Kirche ohne Steuern?

Landesbischof Cornelius-Bundschuh
plädiert für radikale Veränderungen
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Warum passiert so etwas ausgerechnet beim Fußball mit Freunden? Warum nicht nach fünfzehn Stunden Arbeit? Oder während der x-ten Konferenz? Nein, beim Kicken. „Ich hatte acht Tore geschossen und war bester Laune“, erinnert sich Jochen Cornelius-Bundschuh, der Landesbischof von Baden. „Plötzlich spürte ich einen eisernen Ring um meine Brust.“ Herzinfarkt. Intensivstation. Leben am seidenen Faden.

Das war am 28. Dezember 2019. Heute geht es dem Landesbischof wieder gut. Sagt er. Aber hat der Schock nicht doch etwas verändert? Den Blick auf das Leben? Auf Gott? Auf die Kirche? Viele Fragen. Zeit für einen Sommerbesuch in Karlsruhe.

„Die evangelische Kirche wird sich in den kommenden Jahren radikal verändern.“

Es ist ruhig im „Roten Haus“ des Evangelischen Oberkirchenrats. Die Schritte hallen in hohen Gängen aus feinstem Jugendstil, die Welt sitzt im Homeoffice. Nur der Bischof hält die Stellung. „Die evangelische Kirche steht vor einem grundlegenden Umbruch“, sagt Professor Jochen Cornelius-Bundschuh. „Sie wird sich in den kommenden Jahren radikal verändern.“

Das „Rote Haus“. Der Sitz der
Landeskirche von Baden.

Weil die Selbstverständlichkeit, mit der die Deutschen bislang einer Kirche angehörten, verloren geht. Wahrscheinlich für immer. „Wir können künftig nicht mehr darauf bauen, dass die Mehrheit daran glaubt, dass es eine Macht gibt, die größer ist als der Mensch“, diagnostiziert der badische Bischof. Meist stelle sich die Frage nach Gott noch nicht einmal mehr. Deutschland, ein Missionsland.

Die evangelischen Gemeinden im Land frösteln bei diesem Gedanken. Er ist ungewohnt, ungemütlich. Und er macht Angst. Gut, dass es wenigstens noch die Kirchensteuer gibt. Ein letzter Rest Sicherheit. Der badische Landesbischof wiegt den Kopf.

Jochen Cornelius-Bundschuh ist kein Fan der Kirchensteuer. Im Gegenteil: Er findet, dass die Landeskirche so bald wie möglich auf sie verzichten sollte. „Natürlich ist es schön, dass wir unsere anspruchsvolle kirchliche Landschaft so bequem finanzieren können“, sagt der 64-Jährige. Doch auf längere Sicht könne das Festhalten an den Steuergelder die Kirche in eine seltsame Schieflage bringen.

„Wir müssen uns daran gewöhnen, dass
die Kirche einlädt, einzutreten.“

„Bei Taufen ist es inzwischen fast üblich, das kein Elternteil, kein Großelternteil und kein Pate Mitglied in der Kirche ist.“

12.183 Menschen sind im vergangenen Jahr aus der Badischen Landeskirche ausgetreten. Meist Berufsanfänger von Mitte zwanzig bis Mitte dreißig, die am Monatsersten etwas mehr Geld auf dem Konto haben wollen. Sorgen ums Seelenheil braucht sich ob des Austritts niemand zu machen. Wenn jemand stirbt, wenn man heiratet oder wenn ein Kind zur Welt kommt, ist die Kirche weiterhin für da. Kostenlos. Für alle.

„Bei Taufen ist es inzwischen fast üblich, dass kein Elternteil, kein Großelternteil und auch kein Pate mehr Mitglied in der Kirche ist“, berichtet Jochen Cornelius-Bundschuh. „Internet-Mentalität“ nennt der Landesbischof diese Haltung. Man bekommt alles, ohne das Geringste dafür zu bezahlen. Und was nichts kostet, ist auch nichts wert. Hierzulande. Selbst wenn es sich um Gottes Segen handelt. Vielleicht läuft da tatsächlich etwas schief.

Evangelische Gymnasien
sind ein Erfolgsmodell

Aber gibt es denn eine Alternative zur Kirchensteuer? Wie kann sich die Badische Landeskirche eigenständig finanzieren? Indem sie etwas anbietet, wofür die Menschen mit Freuden zahlen, lautet die Antwort des Landesbischofs. Dass das möglich ist, beweisen die derzeit größten Erfolgsmodelle der Landeskirche: Die evangelischen Kindertagesstätten und evangelischen Schulen. Beide verzeichnen einen Boom, die Wartelisten sind lang. Und das, obwohl die Landeskirche all ihren Einrichtungen ein dezidiert christliches Profil verordnet hat. „In unseren Kindergärten wird vor jedem Essen gebetet“, berichtet Cornelius-Bundschuh. „Weil wir daran glauben, dass alle guten Gaben von Gott kommen.“

Da kann es durchaus passieren, dass eine Fünfjährige ihre Eltern plötzlich fragt: Glaubt ihr an den lieben Gott?

