Luther fehlt in Heidelberg

In Ludwigshafen steht das originellste Lutherdenkmal der Rhein-Neckar-Region.

Martin Luther war nie in Ludwigshafen. Wie auch. Die Stadt am Rhein wurde erst 300 Jahre nach seinem Tod gegründet. Trotzdem steht in „LU“ das mit Abstand originellste Lutherdenkmal der Region. Es lässt die drei „echten“ Lutherstädte – Heidelberg, Worms und Speyer – um Längen hinter sich. Der Ludwigshafener Lutherbrunnen ist eine Herausforderung für alle Sinne und für den Intellekt.

Er braust und rauscht, er blubbert und gurgelt, er zischt und faucht, dass es eine wahre Wonne ist. Und mittendrin steht seelenruhig der Reformator und beobachtet, wie sich Papst Leo X. in ein kleines Monster mit Mitra verwandelt. Ein Streifzug durch die Region auf den Spuren Martin Luthers.

Fast 500 Kilometer liegen zwischen Wittenberg und Heidelberg. Martin Luther ging zu Fuß.

Es war ein langer Weg, zu dem sich Martin Luther Anfang April 1518 aufmachte. Fast 500 Kilometer liegen zwischen Wittenberg und Heidelberg, wo das Generalkapitel von Luthers Orden tagen wollte. Die Augustiner-Eremiten mussten einen neuen Generalvikar wählen; Luther war Distriktsvikar für Thüringen und Meißen und damit zur Teilnahme am Konvent verpflichtet.

Auf dem Heidelberger Uniplatz jedoch, wo die Reformation begann, fehlt von Luther jede Spur.

Dem 34-jährigen Mönch kam die Reise an den Neckar aber nicht ungelegen, weil er dort Pfalzgraf Wolfgang wiedertreffen würde. Der jüngere Bruder des Kurfürsten hatte in Wittenberg studiert und sich mit Luther angefreundet. 

Martin Luther ging zu Fuß, wie das bei Mönchen üblich war. 550 Kilometer in Sandalen, obwohl im Thüringer Wald noch Schnee lag. Gepäck hatte Luther keines. Eine Wasserflasche und sein Brevier – mehr brauchte der Augustiner-Eremit nicht.

Der Mönch wanderte schweigend. Acht, neun, manchmal zehn Stunden am Tag. Dreizehn Tage lang. Worüber mag Martin Luther nachgedacht haben in diesen vielen Stunden? Über die möglichen Folgen seines wütenden Thesenanschlags fünf Monate zuvor? Kardinal Albrecht von Mainz hatte die Thesen postwendend nach Rom geschickt. Papst Leo X. ermahnte daraufhin den Ordensgeneral der Augustiner, er solle Bruder Martin in Heidelberg schleunigst wieder auf den rechten Weg zurückführen. „Bei schneller Erledigung ist es, glaube ich, nicht schwierig, die eben entstandene Flamme zu löschen“, schrieb der Papst. Selten hat sich jemand so geirrt. Auf dem Lutherbrunnen in Ludwigshafen steht Leos Papstsessel daher auch leer zwischen den Fontänen. Wer nicht wasserscheu ist, kann darauf Platz nehmen.

Der Ludwigshafener Brunnen ist das einzige gemeinsame Denkmal für Luther und seine Frau Käthe.

Seltsame Fabeltiere sind das Markenzeichen des Bildhauerst Gernot Rumpf. Auch der Brückenaff‘ stammt von ihm.

Das bekannte Künstlerpaar Barbara und Gernot Rumpf aus Neustadt an der Weinstraße hat den Brunnen geschaffen. 1992. Als Arche Noah, voll von seltsamen Fabeltieren. Sie sind Gernot Rumpfs Markenzeichen. Der Bildhauer balanciert gern auf der Grenze zwischen Spiel und Hintersinn. Auch der Heidelberger Brückenaff’ stammt aus seinem Atelier. Luthers Frau Katharina Bora begegnet man ebenfalls in der Wasserwelt. Der Brunnen, so behauptet die Stadt Ludwigshafen, ist das weltweit einzige gemeinsame Denkmal des Paares. 

