Ziemlich beste Freunde

Baden feiert 200 Jahre
evangelische Kirchenunion
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Es hat eine Zeit gegeben, da war Heidelberg eine der schönsten Städte der Welt. Renaissancepaläste säumten die Straßen, elegante Damen und noble Professoren flanierten in prächtigen Parks. Man sprach französisch und blickte stolz hinauf zum Schloss. Nur die Kirchen standen schmucklos.

Kein Kreuz, kein Bild, kein Altar. Wie es der Calvinismus verlangte. Seit 1559 war das reformierte Bekenntnis in der Kurpfalz Pflicht. Was erst zu Wohlstand, dann zu veheerenden Kriegen zwischen den Konfessionen geführt hat. Erst 1821 fanden zumindest die Protestanten zu einer Einheit. Jetzt wird die „Badische Kirchenunion“ 200 Jahre alt.

Asketische Strenge für die lebenslustige Kurpfalz.

Die Kurpfalz und der Calvinismus. Eine rätselhafte Liaison. Schon vom Naturell her liegen eigentlich Äonen zwischen der asketischen Strenge des Johannes Calvin und der Lebenslust der Kurpfälzer. Dennoch waren Heidelberg und Mannheim jahrhundertelang der Nukleus des reformierten Glaubens in der Welt.

Kurfürst Friedrich III.
war überzeugter Calvinist
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Das reformierte Bekenntnis kam mit Kurfürst Friedrich III. nach Heidelberg. Der verarmte Fürst mit elf Kindern war seit seinem Studium strenger Calvinist.

Als er 1559 völlig überraschend die Kur erhielt, ergriff er die Chance und begründete in Heidelberg ein „Genf des Nordens“. Die Professoren wurden durch reformierte Wissenschaftler ersetzt, die Kirchen komplett ausgeräumt. Nichts sollte mehr ablenken von Gott.

Im Chor stand manchmal die Orgel, manchmal das Taufbecken. Doch meist war er leer.

Reformierte Kirchenräume in reiner Form findet man heute in Deutschland nicht mehr. In der Schweiz hingegen sind sie allgegenwärtig: Fenster aus Klarglas, blanke Wände, schlichte Kirchenbänke, die alle zur Kanzel blicken. Im Chor steht manchmal die Orgel, manchmal das Taufbecken. Doch meist ist er leer.

Kurfürst Friedrich III. war ein zielstrebiger Regent. Kaum hatte er seine Familie im Schloss installiert, machte er sich daran, den Untertanen die neue Religion zu erklären. Die Erstausgabe des „Heidelberger Katechismus“ von 1563 war ungefähr so groß wie ein Reclamheft.

“Was ist dein einziger Trost im Leben ?“

Die Kirche von Hombrechtikon
am Zürichsee

Jeder Kurpfälzer erhielt sein Exemplar, damit er die Antworten auf alle 80 Fragen auswendig lernen konnte. Frage 1: “Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Antwort: „Dass ich mit Leib und Seele meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.“

Die Saat des Kurfürsten ging auf. Reformierte Christen strömten in langen Schlangen nach Heidelberg. Viele kamen aus Belgien, den Niederlanden und Frankreich, wo sie verfolgt wurden. Die Neuankömmlinge hatten Geld und gute Berufe. Fabrikanten, Kaufleute, Juristen, Professoren. Heidelberg leuchtete.

Können die Konfessionen nicht an einem christlichen Strang ziehen und trotzdem unterschiedlich glauben?

„Am Abendmahl scheiden sich die Geister.“ Mit dieser Formel erklärt Professor Traugott Schächtele, der evangelische Prälat von Nordbaden, warum die Spaltung der Christenheit nun schon so lange andauert.

Der Heidelberger Katechismus von 1563:
Zwei Originale gibt es noch
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Die Katholiken glauben, dass sich in der Eucharistie Brot und Wein tatsächlich in Christi Leib und Blut verwandeln. Die Reformierten feiern das Abendmahl lediglich als Erinnerung an den Gründonnerstag. Die Lutheraner stehen irgendwo dazwischen. Ein kleinster gemeinsamer Nenner ist unmöglich.

Aber, so fragt Prälat Schächtele, braucht es solch einen Kompromiss überhaupt? Können die Konfessionen nicht an einem christlichen Strang ziehen und trotzdem unterschiedlich glauben?

