Jenseits des Aquariums: Die katholische Kirche der Zukunft

Gefragter Impulsgeber aus Hildesheim:
Regens Christian Hennecke

Mit der katholischen Kirche verhielt es sich Jahrhunderte lang wie mit einem Aquarium voller Fische. Die Gläubigen lebten in einem abgeschlossen System, in das sie hineingeboren wurden. Niemand konnte die katholische Welt verlassen; niemand kam von außen hinein. Vor etwa fünfzig Jahren jedoch änderte sich alles. Die Wände des Aquariums verschwanden, die katholischen „Fische“ fanden sich wieder im offenen Meer.

Viele bekamen Angst vor der ungewohnte Weite und schwammen weiter im Kreis, als sei das Aquarium noch vorhanden. Die Neugierigen jedoch – und das waren vor allem die Jungen – zog es hinaus zu den Abenteuern des Ozeans. Zurückgekehrt sind die Wenigsten.

Diese Allegorie stammt von Christian Hennecke, dem Regens des Hildesheimer Priesterseminars. Der 52-jährige Fokolarpriester ist nicht nur ein vielgelesener Autor, er ist vor allem ein gefragter Impulsgeber, wenn über die künftige Gestalt von Kirche nachgedacht wird. Wie im Franziskushof zu Eppelheim. Der Heidelberger Dekan Joachim Dauer, der vor 27 Jahren gemeinsam mit Hennecke in Rom zum Priester geweiht worden ist, hatte zu einem Studientag geladen.

Eine vage Ahnung von der Kirche der Zukunft – mehr war in sieben Stunden nicht drin

Natürlich dreht sich  der Studientag vorwiegend geplante „Stadtkirche“, zu der sich 2015 alle 14 Pfarreien von Heidelberg und Eppelheim zusammenschließen wollen. 40.000 Gläubige in einer einzigen Seelsorgeeinheit und kein Aquarium mehr, um die Fischlein auf Kurs zu halten. Wie geht man mit solch einer Situation um? Christian Hennecke sollte Tipps geben. Kein einfacher Job.

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Das katholische Gemeindehaus „Franziskushof“ in Eppelheim

Die hauptamtlichen Seelsorger aus Heidelberg und Eppelheim hatten sich bereits vor den Ferien drei Tage lang in Klausur begeben, um eine Vision für die Stadtkirche zu ersinnen. Die Tage seien geistgeführt und fruchtbar gewesen, hört man allenthalben. Für konkrete Ergebnisse sei es allerdings noch zu früh. Weshalb jetzt in Eppelheim erst einmal die engagierten Ehrenamtlichen einen ersten Schritt auf die Stadtkirche zugehen sollten.

Siebzig Frauen und Männer, viele von ihnen sind in den Pfarrgemeinderäten der fünf Seelsorgeeinheiten aktiv, hatten sich versammelt, um eine erste vage Ahnung von der Kirche der Zukunft zu erhalten. Mehr war in sieben Stunden nicht drin. „Die Stadtkirche“, formulierte Referent Hennecke, „ist wie der Bau einer Kathedrale. Viele, die heute das Fundament legen, werden die Weihe nicht mehr erleben.“

Man muss akzeptieren, dass der Glauben nicht mehr selbstverständlich vererbt wird

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Hennecke: „Glauben wird künftig mühsam erworben“

Gesucht wird also nach der katholischen Kirche jenseits des Aquariums. Das heißt vor allem, dass man akzeptieren muss, dass Glauben in einer Welt voll Wahlmöglichkeiten nicht mehr selbstverständlich vererbt, sondern mühevoll erworben wird. „Es wird der Normalfall werden“, formulierte Christian Hennecke, „dass Menschen erst im Laufe ihres Lebens einen Zugang zu Christus bekommen.“

Die vertrauten Initiationsriten – Taufe als Baby, Erstkommunion mit neun, Firmung mit vierzehn – werden künftig kaum noch Bedeutung haben. Neue Zugänge zur Kirche sind dringend gebraucht, aber nirgendwo in Sicht. „Wir halten krampfhaft fest an den Methoden aus der Zeit des Aquariums“, konstatierte Hennecke, „weil wir nicht wissen, wie wir mit der Vielzahl der Lebenswege umgehen sollen.“

