“, definiert Klinikseelsorgerin Monika Haas. „Ich muss akzeptieren, dass nicht alles in meiner Hand liegt“. Der Glaube helfe dabei sehr. Aber einen glattgebügelten, daunengefederten Lebensweg verspreche auch er nicht.

Helferin in Wüstenzeitne. Die Tautropfen-Madonna von Bad Rappenau.

„ … Man muss Geduld haben/ Mit dem Ungelösten im Herzen/ Und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,/ Wie verschlossene Stuben und wie Bücher,/ Die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind./ Es handelt sich darum, alles zu leben./ Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,/ ohne es zu merken/ eines fremden Tages/ in die Antworten hinein.“

Der evangelische Pfarrer Jörg Hirsch war 51 Jahre alt, als bei einer harmlosen Routine-Untersuchung ein bösartiger Tumor in seiner Niere entdeckt wurde. Das Organ musste sofort entfernt werden.

„Es war eine surreale Situation“, erinnert sich der Heidelberger Pfarrer. „Ich fühlte mich kerngesund und hatte keinerlei Schmerzen. Trotzdem wurde ich auf eine Bahre gelegt und in den OP gefahren.“ Als Jörg Hirsch wieder aufwachte, war er „ein eingeschränkter, hilfsbedürftiger Mann, der sich noch nicht einmal die Schnürsenkel zubinden konnte.“

Pfarrer Jörg Hirsch hatte von heute auf morgen nur noch eine Niere.

Es kam noch schlimmer. Drei Jahre später entdeckten die Ärzte auch in der zweiten Niere einen bösartigen Tumor. Glücklicherweise saß der Krebs diesmal so, dass man ihn herausoperieren konnte. 80 Prozent Schwerbehinderung. Mit 54 Jahren. Wie hält man das aus?

„Das ist eine harte Geduldsprobe“, nickt Jörg Hirsch. Er habe sich das Grundvertrauen in das Leben und in Gott völlig neu erarbeiten müssen. „Ich war ja davor noch nie ernsthaft krank gewesen. Ich hatte keinen einzigen Fehltag in meinem Berufsleben.“ Hirsch lernte, wie wichtig die Trauer ist. Das Abschiednehmen von der Unversehrtheit des eigenen Körpers. Von der Unbeschwertheit. Vom Denken in Zukunftskategorien. „Für mich war es sehr wichtig, dass ich darüber sprechen konnte. Mit meiner Frau, mit Freunden und mit den Mitpatienten in der Reha.“ Und mit Gott?

Ja, es hat eine Begegnung mit Gott gegeben

Jörg Hirsch lächelt. Ja, sagt der evangelische Pfarrer, es hat eine Begegnung mit Gott gegeben. Ausgerechnet in der katholischen Kirche von Durbach im Schwarzwald, wo Hirsch zur Rehabilitation war. Jörg Hirsch setzte sich in die Bank, um zu beten, da fiel sein Blick auf eines der Kruzifixe im Kirchenraum. „Der Lanzenschnitt Jesu befand sich genau an der Stelle, wo ich meine lange Narbe habe.“ Das habe ihn getröstet, sagt Hirsch.

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Die Friedenskirche war die letzte feste Stelle in Hirschs Leben.

Drei Jahre liegt die Operation jetzt zurück. Jörg Hirsch geht es gut. Er arbeitet wieder als Pfarrer allerdings ohne eigene Gemeinde. Er ist „Springer“ im Kirchenbezirk Südliche Kurpfalz. Immer, wenn eine Stelle vakant ist,  betreut er die Gemeinde, bis eine neue Pfarrerin oder ein neuer Pfarrer gefunden ist. Hirsch hat sich diese Arbeit selbst ausgesucht. „Ich liebe die Abwechslung und die vielen neuen Erfahrungen, die man bei jedem Wechsel macht.“

„Was in Zukunft kommt, vertraue ich Gott an“

Im Vorläufigen bleiben, keine Wurzeln schlagen. Das ist neu im Leben des Jörg Hirsch. Das hat der Krebs gebracht. „Ein gesunder Mensch kennt dieses Glücksgefühl über das reine Dasein gar nicht“, nickt der Pfarrer. Er findet, dass seine Seelsorge durch die Krankheit tiefer geworden ist. Intensiver. „Das eigene Erlebte schwingt immer mit.“

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Alle sechs Monate muss Jörg Hirsch zur Untersuchung. Die Tage vor dem Arztermin sind schwer. Die Tage danach wundervoll. Nach seiner Operation hat sich Pfarrer Hirsch ein kleines Büchlein gekauft. In ihm notiert er das Datum jedes neuen Tages, den er geschenkt bekommt. Das Notizbuch füllt sich langsam. „Ich habe ein großes Stück Leben gelebt. Das ist gut. Was in der Zukunft kommt, vertraue ich Gott an. Wie es kommt, kommt es.“

Ein Gedanke zu „Das Geheimnis der Geduld

  1. Liebe Frau Deutsch,

    gestern habe ich meinen Freund ein Kollege von Ihnen , Herrn Rainer Wesch
    beim Umzug geholfen. Bei einer Pause kamen wir auf Ihren Artikel zu sprechen.
    Geheimnis der Geduld.
    Für mich einer der Besten den ich seit Jahren gelesen habe.
    Mehrmals gelesen und sogar ausgeschnitten und er wird bei mir archiviert…
    Geduld in der heutigen Zeit …
    Mehr und sofort ,
    anstatt –
    Meer und hören ,lauschen.
    Gedichte als Helfer, Mahner ,oder Freund..
    Der Abt sucht Mönche.. Kunst kann helfen ,Skulptur….
    Reifen wie ein Baum…
    Wenn man mit Fragen lebt….eines Tages in die Antwort hinein…
    Von Tag zu Tag leben. Im Hier und Jetzt…

    Geduld brauchte auch mein Freund beim Umzug nach langer Zeit, in eine kleinere Wohnung zu ziehen.
    Ich brauche Geduld nach einer Trennung..
    Mir hilft im Moment die Meditation….Die Erkennung der Weite des Universums,
    der Ursprung des Seins im Licht……..Gottes .

    Nicht immer einfach für jeden Einzelnen…
    Wo er auch steht ,auf dieser Welt mit seinem Lebenspaket.
    Dennoch gilt es Vertrauen in den Tag zu haben…..

    Ich wünsche Ihnen viel Geduld, im Sinne Ihres sehr guten Berichtes
    und Energie für Ihre weitere Arbeit.
    Herzliche Grüße
    Rainer Kiehnel

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