So, wie es die evangelische Landeskirche in Baden seit nunmehr schon zweihundert Jahren macht. Schächtele: „Die Unionsurkunde von 1821 ist ein wunderbares Zeugnis für Toleranz und kirchenpolitische Weisheit.“

Kostenloses Land und völlige Religionsfreiheit.

Das Jahr 1649. Der Dreißigjährige Krieg war zu Ende, die Kurpfalz lag verheert und um die Hälfte geschrumpft. Das Los des Verlierers. Der neue Kurfürst Karl Ludwig besah sich sein menschenleeres Land und verfasste eine Flugschrift: Alle „ehrlichen Leute aus allen Nationen“ sollten in die Kurpfalz kommen. „Es gibt kostenloses Land und völlige Freiheit der Religionausübung.“

Professor Traugott Schächtele, der
evangelische Prälat von Nordbaden.

Das war neu. Das war sensationell. Also kamen sie. Die Mennoniten, die Katholiken und die Lutheraner. Die Juden und natürlich die Reformierten. Vor allem aus Belgien und Frankreich, wo sie verfolgt wurden.

Für seine calvinistischen Glaubensbrüder hielt Karl Ludwig einen besonderen Leckerbissen bereit: Mannheim. An der Mündung des Neckars in den Rhein sollte ein echtes Handelszentrum entstehen. 15 Jahre später zählte die Stadt schon 6000 Einwohner. Zwei Drittel davon glaubten refomiert.

In Mannheim hatte der Kurfürst eine Frau und 13 Kinder; in Heidelberg eine andere Frau und zwei Kinder.

Kurfürst Karl Ludwig im
Heidelberger Rathausaal

Normalerweise wäre Karl Ludwig diesem Erfolg hochzufrieden gewesen. Doch es gab ein neues Problem: Der Kurfürst hatte die sanfte Luise von Degenfeld geheiratet. Zur „linken Hand“. Weil die Kurfürstin nicht in eine Scheidung einwilligen wollte. Nun lebte der Regent abwechselnd mit Luise und 13 Kindern in Mannheim. Und mit Charlotte und zwei Kindern in Heidelberg. Gemütlich geht anders.

Da Luise treu lutherisch glaubte, veränderte sich auch das Weltbild des reformierten Kurfürsten. Karl Ludwig entdeckte die Toleranz. Und erklärte sie sofort zur Chefsache. In Mannheim ließ er eine „Concordienkirche“ bauen, die von allen drei Konfessionen gemeinsam genutzt werden sollte. „Concordia“ bedeutet „Eintracht“. Bei der Einweihung 1680 predigten ein reformierter, ein lutherischer und ein katholischer Pfarrer.

Im nächsten Schritt wollte Karl Ludwig die „Pfälzer Kirchenunion“ ins Leben rufen. Doch dazu kam es nicht mehr. Am 28. August 1680 erlitt er einen Herzschlag. Bei Edingen stürzte der Kurfürst tot vom Pferd. Acht Jahre später begann der Pfälzer Erbfolgekrieg. Die Kurpfalz ging in Flammen auf.

Jeder Synodale hätte Einspruch erheben können. Keiner tat es.

Die Urkunde zur Gründung der „Vereinigten evangelisch-protestantischen Landeskirche von Baden“ wurde 26. Juli 1821 in Karlsruhe unterschrieben. Eine Abstimmung über den Text hat es nicht gegeben. Nur fünf Minuten Stille, um „den Heiligen Geist walten zu lassen“. Jeder Synodale hätte in dieser Zeit Einspruch erheben können. Keiner tat es.

Die zweite Mannheimer
Konkordienkirche von 1717
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Was ein kleines Wunder war. Denn schließlich handelt es sich beim Badischen Zusammenschluss um eine „Bekenntnisunion“. Alle Protestanten in Baden glauben seit 1821 dasselbe. Jedenfalls im Prinzip. Andere Landeskirchen handhaben das nicht so. Dort existieren lutherische und reformierte Gemeinden nebeneinander.

„Einheit in Mannigfaltigkeit“ – das lässt jede Interpretation offen

„Die Badische Unionsurkunde ist ein Meisterwerk“, findet Traugott Schächtele. Weil sie alle konfliktträchtigen Punkte geschickt umschifft. Zum Abendmahl wird schlicht festgestellt: „Mit Brot und Wein empfangen wir den Leib und das Blut Christi zur Vereinigung mit unserem Herrn und Heiland.“ Das lässt jede Interpretation offen. „Einheit in Mannigfaltigkeit“ steht in der Urkunde.

