Die Luft droben im Dachstübchen war zum Schneiden. Aber niemand kam auf die Idee, ein Fenster zu öffnen. Die Jünger saßen einfach nur da wie paralysiert. Sprachlos. Antriebslos. Verzweifelt. Das Werk, in das sie all ihre Hoffnung gesetzt hatten, war dahin. Und der Meister endgültig fort. „Aufgefahren in den Himmel“, sagten die Leute. Was auch immer das heißen sollte. Und jetzt? Da hörten die Jünger plötzlich ein seltsames Rauschen.
Das Fenster schwang auf wie von Zauberhand. Und eine kräftige Sturmböe fegten durch den Raum. Schlagartig waren alle hellwach. Die Haare standen ihnen zu Berge, die Füße kribbelten, die Köpfe drohten zu explodieren vor lauter neuen Ideen. So geht Pfingsten. Eine Geschichte über die Kraft des Heiligen Geistes und die Wirkung des frischen Windes.
Pfingsten besitzt keinerlei Brauchtum. Niemand dekoriert die Wohnung um, keiner lädt Gäste ein.
Pfingsten trägt grundsätzlich rot. Am liebsten knallrot. In Erinnerung an die Feuerzungen, die vor zweitausend Jahren in Jerusalem vom Himmel gefallen sind. Doch damit endet die Haptik des dritten großen Festes der Christenheit auch schon. Anders als Weihnachten oder Ostern besitzt Pfingsten keinerlei Brauchtum. Niemand dekoriert die Wohnung um, keiner lädt Gäste ein. Noch nicht einmal die Kirchen besitzen eine Spezialschublade für Pfingstschmuck.
Weil er keinen Sinn machen würde. Der Heilige Geist ist ja nicht wirklich eine Taube, er ist auch keine Flamme und keine Feuerzunge. Sondern er ist, glaubt man der Bibel, die Geisteskraft Gottes. Reine Energie. Unberechenbar, unmanipulierbar und eigensinnig. Auratisch, überraschend und lebensspendend. Effektvoll, charismatisch und elektrisierend. Und: Der Geist ist frei wie der Wind. Man kann ihn weder sehen noch zähmen. Man kann ihn lediglich um Hilfe bitten.
„Der Heilige Geist ist die Gegenwart Gottes tief in uns.“
„Der Heilige Geist ist die Gegenwart Gottes tief in uns“, formuliert Georg Henn. Der junge katholische Priester wird sich ab 2026 als Stellvertretender Pfarrer um die neuen Großpfarrei Wiesloch-Ost kümmern. Seit einigen Wochen wohnt der 37-Jährige nun schon im schönen Pfarrhaus von Leimen und lernt die Menschen kennen, die an der Südlichen Bergstraße leben.
Das Gewächshaus in dem großen Garten hat Henn schon bepflanzt. Mit Gurken und Auberginen. Ein guter erster Schritt, um Wurzeln zu schlagen. „Ich stelle mir immer vor“, sagt Georg Henn, „dass ich bei jedem Gebet den Heiligen Geist einatme und seine Kraft in mir aufnehme. Das tut richtig gut!“
„Pneuma“ lautet der griechische Begriff für den Geist, „ruach“ der Hebräische. Beide Wörter bezeichnen auch den menschlichen Atem – und den Wind. Mehr als 400 Mal kommen sie in der Bibel vor. Das bedeutet natürlich etwas. Zumal sie gleich im allerersten Abschnitt auftreten: „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber übersetzte das hebräische „Ruach“ einst als „der Braus Gottes“. Das ist vielleicht der treffendste Begriff für den Heiligen Geist, den je jemand gefunden hat. Unbändige Lebensenergie.
Für uns Menschen ist der Heilige Geist der ideale Ansprechpartner. Ein Botschafter bei Gott sozusagen.
Ein wenig kompliziert sei es manchmal schon, mit dem dreifaltigen Gott zu kommunizieren, überlegt Georg Henn in Leimen. Denn das Ineinander der drei göttlichen Personen müsse man ja eigentlich immer mitbedenken, und wer kann das schon. Für uns Menschen, sagt der derzeitige „Kooperator“ in der katholischen Kirchengemeinde Wiesloch-Dielheim, sei der Heilige Geist deshalb der ideale Ansprechpartner. Weil seine Aufgabe ja darin bestehe, als Botschafter zwischen Gott und den Menschen zu wirken und die Welt mit Liebe und Frieden zu füllen.
Kein Mensch hat den Wind je gesehen. Wir sehen immer nur seine Wirkung.
Um das Wirken des Heiligen Geistes zu verstehen, hilft es, wenn man den Wind beobachtet. Er ist das kreativste Phänomen der Natur. Wo Wind weht, verändert sich alles. Das Aussehen des Himmels, der Bäume, des Meeres. Der Wind lässt das Wasser keuchen und schnauben. Er verursacht Wetterumschwünge, setzt Mühlen in Bewegung, trägt Gleitschirme und treibt Schiffe über den Ozean.
Mit dem Wind im Rücken geht alles schneller und müheloser. Doch wehe, wenn der Wind sich dreht! Der Wind deckt Dächer ab, er wirbelt Regenschirme durch die Luft und setzt Sturmfluten in Gang. Dabei hat kein Mensch den Wind je gesehen. Wir sehen immer nur seine Wirkung. Genau so ist es beim Heiligen Geist.
„Wenn wir beten, öffnen wir uns automatisch für Gottes Geist“, sagt Pfarrer Henn in Leimen. Dann zögert er. Überlegt. Setzt neu an. Wobei man den Geist natürlich nie vom Vater und vom Sohn trennen könne. Die göttliche Trinität sei ein beständiges Ineinander, Miteinander, Umeinander …
Gezielt suchte Henn nach einem Ort, wo er Gott hautnah spüren konnte. Er fand Taizé.