Am 18. April 1518 traf Luther in Heidelberg ein. Die Neckarstadt war damals eine elegante Metropole mit 5500 Einwohnern und 600 Studenten. Pfalzgraf Wolfgang war hocherfreut, die Bekanntschaft mit seinem ehemaligen Professor zu erneuern. „Eine treffliche Aufnahme fand ich beim erlauchten Fürsten“, erinnert sich Luther in einem Brief. Man habe sich „freundlich und angenehm unterhalten“, reichlich gegessen und getrunken. Und schließlich noch all die „Kleinodien der pfalzgräflichen Hofkapelle“ betrachtet.

Am 25. und 26. April 1518 dann die Disputation über Luthers Thesen. Sie lagen den Zuhörern schriftlich vor. In Latein. Das war damals die Sprache, in der Professoren und Studenten kommunizierten. Das Englisch des Mittelalters.

„Luther hat stets in alle Öffentlichkeit mit den Dingen gerungen“, sagt der Heidelberger Dekan.

Das Augustiner-Kloster auf dem Uniplatz war Anlass für Luthers Reise an den Neckar.

„Heidelberg war schon vor 500 Jahren eine Stadt der Wissenschaft“, überlegt Christof Ellsiepen, der evangelische Dekan der Neckarstadt. In ganz Deutschland hätte Luther keinen besseren Ort für seine theologische Diskussion finden können. „In Heidelberg wurde die Kultur der wissenschaftlichen Debatte seit jeher gepflegt. Der Ton an der Universität war fair und diszipliniert. Man stritt mit den Waffen des Arguments und nicht mit denen der Macht.“ Was dem Reformator sehr entgegen kam. Denn seine Gedanken entfalteten sich oft erst beim Reden. Ellsiepen: „Ich nehme an Luther immer den Zug wahr, dass er nicht im stillen Kämmerlein sondern stets in aller Öffentlichkeit mit den Dingen rang.“

Das Echo auf die Disputation war gewaltig: In Scharen verließen die Theologiestudenten Heidelberg, um draußen in der Welt die Kirche zu reformieren. Martin Bucer, Johannes Brenz, Martin Frecht, Theobald Billican, Paul Fagius, Franciscus Irenicus, Erhard Schnepf …. Die Jugend stand in Flammen, die Fakultät leer. 

In seiner Disputation, findet Dekan Ellsiepen, habe Luther das „allgemeine Unbehagen“ an der Kirche von Rom, auf den Punkt gebracht. „Sein Auftritt in Heidelberg markiert eindeutig den Beginn der Reformation.“ Martin Luther war ebenfalls zufrieden mit seiner Reise in Heidelberg. Monierte allerdings eine „beträchtlichen Leibeszunahme“.

Nur eine unscheinbare Platte erinnert heute noch an legendäre Disputation an der Uni.

Der Universitätsplatz liegt heute öd und leer. Welch eine Sensation wäre hier ein Lutherbrunnen.

Wer heute den Heidelberger Universitätsplatz besucht, entdeckt keine Spur mehr von diesem weltgeschichtlichen Ereignis. Das Augustinerkloster ist längst verschwunden, der „Artistenhörsaal“ ebenso. Der Uniplatz liegt öd und leer. Lediglich unter den Linden am Rand hat man eine unscheinbare graue Platte in den Boden eingelassen, die an Luther erinnert.

Welche eine Sensation wäre es, wenn hier ein Brunnen wie in Ludwigshafen stünde! Der braust und rauscht, der blubbert und gurgelt, der zischt und faucht. Und der gesäumt wird von Bänken auf denen Studenten sitzen, Touristen, ältere Menschen, Mütter mit Kindern, verliebte Paare …. „Vielleicht könnte man sogar noch einen Trinkwasserspender installieren“, träumt Dekan Christof Ellsiepen mit leuchtenden Augen. 

Die Stadt Worms hat sich sofort das größte Lutherdenkmal der Welt gebaut.

Die Stadt Worms ist mit ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung völlig anders umgegangen als Heidelberg: Sie hat sich sofort das größte Lutherdenkmal der Welt gebaut. Keinem Menschen, der auch nur zehn Minuten in Worms weilt, entgeht, dass hier im April 1521 Geschichte geschrieben worden ist.

Worms besitzt das größte Lutherdenkmal der Welt. Es wurde zig Mal kopiert.

Der Bildhauer Ernst Rietschel hat das haushohe Werk entworfen. 1868. Allein die Lutherstatue an der Spitze misst 3,50 Meter. Das Wormser Monument ist weltweit zig Mal nachgegossen worden. In den Vereinigten Staaten gibt es gleich sieben Kopien des Wormser Luthers.