Großherzog Karl Friedrich
im Fenster der Kirche von Bammental
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Der entscheidende Trick sei der Wechsel der Sichtweise, erklärt Prälat Schächtele. „Nicht der konkrete Vollzug des Abendmahls sondern die Gemeinschaft rückt ins Zentrum.“ Das lässt die individuelle Bedeutung für den einzelnen Gläubigen offen. „Die Unionsurkunde ist ein Dokument der Toleranz und der kirchenpolitischen Weisheit“, findet Schächtele.

Weshalb sie 1973 auch als Vorlage diente für die „Leuenberger Konkordie“. Das ist die Grundlage für den Zusammenschluss aller lutherischen, reformierten und unierten Kirchen Europas. Vielleicht könnte die Badische Unionsurkunde ja auch bei der Wiedervereinigung mit der katholischen Kirche helfen? Überlegt Traugott Schächtele. Das Amt des ersten Landesbischofs jedenfalls übernahm 1821 Großherzog Karl Friedrich höchstselbst.

Der Mannheimer Hof galt als Weltzentrum für Philosophie, Wissenschaft, Musik und Kunst

Es hat eine Zeit gegeben, da war Mannheim eine der schönsten Städte der Welt. Das prächtige Barockschloss war nur unwesentlich kleiner als Versailles. Die Residenz lag eingebettet in eine riesige Parklandschaft entlang des Rheins. Der Mannheimer Hof galt als Weltzentrum für Philosophie, Wissenschaft, Musik und Kunst. Man glaubte streng katholisch und sprach französisch. Voltaire war Stammgast. Mozart wäre gern für immer geblieben, doch niemand bot ihm eine Stelle an. So sehr strahlte Mannheim.

Das Jubiläums-Buch der Landeskirche. 29,80 Euro.

Dann der Silvesterabend des Jahres 1777. Eine Depesche teilte Kurfürst Karl Theodor mit, dass sein Bayerischer Vetter gestorben sei. Ab sofort war Karl Theodor der neue Regent in München. Ein halbes Jahr später gingen in Mannheim die Lichter aus.

Der Niedergang der Stadt vollzog sich rasant. Die Luxusindustrie und das Handwerk verkümmerten. Die Bevölkerung wanderte ab. Arbeitslosigkeit und Hunger verdichteten sich zu einer apokalyptischen Untergangsstimmung. Es musste etwas geschehen. Sofort.

Händler, Anwälte und Fabrikanten trafen sich in „Salons“ und intellektuellen „Lesevereinen“.

Wieder besann sich Mannheim seiner idealen Lage am Zusammenfluss von Neckar und Rhein. Die Stadt erfand sich neu als internationale Handelsmetropole. Man offerierte Kaufleuten aus aller Welt alle Freiheiten der Welt.

Und bot ihnen überdies ein neues Nationaltheater und ein reiches kulturelles Leben. Händler, Rechtsanwälte und Fabrikanten trafen sich in „Salons“ und intellektuellen „Lesevereinen“. Woher jemand kam und woran er glaubte, interessierte niemanden mehr. Aus der eben noch streng katholischen Metropole war ein modernes Multikulti geworden.

„Selbst Greise haben mit Thränen der Wonne unterzeichnet“.

Protestantische Einheit in der
Stadtkirche von Wiesloch
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Der neue badische Großherzog Karl Friedrich, der im Juni 1803 zu seinem Antrittsbesuch nach Mannheim kam, honorierte diese moderne Offenheit. Der Landesherr besuchte sowohl einen lutherischen wie auch einen katholischen, einen reformierten und einen jüdischen Gottesdienst.

Dann schlug Karl Friedrich, selbst treuer Lutheraner, eine „Badische Kirchenunion“ vor. Aus Glaubens- wie aus Kostengründen.

Des Großfürsten Pläne fielen in offene Herzen. 1817, zum 300. Jubiläum der Reformation, sammelten Mannheims Protestanten Unterschriften für die Union. Die Zustimmung war überwältigend. „Selbst Greise haben mit Thränen der Wonne unterzeichnet“, schrieben Mannheimer Zeitungen. „Dass es ihnen der Himmel noch vergönnen möchte, die Früchte dieses schönen Werkes genießen zu können.“

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