Ostern ist das höchste Fest der Christenheit, denn ohne die Hoffnung auf Auferstehung ist der Glaube sinnlos. Doch was erwartet uns im Himmel? Sehen wir unsere Lieben wieder? Was bleibt von uns als Person? Gibt es ein Jüngstes Gericht? Fragen an Christof Ellsiepen, den evangelischen Dekan von Heidelberg, und an Johannes Brandt, den katholischen Dekan von Heidelberg-Weinheim.
Herr Ellsiepen, …
… wohin gehen wir hin, wenn wir gestorben sind?
Ich glaube, dass wir schon im Leben bei Gott sind. Und wenn wir sterben, bleiben wir in Ewigkeit bei Gott. Natürlich nicht in der gleichen Form, in der wir auf der Erde gelebt haben, sondern es wird eine Verwandlung stattfinden. Der Begriff „Auferstehung“ ist der Versuch, diese Verwandlung zu beschreiben. Hier auf Erden nehmen wir nur Bruchstücke von Gottes Wirklichkeit wahr. In der Ewigkeit sortieren sich diese Puzzleteile, so dass das ganze Bild erscheint. Da gibt es kein Jetzt und kein Dann, kein Vorher und kein Nachher. Nur Ewigkeit. Das ist eine völlig andere Dimension.
Müssen wir uns, wenn wir in diese andere Dimension eintreten, rechtfertigen für das, was wir im irdischen Leben getan haben?
Auf jeden Fall. Die Aufgabe, die Gott jedem von uns stellt, lautet: Sei Mensch und lebe dein Leben hier auf der Erde im Frieden mit den Menschen und mit der ganzen Schöpfung. Das zu erfüllen, gelingt den allerwenigsten von uns. Die meiste Zeit fallen wir aus dieser Balance heraus und basteln uns dann irgendwelche Lebenslügen zusammen, um unser Scheitern nicht sehen zu müssen. Dafür haben wir uns zu verantworten. Vor allen anderen Menschen – und vor unserem Schöpfer. Gott ist die absolute Wahrheit. Vor ihm hat keine Lüge bestand. Martin Luther hat nicht umsonst das Jüngste Ge richt in unserem Gewissen lokalisiert: Als Instanz, die mich beständig darauf hinweist, was ich eigentlich sein könnte.
Das klingt, als sei das alles ziemlich schmerzhaft?
Wahrscheinlich. Und nicht zu Unrecht. Denn ich glaube, dass wir alle ganz genau wissen, welche Dinge richtig und wichtig sind. Aber wir verdrängen dieses Wissen in unserem Alltag oft äußerst erfolgreich.
Hat sich Gott denn einen Plan gemacht, wie mein Leben verlaufen sollte?
Das glaube ich nicht. Da lässt er uns völlige Freiheit, wenn wir nur das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Das ist wie beim Autofahren. Wenn ich irgendwo versehentlich nach rechts statt nach links abgebogen bin, ist damit nicht alles zu Ende. Ich muss mir nur neue Wege suchen oder zeigen lassen, um das Ziel zu erreichen. Für Gott gibt es keine Lebenssituation, die ausweglos wäre.
Einige Härten oder Umwege muss man allerdings schon in Kauf nehmen, um wieder in die richtige Spur zu gelangen. Es gibt Menschen, denen gelingt es mühelos, das Beste aus jeder noch so verfahrenen Situationen oder Lebenslage herauszuholen. Das fasziniert mich immer sehr. Weil es zeigt, dass es an mir liegt, wie ich mit den Herausforderungen des Lebens umgehe.
Es spielt also keine Rolle, ob wir eine tadellose Chronologie unseres Lebens vorweisen können?
Nein. Das erlebe ich immer bei Trauergesprächen. Kein Angehöriger ist bisher auf die Idee gekommen, mir das Leben des Verstorbenen chronologisch zu erzählen. Oder seine Erfolge aufzulisten. Stattdessen sprechen die Menschen von scheinbaren Kleinigkeiten, von Erlebnissen, von intensiven Begegnungen, in denen sie dem Verstorbenen besonders nahe gekommen sind. Diese dichten Momente sind es, die unser Leben letztendlich ausmachen.
Treffen wir denn die Menschen, die wir geliebt haben, im Himmel wieder?
Ich glaube, dass unsere Beziehungen hier auf Erden in der Ewigkeit eine andere Qualität haben. Weil wir verwandelt sind. Weil wir im Himmel mit allen Seelen verbunden sein werden, die je gelebt haben. Diese Gemeinschaft wird eine völlig andere sein, als wir sie uns jetzt vorstellen können. Sehr viel intensiver.
Und was tun wir in der Ewigkeit?