In Neckarhausen, einer Gemeinde auf halbem Weg zwischen Mannheim und Heidelberg, ist Georg Henn aufgewachsen. Zwar katholisch, aber nicht übermäßig fromm. „Ich fand die Sonntagsmessen damals eher langweilig. Gott habe ich hier nicht gefunden.“ Dann kam Rumänien. Nach dem Abitur hat Henn dort ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Jugendeinrichtung der Jesuiten absolviert. „Rumänien ist ein furchtbar armes Land, aber der Glaube ist dort viel präsenter als bei uns“, erinnert er sich. Zurückgekehrt suchte Georg Henn gezielt nach einem Ort, wo er Gottes Gegenwart ebenso hautnah spüren konnte. Er fand ihn in Taizé. „Solchen Frieden und solche Freude wie dort habe ich noch nie zuvor empfunden.“
Henn schrieb sich an der Uni Freiburg ein. Erst für das Lehramt in Katholischer Religion. „Doch schon bald habe ich gemerkt: Gott will, dass ich Priester werde.“ Am 13. Mai 2018 wurde Georg Henn im Freiburger Münster geweiht.
„Kaum ist der Geist da, stürmen alle auf die Straße und sprechen wildfremde Leute an.“
In Jerusalem stehen unsere Jünger mittlerweile unten auf der Straße. Aufgekratzt und mittendrin im Gewühl. Denn die Stadt feierte gerade Schawuot, das Erntedankfest. Die halbe Welt strömte an diesen Tagen in die Hauptstadt. In der Apostelgeschichte sind akribisch die Nationalitäten der Besucher aufnotiert: Parther, Meder, Elamiter, die Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Phrygien und Pamphylien. Zig Sprachen und mittendrin Petrus, Jakobus und Co., die plötzlich alle verstanden. Ja mehr noch, sie konnten auch mit all diesen Leuten in deren jeweils eigener Sprache reden. Das Wunder von Pfingsten.
Georg Henn wiegt den Kopf. Er findet, dass die Vielsprachigkeit nicht der Kern der Pfingstgeschichte ist. „Viel spektakulärer ist das mutige Hinaustreten der Jünger in die Öffentlichkeit“, sagt er. Ein völliges Novum in der Apostelgeschichte! Denn bisher hätten sich die Jünger immer eher zurückgezogen und die Türen fest abgeschlossen. Der auferstandene Jesus musste einmal sogar durch die Wand gehen, um ins Zimmer zu gelangen. „Und kaum ist der Geist da, geschieht plötzlich das krasse Gegenteil: Sie stürmen auf die Straße, sprechen wildfremde Menschen an, und am Abend taufen sie sechstausend Leute.“ So geht Pfingsten.
„Paraklet“ heißt der Wind des Heiligen Geistes. Das bedeutet Tröster und Fürsprecher.
Paraklet nennt das Johannes-Evangelium den Wind des Heiligen Geistes. Das ist altgriechisch und bedeutet Tröster, Vermittler oder Fürsprecher. Man sagt der Paraklet sei auch der Wind gewesen, der einst über der Urflut schwebte. Damals, als die Geschichte der Welt begann. An Pfingsten hat er sich erneuert und ist zum Mutbringer für die Menschen geworden. Und zum kreativen Impulsgeber. “Ich werde den Vater bitten, dass er euch einen Beistand gibt“, verspricht Jesus den Jüngern im Johannes-Evangelium. „Den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht fassen kann, weil sie ihn nicht sieht noch kennt.“
Der Wind Paraklet ist aber auch der Anwalt jeder bedrängten, verfolgten, entrechteten Person. Er ist der Tröster. Er hält Trauer aus. Und er war es, der am allerersten Pfingstfest in Jerusalem den Fluch der Mehrsprachigkeit, der beim Turmbau zu Babel über die Menschen gekommen ist, wieder aufgehoben hat.
„Pfingsten ist das Hochfest der Hoffnung“, sagt Georg Henn im schönen Garten seines Pfarrhauses in Leimen. „Der Heilige Geist vertreibt jede Verzagtheit und macht die Herzen leicht.“ Sofern man ihm genügend Aufmerksamkeit schenkt. Muss der Heilige Geist zu lange ein Schattendasein führen, warnt Henn, verkümmert er und verschwindet.
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Papst Leo XIII. war Italiener und saß von 1878 bis 1903 auf dem Stuhl Petri. Leo hatte eine besonders enge Beziehung zum Heiligen Geist. Vielleicht weil er spürte, dass sich die Welt durch die beginnende Industrialisierung radikal verändern würde. Papst Leo XIII. initiierte daher mutig die erste katholische Sozialenzyklika. Er setzte sich für faire Löhne in den Fabriken und für die Rechte der Arbeiter ein. Und: Er rief die sogenannte „Pfingstnovene“ ins Leben. Weltweit betet die katholischen Kirche seitdem an den neun Tagen zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten um die Hilfe des Heiligen Geistes.
Leo XIV., den die Welt erst seit ein paar Wochen kennt, hat sich mit der Wahl seines Papstnamens explizit in die Nachfolge dieses „Arbeiterpapstes“ gestellt. Weil wir durch die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz wieder an einer Zeitenwende stehen.
„Die Kraft des Heiligen Geistes wird uns den Weg zeigen“, sagte der neue Papst. „Wenn wir ihm erlauben, unsere Worte einfach, unsere Wünsche ehrlich und unsere Taten großzügig zu machen.“