Skizze3Die Heidelberger Stadtkirche könnte da durchaus einen Weg weisen, meinte der Hildesheimer Priesterausbilder. „Der Vorteil der großen Struktur liegt in der Vielfalt der Möglichkeiten, die sie bieten kann.“ Eine Universitätsstadt wie Heidelberg müsste eigentlich über so viel geistliches Potential verfügen, dass sie jedem Suchenden ein Angebot machen kann, das zu ihm passt.

Hennecke: „Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger“

Die Rede ist wohlgemerkt nicht nur von den Initiativen hauptamtlicher Seelsorger. Zunehmend ernst und wichtig genommen werden in der Punkte1katholischen Kirche auch Gruppen und Ideen von Gläubigen für Gläubige. Aufbrüche in den Gemeinden und jenseits der Gemeinden. „Die Erneuerung der Kirche geschieht nicht von oben nach unten. Die Erneuerung geschieht, weil im Kirchenvolk Gottes Geist lebendig wird“, sagte Christian Hennecke in Eppelheim. „Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger“, schreibt der Hildesheimer Regens in seinem jüngsten Buch.

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Geistliche „Hotspots“: An den roten Punkten „brennt“ der Glauben

Starker Tobak. Die Ehrenamtlichen beim Studientag in Eppelheim zeigten sich denn auch entsprechend verunsichert. Sie befürchteten eine Überforderung der Ehrenamtlichen in der Stadtkirche und wiesen auf die fehlende Vernetzung und die mangelnden Kontakte zwischen den Pfarreien hin. Wird nicht jede Pfarrei erst an sich selbst denken statt an die große Gemeinschaft?

Entstehen in einer Situation, in der das Vertrauen noch fehlt, nicht zwangsläufig Neid und Konkurrenz? Wie kann es gelingen, festgefahrene Strukturen aufzubrechen und Erbhöfe abzuschaffen? Wer sorgt für die nötige Transparenz? Wer wirkt der Anonymität entgegen? Wo haben Schwache ihren Platz? Wie können tragfähige Beziehungen und neue Rollenbeschreibungen entstehen?

Die Gestalt der Kirche bildet sich heraus, wenn man ihre Sendung kennt 

Fragen über Fragen, auf die es derzeit noch keine Antworten gibt „All diese Befürchtungen stellen die Agenda dar, die in den kommenden Jahren abgearbeitet werden muss“, definierte Moderator Hennecke mit Blick auf das Steuerungsteam der Stadtkirche. Es gelte, in den Ereignissen den Weg zu entdecken, den Gott mit seiner Kirche gehen will. „Die Gestalt der Kirche bildet sich heraus, wenn man ihre Sendung kennt. Sobald wir herausgefunden haben, wozu wir hier an diesem Ort gesandt sind, wissen wir auch den nächsten Schritt.“

„Wie kann es gelingen, die alten Strukturen aufzubrechen?“

Was Christian Hennecke sofort beweisen wollte. Mit einer simplen Gruppenarbeit. Gesucht werden sollten geistliche „Hotspots“. Orte, an denen der Glauben in den Herzen brennt. Jede Gruppe bekam eine Landkarte von Heidelberg und einen Block mit knallroten Klebepunkten. Der Arbeitsauftrag: Ein Jeder markiere mit einem roten „Hotspot“ die Stelle auf der Landkarte, an der er die Nähe Gottes spürt. Das kann eine Kirche sein oder ein Gruppenraum oder eine Bank auf dem Berg.

Unglaublich aber wahr: Kaum eine Viertelstunde später waren die Karten übersäht von knallroten Punkten. Hennecke lächelte und verwies auf das 43. Kapitel im Buch Jesaja: „Doch denkt nicht mehr an das, was früher geschah, schaut nicht mehr auf das, was längst vergangen ist. Seht, ich schaffe Neues. Schon sprosst es auf. Merkt ihr es nicht?“

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