„Tun“ ist immer auf Zeitlichkeit ausgelegt. Auf die Veränderung eines Zustands gegenüber dem vorhergehenden. In der Ewigkeit gibt es keine Veränderung, weil alle Möglichkeiten Wirklichkeit sind. Deshalb ist „ewiges Leben“ eigentlich ein Grenzbegriff. Weil „Leben“ immer Wachstum und Veränderung beinhaltet. Das gibt es in der Ewigkeit nicht. Die Ewigkeit bei Gott ist das reine Dasein. Actus purus. Kein Streben, keine Sehnsucht. Die vollkommene Glückseligkeit. Ich glaube, niemand von uns kann sich das wirklich vorstellen.
Herr Brandt, …
… wohin gehen wir, wenn wir gestorben sind?
Wir gehen in den Himmel. Damit meine ich jenen Raum, den Gott für jeden von uns in seiner Ewigkeit bereithält. Dort wird sich die Freundschaft mit Gott fortsetzen, die bereits im irdischen Leben begonnen hat. Für mich ist es etwas sehr Elementares, dass Gott jedem Menschen persönlich seine Freundschaft anbietet. Ohne dieses Grundvertrauen würde mir der entscheidende Antrieb zum Leben fehlen. Das Ewige Leben, so meine ich, beginnt deshalb schon im Hier und Jetzt. Und es setzt sich nach dem Tod nahtlos fort. Denn Gott denkt ja nicht in den Kategorien von Raum und Zeit, was für uns sehr schwer zu begreifen ist.
Wie fühlen wir uns denn, wenn wir im Himmel sind?
Wir werden uns in einem Zustand permanenter Glückseligkeit befinden. Oder theologisch gesprochen: Wir sind erlöst. Es gibt keine Begrenztheit mehr, mit der wir uns herumschlagen müssen. Und keine Sünde. Denn Sünde meint ja immer, dass der Mensch sich in Distanz setzt zu Gott. Im Himmel erleben wir Liebe und Freundschaft in ihrer höchsten Vollendung.
Kommen denn alle Menschen in den Himmel?
Der christliche Glauben spricht davon, dass es ein Gericht gibt. An dem Tag meines Übergangs, wenn ich dem Ewigen begegne, werde ich sicher noch einmal mit all den Situationen konfrontiert werden, in denen ich unvollendet geblieben bin. Und ich muss mich für die Handlungen verantworten, in denen ich das Gebot der Liebe missachtet und die Erwartungen Gottes enttäuscht habe. Aber in dem Wort „Gericht“ steckt auch das Verb „aufrichten“. Ich vertraue fest darauf, dass dieses „Aufrichten“ nicht in der Verdammnis endet sondern im Aufgehoben-Sein bei Gott.
Gibt es denn die ewige Verdammnis?
Ja. Die muss es geben, weil Gott dem Menschen die völlige Freiheit geschenkt hat. Zur Freiheit gehört zwangsläufig eine Wahl zwischen mindestens zwei Alternativen. Also muss es nicht nur den Zustand höchster Gottesnähe geben, sondern auch den Zustand maximaler Gottesferne. Den umschreiben wir mit dem Wort „Hölle“. Ein Atheist würde sagen „das Nichts.“ Das ist übrigens ein interessanter Punkt, den ich gern einmal mit dem Allmächtigen diskutieren würde. Mich würde interessieren, ob Gott ernsthaft damit rechnet, dass ein Mensch, der ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht und die höchste Glückseligkeit vor Augen hat, dennoch das Nichts wählt?
Vielleicht aus Angst vor dem Fegefeuer. Welche Bewandtnis hat es damit?
Beim Fegefeuer geht es um Katharsis, also um Reinigung. Das ist der Prozess, in dem die Vergebung Gottes geschieht. Ich stelle mir das sehr erleichternd vor, wenn ich mich nach langer Zeit der Verkrümmung durch die Schuld endlich wieder aufrichten und befreit atmen kann.
Und wie ist es in der Ewigkeit?
Ich hoffe auf eine vollendete Gemeinschaft mit all denen, die uns im Leben und im Glauben vorangegangen sind. Da sind natürlich auch all jene dabei, mit denen ich im irdischen Leben unterwegs war und nach denen ich mich auch sehne. Aber ob die Beziehungen, die wir auf Erden hatten, im Himmel in gleicher Intensität fortbestehen, da wäre ich vorsichtig.
Sie glauben, dass unsere Liebesbeziehungen in der Ewigkeit unwichtig werden?
Das ist eine schwierige Frage. Wir werden in eine Gemeinschaft eintreten, die vollendet ist. Und in der wir in Liebe mit allen Menschen verbunden sind. Unser irdisches Konzept von Familie, Freundschaft und Bindung wird da wahrscheinlich nicht mehr existieren. Jesus hat das jedenfalls angedeutet. Das Matthäus-Evangelium berichtet von einem Streitgespräch mit den Pharisäern. Die Schriftgelehrten fragen Jesus, was geschieht, wenn eine Witwe nach dem Tod ihres Mannes wieder neu heiratet. Wessen Frau sie dann in der Ewigkeit sei. Und Jesus antwortet sarkastisch: Ihr macht euch Gedanken über Dinge, die bei Gott überhaupt keine Rolle spielen.