Es gibt regelmäßig Kinder- und Schülergottesdienste und eine intensive Auseinandersetzung mit christlichen Themen. Würde, Mitleid, Nächstenliebe, ewiges Leben. Diese religiösen Diskussionen schwappen natürlich auch über ins Elternhaus. Da kann es durchaus passieren, dass eine Fünfjährige ihre Eltern plötzlich fragt: Glaubt Ihr eigentlich an den lieben Gott? Oder: Was passiert mit dem Opa, wenn er einmal tot ist? „Wenn Eltern die Kraft haben, sich auf diese Fragen einzulassen“, findet der badische Landesbischof, „gewinnt das Familienleben an Tiefe und Vertrauen.“

… ebenso wie die evangelischen
Kindergärten
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In Karlsruhe denkt man derweil schon einen Schritt weiter. In Zukunft sollen evangelischen Kindertagesstätten zu “Familienzentren“ ausgebaut werden. Mit Krabbelgruppen, Großeltern-Treff, Elterncafé und Beratungsstellen.„Sobald ein junges Paar ein Kind hat, ist es darauf angewiesen, dass der Nahraum funktioniert“, erklärt Cornelius-Bundschuh. Die evangelische Kirche erkenne hier eine Aufgabe für die Zukunft. Wie auch in der Pflege, in der Klinik und in der Fürsorge im Alter.

Was fehlt ist eine Zufriedenheit, die nicht aus dem Immermehr resultiert. „Dazu hat die Kirche viel zu sagen.“

Es gibt auch schon Kirchengemeinden, die sich auf die Begleitung von Konfirmanden-Eltern spezialisiert haben“, berichtet der Landesbischof. Das Angebot reiche vom Candlelight-Dinner bis zur Pilgerwanderung. „Je ungezwungener die Atmosphäre, desto besser kommt man mit Menschen ins Gespräch.“ Über das Leben, die Zukunft, den Glauben. Und über Gott. Am Bodensee gibt es bereits eine eigenständige junge, engagierte Gemeinde, die nur aus dieser Elternarbeit hervorgegangen. Vielleicht ist das ein Prototyp?

„Was fehlt ist Zufriedenheit, die nicht aus dem Immer-Mehr resultiert.“

„Momentan treten etwa 1200 Menschen pro Jahr in die evangelische Kirche ein“, berichtet Jochen Cornelius-Bundschuh. Wenn es gelänge, diese Zahl zu verdoppeln, wäre das schon fast eine neue Gemeinde. „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Kirche künftig ein zivilgesellschaftlicher Akteur ist, der Menschen einlädt, bei ihm einzutreten. Dafür muss man werben. Auch bei den Menschen, die kommen, um ihr Kind taufen zu lassen.“

Viele Gemeindeglieder hätten diese Veränderung längst internalisiert. Beobachtet der Bischof. Sie würden dadurch selbstbewusster, aktiver, erfindungsreicher, stärker. „Gerade Corona und der Klimawandel haben ja wieder deutlich gemacht, dass Wachstum um jeden Preis der falsche Weg ist“, sagt Cornelius-Bundschuh. Was fehlt ist eine Zufriedenheit, die nicht aus dem Immer-Mehr resultiert. „Dazu haben wir als Kirche viel zu sagen.“

„Der Sonntag ist der Tag, an dem es noch mehr gibt, als nur arbeiten und konsumieren.“

Leidenschaftlich kämpft der Bischof
für die Sonntags-Ruhe.

Und manchmal muss man ja auch gar nicht reden. Manchmal genügt es schon, eine in Kirche zu betreten. Wenn dann das Licht auf diese einzigartig numinose Weise durch das Fenster fällt, passiert etwas mit dem Raum. Mit der Zeit. Mit dem Menschen. „Und man merkt: Es gibt noch mehr als das, was wir selber machen und tun.“ (Cornelius-Bundschuh)

Um solchen Erfahrungen Raum zu bieten, ist es unerlässlich, dass die Gesellschaft einem bestimmten kollektiven Rhythmus folgt. Sagt der Landesbischof. Er kämpfe deshalb energisch für die Erhaltung des Sonntags als Ruhetag. „Es macht einen Unterschied, ob jeder an irgendeinem Tag frei macht oder ob wir als Gesellschaft gemeinsam sagen: Der Sonntag ist der Tag, an dem es noch mehr gibt, als nur arbeiten und konsumieren.“ Das gilt auch für die großen christlichen Feste. Ostern, Weihnachten, Erntedank. „Es hat ja etwas zu bedeuten, dass unsere Kirchen an diesen Tagen alle voll sind.“

„In all dem Zweifel immer wieder etwas zu finden, was einen trägt. Das ist die Kunst.“

Ende März 2022 geht Jochen
Cornelius-Bundschuh in den Ruhestand
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Und was hat der Herzinfarkt zu bedeuten? Ausgerechnet beim Kicken mit den Kumpels? Auf diese Frage erhält man vom Landesbischof nur ein liebenswürdiges Lächeln als Antwort. Aber er lässt Taten sprechen. Am 31. März 2022 verabschiedet sich Professor Jochen Cornelius-Bundschuh in den Ruhestand. Das ist etwas früher, als geplant. Aber offensichtlich will er mehr bei seiner Familie sein. Drei erwachsene Kinder. Zwei Enkelsöhne. Ulrike Bundschuh ist Pfarrerin in Kassel.

„Glauben ist immer ein Ringen und ein Zweifeln“, überlegt der Badische Landesbischof. „Aber in all diesem Zweifel immer wieder etwas zu finden, was einen trägt durch die Zeit. Das ist, glaube ich, die Kunst.“

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