Dabei hat die Stadt Worms eigentlich keine besonders rühmliche Rolle in Geschichte der Reformation gespielt. Um ein Haar hätte hier sogar alles geendet.

Dabei hätte Luther den Besuch in Worms beinahe nicht überlebt: Er war der Ketzerei angeklagt. Darauf stand der Scheiterhaufen.

Es war einer größten Reichstage, den Deutschland je gesehen hat. Mehr 7000 Menschen drängelten sich im April 1521 vier Wochen lang durch die engen Gassen der Stadt. Sie alle wollten den neuen Kaiser sehen. Karl V. war Spanier, 20 Jahre alt und treu katholisch. Was Martin Luther nicht mehr war, seit die Kirche von Rom seine Schriften öffentlich hatte verbrennen lassen. Jetzt drohten dem Ex-Mönch, der immer noch seinen Habit trug, selbst der Scheiterhaufen: Luther war wegen Ketzerei angeklagt.

Der Lutherbrunnen in „LU“ steht vor der zerbombten Ruine der Lutherkirche.

Doch so weit kam es nicht. Kaiser Karl V. verhängte „lediglich“ die Reichsacht über Luther. Was normalerweise ebenfalls einem Todesurteil gleichkam. War es doch bei hohen Strafen verboten, einem Geächteten die Tür zu öffnen, ihn im Haus aufzunehmen oder ihm etwas zu essen zu geben.

Mit „päpstlicher Absolution“ erlaubt war es hingegen, ihn zu ermorden und „seine Leiche den Vögeln und Wölfen zum Fraß zu überlassen“. Eine Reichsacht überlebt niemand lange. Es sei denn, er hat mächtige Freunde. Den Kurfürst von Sachsen beispielweise. Er versteckte Martin Luther als „Junker Jörg“ auf die Wartburg. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ludwigshafen wurde im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört. Nur der spitze Turm der Lutherkirche stand noch.

Die Stadt Ludwigshafen starb in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1943. Rund 500 britische Bomber warfen 357 Sprengbomben sowie 77250 Brandbomben auf die Industriestadt ab. 80 Prozent der Innenstadt wurde bei dem Inferno zerstört. Von der riesigen neugotischen Lutherkirche, die einst 1000 Sitzplätzen besessen hatte, ragte nur mehr der spitze Turm 61 Meter hoch in den Himmel. Wie ein Fingerzeig Gottes inmitten einer apokalyptischen Trümmerlandschaft. 

Barbara und Gernot Rumpf machten aus Papst Leo X. einen kleinen Dino.

Der Turm der Lutherkirche sollte als Mahnmal erhalten bleiben. Jahrzehntelang stand inmitten einer verwilderten Brache, die als illegaler Parkplatz genutzt wurde. 1971 schließlich stellte die Stadt den Turm unter Denkmalschutz. Als „Kirche ohne Mauern, zu der jedermann Zugang hat.“

1992 kam ein rühriger evangelische Dekan aus die Idee eines modernen Brunnens. Exakt an der Stelle, an der einst der Altar der Lutherkirche stand.

Ein Brunnen wirkt Wunder. Die Autos verschwinden, die Kinder spielen, die Mütter plauschen.

Der Brunnen wirkte Wunder. Die Autos verschwanden, der Platz begann sich zu beleben, Kinder spielten begeistert im Wasser, die Mütter ließen sich nieder um zu plauschen. Heute verbindet sogar ein kleiner Bach das Kreuz an der Rückwand der Lutherkirche mit dem Brunnen. 

Von Gischt umtost: Der päpstliche Stuhl und Luthers Hocker.

Die gesamte südliche Hälfte des Brunnens beherrscht ein hoch aufragende päpstliche Mitra. Vor ihr stehen sich der päpstliche Stuhl Leos X. und der monastische Hocker Martin Luthers gegenüber. Sie sind Sinnbilder für die Trennung der Konfessionen seit der Reformation.

Doch Barbara und Gernot Rumpf, die beiden Bildhauer, wollten es bei dieser Aussage nicht belassen. Deshalb bauten sie eine kleine Bronzebrücke übers Wasser. Von der einen zur anderen Konfession. Es erfordert allerdings etwas Geschick, auf ihr zu balancieren. 

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